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Korrespondenz

Von Jean Paul an Emanuel. Bayreuth, 20. April 1807.

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[ Bayreuth, 20. April 1807 ]

Mit der freien Wahrhaftigkeit, Theuerer, die nur allein, Ihrer und Meiner würdig ist, sag’ ich meine Meinung — sogar gegen Ihre. Eltern haben durchaus kein Recht, über ein mündiges Kind Wer ein Vater werden kann, braucht keinen mehr; sonst müßte am Ende seiner über seine Kinder einer sein und herrschen. die alte Kuratel — und wär’ es durch grausame Entziehung ihrer Gaben — fortzusetzen; in welchem Alter sollte sie denn aufhören, (als etwa bei ihrem Tode)? Am wenigsten über einen Jüng ling; höchstens über eine Tochter, da ohnehin in manchen Ländern das Weib ewige Vormundschaft genießt oder erduldet. Warum machen denn die Eltern ihren Glücks-Despotismus nicht bei andern lebenslänglichen Wahlen der Söhne geltend? — Das Beste hierüber und wie ganz aus meiner Seele geschrieben, finden Sie im 2. B. des Titans S. 87 etc. — Eine Ehe mit einem Adelichen so wie mit einem Sohne zürnender Eltern ist gefährlich, wenn diese nahe sind; in der Ferne, (wie hier) ist kein Bedenken. — In Wien heirathete eine Berliner Jüdin einen Grafen; — jetzt sind solche Heirathen, wenn nicht modisch, doch erlaubt. Am Ministerwerden hindert ja keine bürgerliche Frau. — Der Beifall zweier Brüder ist von vielem Gewicht. — Das Herz dieses Mannes ist fest und rein wie Alpen-Granit; und ich traue ihm als Schweitzer mehr. Ganz gelehrt ausgebildet ist er, seiner Orthographie nach, noch nicht; aber man kann große Finanzkenntnisse ohne jene haben. — Ferner er will ja warten bis er ein weiches Feder-Nest Sich und Ihr zusammengetragen. Solche Bräutigame schrecke kein Vater zurück; in unsern Tagen nimmt fast Kopulieren wie Kommunizieren ab, vielleicht weil beides verwandt ist und auch gewöhnlich mit einander vorgenommen wird. — Der an sich edle Brief an Ihn muß sanfter sein; obwol das Ende eigentlich das Rechte berührt, nämlich die Anfrage über Jettens und S– Meinung und Neigung. — „Ich glaubte erkannt zu haben“ gibt anfangs den Schein, sich geirrt zu haben. — Die Religionsänderung kann mit Recht kein Vater vorausbilligen (indem er in derselben Minute ja selber eine vornähme), aber der fremden S– Überzeugung muß er das Recht zugestehen, das er — ohnehin nicht nehmen kann.

Ich schreibe eilig, Alter!, so wie ich auf keinen andern Wunsch in Ihnen Rücksicht nehme, als den, meine Meinung zu hören. Ich wollte aber doch, Sie kämen heute herauf zu mir (also vorher hinunter); denn ich könnte vieles noch zu sagen haben, wenn Sie mir vieles vorher gesagt hätten. — Ich bleibe dabei, ein schöner, vorurtheilsfreier, ja leidenschaftsfreier, unbestechlicher und daher unbestechender Karakter malt sich im Briefe; desto mehr Lob für S. und für J. zugleich. Gott muß diese J. dafür einmal mit einer ähnlichen Tochter belohnen.

Der Himmel gebe, daß Thieriots Spaß mit der Braut kein Ernst ist. Ein Kind möchten wol beide mit einander erzeugen können; aber es erziehen — und für dessen Wäsche und Waschen sorgen — und 3 Groschen für dessen späte Erziehungsanstalten zurücklegen — und so vernünftig handeln als zwei von uns beiden thun .... dieß glaub’ ich von ihnen nicht, ich mag es sehen oder nicht.

N. S. Was mich etwas froh macht — da mich mein gestriger Harmonie-Abend bis 12½ Uhr für heute ziemlich aufgelöst hat — dieß ist, daß es schneiet und mein prophetischer Nebenbuhler grün und gelb wird darüber, daß es jetzt weiß wird statt grün. Bringen Sie mir doch meine viel zu schnell abgefaßte Wetterbestimmung zum Überlesen mit.

Zitierhinweis

Von Jean Paul an Emanuel. Bayreuth, 20. April 1807. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=V_349


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961. Briefnr.: 350. Seite(n): 145-146 (Brieftext) und 324 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: SBa. 4 paginierte S. 4°. Präsentat: 20 Apr. 7. J: Denkw. 1,187. 145,21 ohnehin] aus ja 146,2 und bis mehr] nachtr. ihm als] aus jedem 6 zurück] aus ab 9 an sich edle] nachtr. muß] aus kann 21 vieles] aus es

Es handelt sich um die geplante Verbindung des Schweizers Anselm Franz von Stokar (1782—1847), der im Dienste des Fürst-Primas Dalberg stand, mit Silli Uhlfelder, der zweiten Tochter von Emanuels Freund. Silli, die damals anscheinend bei ihrer Freundin Jette Braun zu Besuch war, wurde im folgenden Jahre getauft (s. Emanuel an Thieriot, 20. Juni 1808) und am 23. Dezember 1811 Stokars Gattin; vgl. Bd. VI, Nr. 108†. 145, 25f. Titan, 58. Zykel (I. Abt., VIII, 346ff.). 29 Berliner Jüdin: wohl Marianne Mayer (Frau v. Eybenberg), die sogar einen Fürsten heiratete, s. Bd. III, Nr. 103, 72,7†. 146, 26 Thieriots Spaß mit der Braut: vgl. Emanuel an Thieriot, 19. Juni 1807 (Berlin Varnh.): „ Fragst Du mich heute noch: soll Kinder ich jetzt schon von ihr [Eva Hoffmann] haben? Nein, sagt Dein Emanuel Dir. Sagst Du mir: sie hat Kinder von mir; dann lieb’ ich nicht nur Dich, nicht nur sie; Euch und Eure Kinder liebe dann ich.“ (Die spätere Ehe Thieriots blieb kinderlos.) 32–37 Vgl. Nr. 338†.