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Korrespondenz

Von Jean Paul an Charles Villers, de. Bayreuth, 25. Dezember 1808.

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Bayreuth d. 25 Dec. 1808

Sie haben das Glück, von zweien sonst literarisch-entzweieten Nazionen zugleich geschätzt zu werden, von Ihrer und meiner. Aus Vaterlands-Liebe glaube ich, daß die meinige Sie am meisten liebe und ehre. Glücklich wäre Frankreich, hätt’ es 10 Villers, d. h. 10 solche geistreiche Vermittler zwischen zwei Völkern, die einander wechselseitige Bildung zu geben vermögen! Nie kann der Deutsche, der so lange Franzosen nachahmte, mehr wünschen, von ihnen nachgeahmet und verstanden zu werden als jetzt. Mercier in seiner barocken Manier wollte sie auf einmal ins Englische, d. h. ins Extrem übersetzen; aber er fehlte; der Weg zu den Engländern geht durch Deutschland — und jetzt ist die Frage sogar, ob der Weg nicht besser ist als das Ziel.

Ich hoffe viel von Ihrem Einfluße zu deutschem Besten in Frankreich. Nur ein Franzose kann Franzosen die Deutschen vorloben. Sie schreiben (wenn ich auch blos Ihre Note über die Ansicht Ihrer Universitäten-Ansicht vorlege) ein solches Deutsch, daß Sie selber es nicht ins Französische übersetzen können.

Mir sind nur 3 Werke von Ihnen bekannt — über Reformazion, Universitäten, Lübek —; in diesen erquickt den Leser neben dem hellen, freien, vielsichtigen Geiste noch besonders das Herz, das warm schlägt und warm das fremde Eis zerstört.

Eine besondere Veranlassung dieses Briefs — ohne welche ich Sie nicht mit meiner Vertraulichkeit, weder von Ihrer noch von meiner Seite, hier so plötzlich durch einen Briefträger überfallen durfte — war eine Stelle von Ihnen im Conservateur. Wiewol Sie mich darin mit 3 Helden vergleichen, und folglich mich um Drei-Drittel zu viel loben: so gefällt mir Ihr Lob doch recht sehr; Ihre Nazion rechnet ohnehin mehr als Zwei-Drittel ab; folglich wird einige Wahrheit durch Sie zu ihr gelangen. — Gebe Ihnen der Himmel die Zeit, Ihr Versprechen zu erfüllen, mich den tapfern Franzosen (die wir Deutsche mehr achten als man aussagt) bekannt zu machen! — Sie gehören in die deutsche Geschichte, und hätten Sie nichts geschrieben als die Reformazion und Lübeks Einnahme.


Jean Paul Fr. Richter
Zitierhinweis

Von Jean Paul an Charles Villers, de. Bayreuth, 25. Dezember 1808. In: Digitale Neuausgabe der Briefe von Jean Paul in der Fassung der von Eduard Berend herausgegebenen 3. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe (1952-1964), überarbeitet von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/brief.html?num=V_617


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Textgrundlage
D: Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961. Briefnr.: 618. Seite(n): 253-254 (Brieftext) und 374 (Kommentar). Konkordanzen Druck-Digitale Edition

Kommentar (der gedruckten Ausgabe) Siglen

H: Stadtbibl. Hamburg (Campesche Sammlung). 4 S. 8°. K: Villers Lubeck [!] 25 Dec. i: Wahrheit 7,129. A: IV. Abt., VI, Nr. 7. 253,18 zweien] aus zwei H 20 glaube] danach gestr. und wünsche H 254,3 schlägt] davor gestr. ist und H 4 das fremde Eis zerstört] aus an jedes Eis anschlägt H 5 dieses Briefs] nachtr. H 8 von Ihnen] nachtr. H 13 tapfern] nachtr. H

Nach A trug der Brief eine „halb deutsche, halb französische, abenteuerlich geschriebene Adresse“ (vgl. Bd. VI, Nr. 291, 113,19f.). Charles de Villers (1765 bis 1815), der bekannte Vermittler zwischen deutschem und französischem Geist, hatte sich im „Conservateur, journal de littérature, de science et de beaux arts“, VI, Amsterdam, Mai 1808, S. 168—170, in einem Artikel „Les deux Europes, la foire de Leipsick et Jean Paul“, datiert Lubeck, 15. Mai 1808, gez. V., begeistert über die Friedens-Predigt geäußert, Jean Paul eine Vereinigung von Platon, Dante und Sterne genannt und die Hoffnung ausgesprochen, einmal ausführlicher darauf zurückzukommen (vgl. Wahrheit 7, 128f.). 254, 1 drei Werke von Villers: 1) „Essai sur l’esprit et l’influence de la Réformation de Luther“ (1804); 2) „Coup d’oeil sur les Universités et le mode d’instruction publique de l’Allemagne protestante“ (1808); 3) „Lettre à Mad. la Comtesse Fanny de Beauharnais, contenant un récit des évènements qui se sont passés à Lubek dans la journée du jeudi le 6 Nov. 1806 et les suivantes“ (1807); alle drei auch in deutscher Übersetzung erschienen.