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Dresden den 16.ten
April 1820.

Schon längst hätte ich Ihnen, liebe gute Frau Legationsräthin, wieder geschrieben, wenn ich nicht dazu, die endliche bestimmte Antwort aus Schlesien, Ihre liebe Nichte betreffend, erwartet hätte; die Geläufigkeit des Französischsprechens, war der einzige schwierige Punkt in der Sache, da aber die liebe Nichte die Sprache selbst, kannte, so glaubte ich, die Gräfin Henkel würde, da ihr übrigens die Sache, so sehr ansprach, jene Geläufigkeit zu geben, selbst übernehmen; noch habe ich keine Antwort deshalb, zugleich aber bey dieser Gelegenheit von zwey verschiedenen Seiten von Schlesien aus, ver- |2 nommen, mit welchem Enthusiasmus schon der Titel, Jean Paul's Nichte zu seyn, aufgenommen wird. Heute mußte ich Ihnen aber nun auf alle Fälle schreiben, da meine liebe Gräfin Vitzthum, die sich mit Freuden Ihrer Bekanntschaft und Güte für Sie erinnert, jetzt nach Bayreuth abreisen will, um einige Zeit daselbst zu verweilen . Ganz gestörte eheliche Verhältniße deren Verbeßerung oder gänzliche Auflösung, unentschieden ist, machen für si c e h eine Entfernung nöthig; ich bedaure sie unendlich, ihre Lage ist in diesem Augenblick sehr beklagenswerth; unsre gegenseitige, seit den Kinderjahren bestehende Liebe, hat jetzt unsern Herzen doppelt wohlgethan. Ich bitte Sie, und Ihren lieben Mann, dem kindlichen, reinen Herzen meiner unglücklichen Freundin, mit liebender Theilname wohlzuthun und ich darf hoffen, daß Ihr lieber Mann, der sie noch nicht kennt , der unendlichen Unbefangenheit, Hingebung und Lebhaftigkeit ihres Gemüth's, wohlwollen |3 wird; diese drey bey ihr hervorstechenden oder beßer, hervorleuchtenden Eigenschaften, welche zu wenig fähig waren die nöthige Vor- und Ueberschau der Verhältniße der Welt, im Auge fest zu halten, sobald sie nicht liebend und leitend gehalten wurden, machen sie mehr zum Eigenthum einer beßern Welt, als der unvollkommenen, deren Unvollkommenheiten sie nicht mit der nöthigen Vorsicht zu verarbeiten vermag; sie belacht und bejaht es oft, wenn ich ihr vorwerfe, einen funfzehnjährigen Kopf, nebst dem Herzen für's Paradies zu haben; ihr seliger Vater der Cabinets-Minister Graf Hopfgarten, war der abgemeßendste Mann von der Welt und auch ihr Mann gleicht ihr wenig und seitdem er nebst der Hofmarschall-Stelle, auch die der Direction der Theaters hat, scheint er öffentliche Familien-Scenen auch nicht mehr zu scheuen; sonst war er mir sehr zugethan; jetzt weiß er aber, daß meine Freundschaft für beyde, nur seiner Frau zugetheilt bleibt; er hat sie von allen ihren Kindern, deren sie zwölf ge- |4 boren, getrennt, dies hat ihr oft schon eine Verzweiflung gegeben, die nur Zureden besänftigte; Dank sey es ihrer kindlichen Lebhaftigkeit, daß sie durch freundliche Begegnung sich leicht wieder heiter stimmen läßt und dann guten Rath mit kindlicher Lenksamkeit annimmt. Frau von Welden, der ich mich zu empfelen bitte, wird gewiß durch Sie und durch mich wieder durch Sie, die Gräfin Vitzthum mit mehr Theilnahme, als eine neue Bekanntschaft, kennen lernen.

Nun noch ein Wort von mir und meinem Sohn; letzterer hat sein Examen in Leipzig Gott Lob, sehr rühmlich bestanden und die strengen Herren der dortigen Facultät, haben sich äußerst beyfällig darüber directe und indirecte geäußert, was mir denn große Freude gemacht hat; seit acht Tagen, haben wir nun Leipzig verlaßen und zwar mit dankbaren Eindruck vieler Herzlichkeit die man uns dort noch bewiesen, vielleicht grade in der Beziehung, daß wir uns von den dortigen eigenthümlichen Formen befreyt erhielten. Wir bewohnen nun hier in Dresden meinen Garten und genießen Gott Lob mit Freude deßen außerordentlich schöne Lage und den schönen Frühling. Immer noch scheint es mir wahrscheinlich, daß wir im Herbst wieder nach Italien zurückkehren werden. Die Frau von Piattoli, welche Ihr lieber Mann kannte, ist vor Kurzem hier gestorben Die Herz. v. Curland verliert an derselben ihre bewährteste älteste Freundin. Mein Sohn empfielt sich Ihnen herzlich, so wie wir beyde Ihrem lieben Mann und lieben Kindern. Behalten Sie recht lieb Ihre ergebene Freundin

Henriette v Ende

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Dresden, 16. April 1820, Sonntag . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0076


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.