Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Den 10ten Oktober 1821

Heute, meine geliebte Mutter, wirst Du im Heidelberg ankommen , und es dauert noch lange bis Du diesen Brief bekommst und dann weißt wie es zu Hause aussieht. Habe nur keine Sorge, es geht alles gut, aber ich denke immer an Dich, und berechne Deine Wiederkunft. Nicht wahr es ist recht gut daß Du Deinen meinen Mantel mit hast? Trotz des schönen Wetters ist es doch kalt. Wenn Ihr nur recht wol seid und Odilie das Fahren gut bekömmt; der Vater fürchtet daß sie es ihr Kopfweh macht.

Seit Du weg bist, liebste Mutter, habe ich Amöne nicht gesehen. Am Sonntagmorgen ging ich zu Emanuel und auch zu Ottos, fand aber alles verschlossen bei diesen, sonst war ich bei niemand des Vormittags. Den schönen Sonntag wollte der Vater bei auf der Eremitage zubringen und vorher bei der Rollwenzel essen, und ich sollte suchen mit Jemand nach zu kommen. Aber da wollte sich niemand dazu finden, und die Heim foderte mich nur so zu einem kleinen Spaziergange auf mit der Plotho, |2 nach welchem wir bei dieser Thee tranken. Den Abend war ich ganz allein, der Vater ging ins Theater, kam aber bald zurück, da das Stück erbärmlich war. Am Montag Mittag wurde die Gans gebraten, die sehr gut war. Des Nachmittags besuchte Falk den Vater, und ich hatte schon großen Jammer, daß ich ihn nicht sehen sollte, weil un die Plotho mich mit auf die Eremitage genommen hatte, nebst der Stein. Aber gestern war ich doch so glücklich ihn zu sehen. Die gute Welden schrieb ein Billet an den Vater, und bat diesen und mich zu einem Familienessen, wo blos Falk war. Du kennst ihn schon, liebste Mutter, und da brauche ich ih ihn Dir wol nicht zu schildern, den herrlichen Mann. Er ist war sehr lebhaft bei Tische, aber mir kam immer das Weinen an wenn ich daran dachte daß er vor 6 Wochen erst wieder eine 18-jährige Tochter verloren , und wie er selber einen Tag vorher beim Vater geweint, über sein und unser Unglück . Er war wie ein Vater gegen mich, und beim Abschied küßte er mich auf die Stirne. Heute morgen aber sah |3 ich ihn noch einmal. Die gute Stein die mich mit in das gestrige Konzert genommen, bat ihn so noch länger zu bleiben, daß er einige Stunden zugab, und bei ihr frühstückte wozu die gute Seele mich auch einlud! Wie schön er da über das Christenthum gesprochen, sage ich Dir mündlich; es bleibt so noch wenig Platz. Heute geht er nach Konradsreuth, und da werde ich immer an die Reitzenstein denken, und an ihre Freude. Seine Frau ist mit einem sechsjährigen Knaben im Heineschen Hause , besuche sie doch ja, er wünscht es so sehr.

Von der Tante und Richard sind Briefe gekommen von dem letzten einer voll Dank wegen des Stipendiums ; ich habe sie aber nicht gelesen, blos der Vater der etwas Trauriges befürchtete; aber Gottlob! dort geht es gut.

Heute werde ich immer an Dich denken, geliebteste Mutter; greife Dich ja nicht so sehr an, damit Du gesund bleibst. Wenn Du nur alles das Schmerzvolle aushälst was Dich in Heidelberg erwartet. Von Schlichtegroll kam auch ein Brief voll Schmerz und Schreck. Lebe recht wol meine geliebte Mutter, küsse und grüße meine Diezo. Gott erhalte Euch gesund!

Euere Emma

|4 Eiligst!

Meine geliebte Caroline! Jetzo um 3¾ Uhr eil' ich u. viellcht u. gehst du eben in Heidelb . ein. – Alles hier ist in Ruhe; Emm. ist als Köchin u Wirtschafterin recht trefflich. Aber Gesellschaft belohnt sie auch. Wenn nur meine geliebte Odilie , die dich von einem Schmerz z andern begleiten muß, auch einen frohen Zwischenraum hätte. Immer stellt der lange Weg- u Zeitraum mir euch bald da, bald dort auf Strassen u. in einsamen Zimmern auf. Gott segne euch u bringe meiner wunden Seele euch unversehrt s zurück. Schmerzen u Freuden bringst du zugleich an mein Herz, aber doch der Freuden mehre. Gott sei mit dir u. meiner guten guten Odilie

Zitierhinweis

Von Emma Richter und Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 10. Oktober 1821, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0158


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. 3 S. von Emma Richter, 1 S. von Jean Paul.

Überlieferung

D: 3. Abt., Bd. VIII, Nr. 216 (nur von Jean Paul).