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Bayreuth, 4. August 1825.

Ich bin so arm an Neuigkeiten, wie ein Handwerksbursche an Sechsern. Dies hielt mich auch bisher vom Schreiben ab. Ein Ereigniß ausgenommen, das die Geschichte noch künftigen Geschlechtern aufbewahren wird; das war nemlich die vorgestern Mittag erfolgte Ueberziehung meines Nähkissens und zwar mit blauem Merino! Ich wüßte nicht, was bedeutender wäre, als die Bezwingung seiner Neigungen, aus deren Be- und Nichtbefriedigung ganze Länderschicksale hervorgehen: doch jetzt zum Tagesbericht, wenn es auch nichts zu berichten gibt! Giebt doch der Taschenspieler Einem Papierbogen 24erlei Gestalten — warum ich nicht drei Unisonotagen einige Variationen?

Der Donnerstag war so unbedeutend, daß er mir ganz aus dem Gedächtniß geschwunden. Der Freitag wurde auch so vertuscht, bis Abends, wo wir mit der Plotho , die die göttliche Eigenschaft besitzt, daß das Größte wie das Kleinste ihrem Geiste gleich ist, einen hübschen Spaziergang machten. Gestern aber war ein rechter Schlaraffentag! Ich hatte mir vorgenommen, mein erstes Strümpfchen für das Pathchen zu vollenden, borgte dazu von der Plotho die Delphine von der Staël und blieb endlich an letzterer hängen. Sie gefällt mir aber nicht so, wie meine Erinnerung sich gedacht. Die Leidenschaften überstürmen endlich die Tugend und der starke Leançe wird so erbärmlich, daß man nicht begreift, wie die liebenswürdige Delphine noch ihn liebt.

Und dann finde ich auch in den meisten Romanen, daß die Männer mehr sinnlich als rein liebend dargestellt sind und die Frauen ihre Begierden immer mäßigen müssen. Sollte das in der Wirklich auch so sein? die Männer nichts Höheres als den Besitz kennen? Da wären sie ja nicht des An- und Umsehenswerth! Aber beinah glaub ichs.

So oft ich das Schloß von Sixtus ansehe, ärgere ich mich, daß ich nicht hinein kann und die Fenster wie leere Augenhöhlen heruntergucken. Ueberhaupt verdrießt mich der ganze Sommer; Alles ist fort und mir pedantischen Person ist Alles nicht recht, was im gewohnten Geleise fortschurrt.

Zitierhinweis

Von Emma Richter an Fanny von Welden. Bayreuth, 4. August 1825, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0175


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Textgrundlage

D: Emma Förster, S. 10–11


Korrespondenz

Möglicherweise stimmt das Datum nicht. Emma schreibt von drei verstrichenen "Unisonotagen" und benennt "Donnerstag", "Freitag" und "Gestern". Folglich stammt der Brief von einem Sonntag.