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Meiningen den 30ten August
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Theurer geliebter Vater,

Innig danke ich Ihnen für Ihren gütigen Brief , und für die vertrauensvolle Mitteilung Ihrer Außicht nun ein Wesen gefunden zu haben, das Ihnen Ihr Alter versüßen wird . Wie sehr Ihre Kinder dieses wünschen mußten konten Sie ihnen zutrauen. Gott lege doch nun keine Schwierigkeit mehr Ihnen im Wege, und vollende doch bald die Ausführung Ihres Plans. Ernestine hatte mir nach Ihrer Dresdener Zusammenkunft schon etwas von Ihren Verhältnißen mitgeteilt u da that es mir freilich wehe, daß Sie gegen mich allein verschloßen waren deren Besorgniß für Ihre Zukunft gewis recht schmerzlich war. Die Vorstellung Ihrer Einsamkeit konnte ich oft nicht ertragen und ich muste meine Einbildung durch unwahrscheinliche Tröstungen beruhigen,ob ich gleich weiß daß auch die freundschaftlichsten Verhältniße mit Menschen die nicht einen Theil ihrer Familie ausmachen, Ihr Herz nicht befriedigen können – entweder ein Weib oder Kinder – O ich kann Ihnen nicht sagen wie dankbar ich der Vorsicht bin die Sie nun in den Hafen der Ruhe führt.

Wie sehr wünschte ich Ihre Freundin zu kennen, die auf unsre Dankbarkeit |2 so sehr Anspruch hat – wenn sie Sie glüklich macht – ich bitte Sie, mir einmal ein bestimteres Bild von ihr zu zeichnen, denn ich kenne sie gar nicht, und weiß auch von ihren äußeren Verhältnißen nichts.

Übrigens können Sie meiner Verschwiegenheit die Ihr Geheimnis zu [...] ehren weiß, gewis seyn, mein bester Vater! mein Mann ist wie ich sehr froh, daß sich Ihre häusliche Lage so entschieden hat, denn er wünschte nichts mehr für Sie. Die gute Ernestine schrieb mir neulich mit so lebhafter Theilnahme an mein Glük, die mich mehr wehmühtig machte, als mich erfreute – und wenn etwas noch mich stört, so ists der Vorzug des Schiksals – aber sie wird auch Mutter werden, das glaube ich, weil ich es geworden bin, und mein Beispiel wird sie beruhigen. Ich komme nun dem entscheidenden Zeitpunkt immer näher – ich vertraue meiner Gesundheit die die nothwendigen Übel meines Zustandes mir sehr erleichtert, und habe keine Furcht. Der Gedanke daß ich sterben kann streift nur leise an mir vorüber – aber wenn ich sonst ruhig an den Tod gedacht – würde er mir jezt sehr schmerzhaft seyn – wenn mein guter Mann allein, so viele Sorgen übernehmen müste.

Der Zuschuß von Einnahme für deren Einsammlung |3 Sie gewis mit vieler Mühe gesorgt haben, (wie wollen wir Ihnen das beschwerliche Berechnen unsres Geldes jemals verdanken mein liebster Vater?) ist mir jezt sehr wilkommen, weil ich um verschiedner kleiner Ausgaben meinen Mann nicht plagen mag, und er so gütig ist, mein Eigenthum nicht für das allgemeine zu benuzen sondern es alles mir zu geben. [...] Da mein Mann eben Geld von Matzdorf aus Leipzig geschikt bekömmt, so können wir die Gelegenheit mitnehmen das porto zu ersparen. Wollen Sie daher so gütig seyn drei Louis d'or an diesen zu übersenden und das Übrigbleibende an Courant, der Uhr von Gustchen beizufügen, zu der ich aber keine Gelegenheit weiß, und Sie daher bitten muß, entweder sie einem zur Meße reisenden Bekanten bis Leipzig mitzugeben, welches ebenfals Mazdorf seyn könnte, von da aus ich sie durch einen hiesigen Kaufmann bekommen kann; oder sie mir unfrankirt auf der Post zu schiken. Unter den preußischen Münzsorten im Silbergeld, kann man eigentlich nur die harten Thaler ohne sonderlichen Verlust hier anbringen, daher bitte ich Sie die kleine Summenoch verbleibende Summe darin zu verwandeln, da es Ihnen gleichviel ist.

|4 Der Verlust des armen Hausen geht mir recht nahe weil er seinem Herzen nach das Glük Vater zu seyn, gewis recht tief empfand – um so mehr als er es vielleicht nicht erwartete. Bringen Sie mich wieder in sein Gedächtnis, und sagen Sie ihm daß es mir sehr leid thäte – der arme vortrefliche Mensch! Übrigens sind diese Beide gewis recht glüklich, und werden es bleiben.

Ein Neffe des Hofrath Heim wird auf Michaeli glaube ich, eine Hofmeisterstelle in Berlin, durch die Vermitlung des Arztes Heim antreten, er kömmt aus Jena u heißt Kessler . Ein sehr gesitteter ernsthafter junger Mensch,der, weil er meinen Mann und mich kennt, Sie besuchen wird. Er kann Ihnen wenigstens etwas von unserer Lebensweise erzählen, da er drei Wochen lang sich in Meiningen aufhielt und wir uns mit dem Heimischen Hause sehr viel sahen. Es sind dis vortrefliche Menschen ganz originell blos Natur und Kraft – ich halte mich an sie wie an Blutsverwandte, u sie sorgen wie solche für unsre Bequemlichkeit und unser Vergnügen – solche einfache und zuverläßigen Menschen sind so selten!

|5 Vor einigen Wochen machten wir eine Fahrt nach Liebenstein und hielten uns drei Tage als Gäste des Herzogs dort auf . Es liegt 6 Stunden von hier aber die Gegend ist auffallend verändert und schöner. Ich sah die bekante Höhe deren wirkliche Beschaffenheit von keiner Phantasie übertroffen werden kann. Das freie Leben einer Badgeselschaft war mir noch unbekant, und das Zusammentreffen so vieler Fremden aus allen Gegenden (nur nicht aus Berlin!) war mir sehr intreßant. Dort hörte ich, glaube ich, das gewesene Fräulein Irwing sei gestorben, ist das wahr? Sollten Sie zufällig die alte Kannewurf u ihre Tochter wiedersehen, so grüßen Sie sie u danken ihnen für ihren guten Willen den ich sehr gern annehme. Mein Mann denkt Ihnen sehr für Ihren Brief , u ich muß ihn entschuldigen, daß er ihn heute nicht beantwortet, sein vierter Titan geht ab, da mit der Erscheinung des 5 ten Theils auf Ostern das ganze Werk beendigt wird .

Er grüßt Sie kindlich, und ich umarme Sie in Gedanken geliebter Vater! Gott erhalte Sie gesund, und mir Ihre Liebe – mir war bange ich hätte etwas davon verloren seit des verfehlten Wiedersehens, aber Ihr gütiger Brief hat mich wieder beruhigt. Guter theurer Vater leben Sie wohl u werden Sie glüklich.

Ihre


ewige Caroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 30. August 1802, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0510


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. u 1 Bl. 8°, 5 S. Auf S. 1 Datum vfrH ergänzt: 1802. Einige Unterstreichungen vfrH mit blauem Stift.


Korrespondenz

A: (Vmtl.) Von Johann Siegfried Wilhelm Mayer an Caroline Richter. Berlin, 24. September 1802, Freitag