Von Rosalie von Ungern-Sternberg an Caroline Richter. Mannheim, 4. bis 18. Januar 1818, Sonntag bis Sonntag

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Mannheim d. 4t Jan
1818.

Schon längst hätte ich Ihnen theure Freundin! gesagt, wie innig mich Ihr lieber Brief erfreut hat; wie beglükend mir das Wiedersehen Ihres lieben Mannes war , und wie Ihr Andenken ewig in mir leben wird; Aber Sie sind selbst eine zu gute Mutter und Haußfrau, als daß ich die tausend kleinen Störungen erwähnen dürfte die mich von meinen Schreibtisch entfernen, wenn ich eine solche seyn will.

Wo soll ich anfangen und wo soll ich enden Ihnen die Lieblichkeit des Taufpathchens meines Freundes zu beschreiben. Könte ich Ihnen nur diesen kleinen Rafael zeigen, wie freundlich sein Gesicht und wie geistreich sein Auge. Ich glaube auch fest an den geistigen Einfluß den eine solche Gevatterschaft hat, denn auffallend ist seine Entwikelung. An seiner Wiege hole ich mir auch oft Trost, für den namenlosen Kummer den der Anblik meines armen Mariechens mir giebt. Mit 7 Monathen kam dies arme Wesen auf die Welt, und hat nun seit beynahe 2 Jahren keine gesunde Stunde. Es bedarf noch die Pflege eines Wochenkindes und ist in allen noch so, daß ich nicht denken mag was daraus wird. Es ist weiß wie Marmor, und schläft es, so lausche ich oft auf ihren Athemzug in der Angst |2 daß es nicht mehr erwacht. Und so wie in diesen beyden Kindern mich Schmerz und Freude anblik t e n so war ununterbrochen der Gang meines wunderbaren Schiksals, seit Sie mich kennen, und ich Sie nicht mehr sah. Ach! wie oft sehnte ich mich nach einer mündlichen Mittheilung mit Ihnen geliebte Freundin! die mich noch heute wie damals anhören, und begreifen würde. Was ist ein Brief gegen die Sprache des Herzens zum Herzen, bey dem seeligen Wiedersehen. – Auch Ihre lieben Kinder möchte ich sehen; wie viel Trost und Freude wird Ihnen durch sie werden wenn sie in Ihrer Nähe sich entwickeln. Kämen sie doch alle in unsere Nähe daß ich Ihnen allen sagen könte wie lieb und theuer Sie mir sind. Was mich unendlich gefreut hat ist, daß Sternberg von Ihrem Manne erkannt und geliebt wird. Nicht ein jeder versteht ihn, und bey einem sehr wunden Gemüthe, das eine harte Vergangenheit ihm gab, theilt er sich auch Wenigen mit. Seit unserer Ehe sah ich ihn nie so heiter und seelig als die Zeit wo Ihr Mann bey uns war, den er schon immer so sehr liebte. Seine Bildung und Herzensgüte begründen mein häußliches Glük, und die guten Kinder die ich mir ganz angeeignet , lohnen durch treue Anhänglichkeit das, was ich mit Liebe für sie that. |3 Ich hörte vor kurzen mit großer Theilnahme das harte Schiksal das die gute Dobenek betroffen hat . Wie viel werden auch Sie dabey gelitten haben! Sagen Sie ihr ein Wort des innigsten Mitgefühls von mir, Liebe, Theure.

Nun ist meine Schwester Lenz auch nicht mehr in Ihrer Nähe, wie meine gute Mutter mir schreibt, die sie kürzlich in ihrer Einsamkeit gesehen hat . Für Theresens Gesundheit und die Erziehung der Kinder ist mir dieser Wechsel lieb und beruhigend. Wenn ich nur einmal recht aufrichtig erfahren könte, ob der Husten der so abwechselnd immer bey ihr wiederkömmt, nicht noch bedenklich werden kan. Es ängstiget mich oft. Gern wäre ich längst schon einmal wieder in die Heimat gewandert – doch sollte es nicht seyn und wenn ichs recht lebhaft denke – ist es vielleicht besser so. Aber die frohe Hoffnung, Sie geliebte Freundin! mit Ihren herrlichen Mann, und den lieben Kindern, recht bald wieder zu sehen pflege ich treu im Herzen. Voß in Heidelberg und mehrere redliche Freunde daselbst bestärken mich darin, und ich bitte mit ihnen: kommt doch ja Ihr Guten! Bis dahin läuft mein Augustus

so heißt unser Kleiner, weil Sternberg behauptet dieß sey Ihres Mannes eigentlicher Name.
seinen lieben |4 Pathen entgegen; denn schon jezt hält man ihn mit Mühe. Er giebt ein Händchen, und sieht alle Gegenstände mit seinen lieben blauen großen Augen so bestimmt an, und ist so voll Leben und Lust, daß wir Alle überglüklich sind. Erst seit vorigen Monath ist mein Mann von einer Reise nach Stuttgart und München zurük gekommen und arbeitet nun wieder fleißig. Hier enteilt die Zeit nur zu schnell unter 4 Kindern die so verschiedenartige Pflege bedürfen. Lilla, 11 Jahre alt, ist ein liebes freundliches Wesen mit viel Phantasie ohne bedeutende Verstandeskräfte; Karl, 8 Jahr alt, ein schöner, lieblicher Knabe, voll Geist und Leben – würde bald ein kleiner Haus Tirann und die ältere Schwester zur Sklavin machen wenn mann nicht ins Mittel träte. Beyde sind sehr schwer zu erziehen, da Lilla von Natur verschlossen ist, und Karl gar leicht durch sehr viel Liebenswürdigkeit besticht. Sie sind immer um uns, freuen sich der jungen Geschwister und werden gewiß zu unseren Trost heran reifen. Es ist ein großes Unternehmen, zweyte Mutter zu werden! und wird nur dann leichter wenn mann selbst Mutter wird weil mann dann erst fühlt was diese Armen verlorn Ich kan Ihnen nicht genug herzliches auftragen Ihren Mann von uns, Vincentis die durch die Stammbuchblätter fast berühmt waren und innig danken. Alle Freunde Ihres Mannes

grüßen auch Sie und wollen Ihnen im voraus empfohlen seyn. Möchten Sie mir doch bald – recht bald wieder ein liebes Wort sagen; mein leztes liebstes bleibt daß ich unverändert binIhreRosalie v. U. St.

geendigt d. 18t Jan.

Zitierhinweis

Von Rosalie von Ungern-Sternberg an Caroline Richter. Mannheim, 4. bis 18. Januar 1818, Sonntag bis Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0814


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.