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Meiningen den 24n Mai 1808.

Mein verehrtester Freund! Diesen Brief bringt Ihnen der Cammerreferendar Georg Keßler aus Berlin, von Geburt ein Franke, am Herzen ein wahrhaft leidenschaftlicher Deutscher. In jener grossen verderbten Babel hat er sich ein edles, warmes, ungemein reines und jungfräuliches Herz zu bewahren gewußt, wie Ihnen schon sein redliches Gesicht zeigen muß. Ich liebe ihn von ganzem Herzen. Literatur, Sprachen, besonders aber eine schön und frey ausgebildete Menschheit – das sind die Eigenschaften an ihm, derenthalben ich es getrost wage, Sie um ein gastliches Nachtlager für ihn zu bitten. Denn er hat, als ich ihm Bettenburg schilderte, recht darnach geschmachtet, Ihre liebe Hand einmal zu fassen, indem er durch Ihre Gegend nach der Schweiz reist.

Unsre Hieherreise war gerade so glücklich und ohne Anstoß als die Hinreise . Leider konnten wir von Ihrer gütigen Empfehlung an Herrn Burkhardt keinen Gebrauch machen, da wir eben zur Kirchenzeit durch Mellerstadt kamen. — Zu einer andern Zeit würde uns der Verlust einer so lieben Bekanntschaft viel näher gegangen seyn, als an jenem Tage, aber damals waren unsre Herzen viel zu voll von Ihrem eignen Bilde, ewig verehrter Mann, als daß die Sache tiefen Eindruck auf uns hätte machen können.O tausend Dank, Bester, für Ihre Liebe – für die Geduld, mit der Sie mich ertrugen – für all die seligen Augenblicke, die mir an Ihrer Hand, an Ihrem Herzen zu Theil wurden – für die Freundlichkeit, mit der Sie uns Ihr schönes Leben beschauen und geniessen liessen – mit der Sie uns die Vorhänge Ihrer herrlichen, köstlichen Natur und jenes idealischen Landlebens aufrollten, das mir ewig unvergeßlich bleibt! – Ja, ich bin nunmehr zufrieden. Ihr Bild, |2 Ihr Ganzes, Geliebter, lebt nun vollständig und in allen seinen Bettenburger häuslichen und thätigen schönen Bewegungen, lebendig und frisch in meiner Seele – und so soll es leben, bis mich die Zeit verändert zur wiederaufflatternden Psyche einer heiligern Welt. – Vergessen Sie meiner ewig nicht!

Über die Innschrift an Ihr Minnesingerdenkmal habe ich viel nachgedacht, und wohl zehn verschiedene Innschriften gemacht. Aber die beste und einzig schickliche bleibt mir immer die:

Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang.

D. Martin Luther.

Denn ich habe über dem Dichten gefunden, daß so Etwas gar nicht jetzt erst gedichtet werden muß, sondern einzig, als schon vorhanden, zu wählen ist aus dem Vorrathe jener abgeblühten Zeit, deren Mitgenoß der brave Luther selber war. Und wie schön ist nicht der Gedanke – und wie passend sind nicht gerade die [...] berühmten Worte für diese Stelle! —Dixi! –

Leben Sie wohl, edler, reiner Mensch! Ewig

Ihr

treuer und dankbarer
JEWagner

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 24. Mai 1808, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0880


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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Bl. 4°, 2 S.

Überlieferung

D: Briefe über den Dichter Ernst Wagner, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 2, Schmalkalden: Varnhagen 1826, S. 121–123 (ungenau, unvollständig).

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 234–236 (ungenau, unvollständig).