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Bettenburg den 26ten May 1810.

Gute, herrliche, reiche u. reine Menschen und der Frühling, waren bey mir eingekehrt. Ich wollte und mußte der trefflichen Königsbraut Therese Lebewohl sagen, und doch wäre ich bey alle der Ueberfülle und den Reichthum ein ganz armer Sünder geblieben, hätte ich nicht durch unsern Könitz Ihnen, kindlichreicher Wagner! zuweilen Grüße und freundliche Mittheilungen geben laßen. Jetzo will ich alle Schuld, die noch seit dem Empfang Ihres lieblichen Briefes vom 16ten April auf mir lastet, abwälzen.

Eine Schuld habe ich schon früher abgewälzt; ich ließ nämlich durch Könitz unserer würdigen Herzogin danken daß sie Ihnen jetzo schon nicht allein sorgenfreyen, sondern auch einen frohen Blick für die Zukunft Ihrer hoffnungsvollen Knaben gab. Der Weimarische Müller war bey mir, und brachte mir die frohe Nachricht, daß er Sie gesünder und heiterer, als bey seinen vorigen Sehen gefunden hätte. Und auch er prieß mit mir die Humanität der Fürstin, die durch die frühe Zusage deßen, was sie sicher dereinst würde gethan haben, |2 den Lebenden noch den trefflichsten Genuß bereitete. Und lieber, Herzens Wagner! da Ihnen nun diese Sorge entnommen ist, so sorge auch ich nicht mehr länger für Ihre noch lange Fortdauer, sondern ich hoffe würklich wie nun wieder [...] auf ein Zunehmen Ihrer phisischen Kräfte; und so Dank, und Amen.

Aber einen andern Dank muß ich Ihnen, und vielleicht noch mehr Schwendlern, bringen, den ich recht freundlich zu spediren bitte, nämlich für die Bekanntschaft des Weimarischen Müllers. Sie beyde machten mir schon früher Hoffnung dazu; ich war Ihnen dafür dankbar, aber nun bin ich es in sehr hohen Grade, denn ich müßte mich ganz irren, wenn nicht dieser Mann bey aller seiner Diplomatik, sich die Reinheit der Seele und des Willens behalten hätte. Der helle Kopf gukt überall hervor. Mir waren die wenigen Stunden die er nur bey mir weilen konnte, nicht allein sehr belehrend, sondern auch in rein menschlicher Hinsicht, wohlthätig. Möchte er öfter bey mir einsprechen.

Ehe ich Ihren Brief wieder überhöre will ich mich erst gar selbst abraspeln. Eigentliche Sachen für unser Fach (ich sage unser, weil ich es mit so warmer Seele aufnehme ob ich gleich nichts hervorbringe) habe ich zeither fast gar nicht |3 gehört, theils, weil mir sehr intereßante Menschen viel geben, und auch theils, weil mir uninteressante Journale viel Zeit wegnahmen, und — der Frühling. Von einem echten Richterianer im Geist und Anbetung, dem Profeßor Dr. Lebret aus Stuttgardt, muß ich Ihnen einst viel erzählen. Leider! brachte er mir die traurige Kunde, von der sehr bedenklichen Gesundheit unseres trefflichen Wangenheims, der in Stuttgardt so geschäzt wird als er es verdient, und immer mehr verdienen wird. Irre ich nicht, so ließ ich mich davon etwas bey Könitz verlauten; doch zur Freude aller Wangenheimischen Freunde sey nun gesagt: daß mir Nachrichten wurden, die alle Sorgen für Wangenheims körperliche Leiden heben. Mit meiner Gesundheit geht es, seitdem ich Wein frühstücke, recht gut. Mein Gewürge ist fast ganz vorüber, und da ich mir gleich anfangs, so wohl in der Qualität als Quantität enge Schranken setzte, so kann ich steigern, und hoffe daher für viele Jahre auszulangen. Könitz versprach mir nachzugehen; ob er schon im Gange ist?Zum ganz brillanten fehlte den Frühling oft die Wärme, doch hoffe ich, daß das naße Gesudel die Obstgenüße sehr begünstigen wird. Zu einer reichen Kirschen-Erndte habe |4 ich jetzo noch viele Aussichten, dann will ich mich aber auch recht daran halten, und für Cotta hinarbeiten. Jetzo schon konnte ich mit diesen wackern Buchhändler noch keine endliche Rücksprache nehmen. Cotta versprach mir, bey unsern erstern, und ich glaube freundlichen Sehen, mich einst bey seinem Rückweg aufzusuchen. Möchte er dies jetzt thun, denn es ist recht freundlich um mich.Wie wohl mir bey Baierns künftigen Beherscher war, davon sprach Könitz mit Ihnen, und doch habe ich noch gar viel zu sagen, da ß s sich nicht alles so schreiben läßt. Auch Müller kennt diesen Trefflichen; doch möchte ich fast glauben, daß sein Charakter seit dem polnischen Krieg noch fester geworden ist. Nun habe ich mich, und vielleicht zur Uebergnüge, abgehaspelt.

Unser Könitz hat Ihre Charade recht wacker belogogrypht . Ich ließ mir beyde abschreiben und die Originale folgen für Euch zurück . Als Impremtü sagt man selten Lüge, und Könitz jetzo bestimmt nicht. Ihr beyde lieben Herrn warnt wahr, und wie es der Wahrheit gebührt, glänzend geistvoll. Ihnen vorzüglich lieber Ernst! reiche ich wieder dankend die Hand, daß Sie meinen Nahmen mit dem von Könitz zugleich aussprachen; nur wollte ich noch, daß Sie |5 mich dies hätten dictiren hören, sie wären mir sicher um den Hals gefallen und Könitz dazu. Auch der wackere Studnitz hatte recht.

Es ist mir lieb daß ich den Punkt: Ihrer Kinder Geschick und Ihrer Beruhigung, früher mit meinem eigenen Ich abhaspelte. Denn nun, da ich Ihren herzlichen Brief zum letztenmal hörte, bin ich ganz weich geworden. Drücken Sie Ihre Knaben fest an sich und segnen sie und beten für unsers Georgs hinterlaßenes Weib. Sie soll diesen Brief dereinst sehen, nämlich den Ihrigen an mich. Nein, es muß gleich, noch vor ihrer Reiße seyn; ich sende ihn daher mit dieser Post Könitzen. Für heute genug; leben Sie recht wohl. Auch einen Gruß an unsern Mosengeil. Möchte er bey seiner Reiße mit Ihren Augen sehen können und alles für Sie aufgezeichnet zum dereinstigen Verweben mitbringen. Lebe recht wohl lieber Ernst!

Truchsesz

|6 N. S.
Ich muß doch noch ein paar Worte mit dem lieben Ernst den Schriftsteller, sprechen. Daß Cotta ein Ehrenmann ist, hat mir geahndet. Ihren Ferdinand Miller kaufte ich mir in Würzburg. Aufrichtig gestanden, wie ich immer bin und auch seyn muß, ich freue mich mehr auf Ihre Isidora d. h. ich freue mich recht sehr darauf als auf Ihr A. B. C. Daß nun zu der Isidora der 2te Theil hinzukommt , darum habe ich nun jetzo gar keine Sorge. Ich hoffe nun auch (u. hier guckt der Egoist hervor) daß Sie nun meinen Plan aufgreifen und der Reiße aus der Fremde in die Heimath, auch den 3ten Theil geben werden . Freylich möchte ich, daß Sie vorher erst noch den Villers beguckten , und ich spreche dies jetzo mit reiner Ueberzeugung nach alle der hohen Rührung, in welcher ich vor wenigen Momenten war, aus, und bin überzeugt, daß diese meine Ueberzeugung mich nie so erkälten wird, daß ich nicht der höchsten Rührung fähig bleiben sollte. Ich wollte Sie comunicirten einmal mit dem lichten Dämmerungsschreiber über das Hinneigen zum Catolicißmuß.

Den 28ten May.

Beym Zusammenbrechen für die Post überhörte ich mein Gesagtes |7 noch einmal. Statt Hinneigen zum Catholizismus würde ich jetzo sagen: zu liebliches Ausmahlen des katolischen Cultus, denn ich kann mir nicht denken, daß mein frommer kindlicher Ernst sich wirklich zu etwas hinneigen sollte, von welchen sich seine Vor-Eltern, nach reifer Ueberzeugung losrißen und bis zu seinen Vater hinauf Gott für dies Losreißen dankten. Aber das zu liebliche Ausmahlen besticht die Fantasie und dann stolpert man über Dogmen hinaus, oder fliegt darüber hin über welche der reine Verstand, und also auch das reine Herz ohne bestochene Fantasie, wieder hinweg gestolpert noch geflogen wäre.

Zitierhinweis

Von Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen an Johann Ernst Wagner. Bettenburg, 26. und 28. Mai 1810, Sonnabend und Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0927


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Textgrundlage

H: Baumbachhaus Meiningen, IN XIV-3/6531
2 Dbl. 4°, 6⅔ S.

Überlieferung

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 165–172 (unvollständig, ungenau).


Korrespondenz

B: Von Johann Ernst Wagner an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 16. April 1810