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Bayreuth, den 14. Juni 1826.

Lieber herrlicher Freund! Unsere auf dem heiligsten Boden neuerlich wieder erstandene Annäherung giebt mir wohl ein Recht und eine Pflicht, Sie von dem frohen Ereignis zu unterrichten , welches allein unter allen irdischen meine Seele bewegen und zur innigsten Heiterkeit stimmen konnte. Ich habe einen Sohn gefunden, lieber Thieriot, indem ich eine Tochter verlieren werde. Meine, unsere Emma wurde gewählt von einem herrlichen jungen Manne, einem Künstler Ernst Förster aus Altenburg, einem Maler. Im Dezember 1825 verirrte er sich hierher, und eines Freundes halber, den er gern sehen wollte, verweilte er einige Tage bei uns, in ununterbrochenem Zusammensein, und wir fühlten gegenseitig ein so grenzenloses Vertrauen, welches durch seinen Geist und seine Bildung für uns gehoben wurde, so wie wir für ihn, durch die ewig durchstralende Sonne des hohen Verdienstes unseres Unsterblichen. Er ging fort, um in München fleissig unter seinem Cornelius zu sein, allein wir blieben durch Briefe verbunden, und seine ganze Seele ergoss sich in Mittheilungen an Emma. Ich liess sie in ihrer kindlichen Unbefangenheit ihm antworten; denn ihr Geist bedurfte einer solchen Ideenstärkung, da ihr Gemüth zu tief durch den Verlust des Vaters geknickt war. Ich kann nicht läugnen, dass ich schon von Anfang an gewünscht, diese beiden gleichartigen Wesen möchten sich für das ganze Leben und die Ewigkeit einander gefunden haben!

Im Frühling kam er wieder, um hier ein Gemälde auf den Tod eines Kindes zu fertigen, und ob er gleich bei Herders wohnte, bot ich ihm, zum Malen, meine überflüssigen schöngelegenen Zimmer an. Seitdem lebt er nun den ganzen Tag mit uns, und endlich hat sich's ausgesprochen, was vielleicht dunkel in seiner Seele lag . Wir sind sehr glücklich, lieber Thieriot, und ich, die bange Mutter, habe für alle unsere Verhältnisse unaussprechlichen Trost. Ich kann ihm alle unsere Sorgen anvertrauen, ihm alle unsere geistigen Schätze mittheilen, die von seiner für's Edle begeisterten Seele mit kräftigem Enthusiasmus, doch ohne krankhafte Weichheit, aufgenommen werden. Und so theilte ich ihm auch Ihre Briefe mit, die ihn zu einem grossen Antheil für Sie bewegten, wovon sein hier beiliegendes Blatt an Sie ein Beweis ist.

Wenn wir, wie Emanuel glaubt, Sie hier sehen werden, gewinnt er gewiss ihre Liebe – in jedem Fall aber besucht er Sie in Wiesbaden, denn er hat noch in diesem Sommer eine Reise vor. Ich fand gleich eine grosse, auch äussere Ähnlichkeit mit Ihnen, so wie Sie in meiner Erinnerung fortleben, und finde auch eine innere, die mir herzliche Freude macht. Emma verbindet sich aber nicht allein mit ihm, sondern mit einem ganzen Kreise der ausgezeichnetsten Menschen, durch seine weitverbreitete Familie und durch den Gelehrtenkreis in Berlin, München, Dresden, Bonn, wo er überall geliebt und höchst geachtet ist. Indem nun all Diese die Freunde ihres seligen Vaters waren, so urtheilen Sie selbst, ob die Tochter Jean Paul's nicht in dem ihr durch Geburt und Erziehung angewiesenen Kreise bleibt? Und ist dieses nicht das zweite höchste Glück der Erde? Guter Thieriot, geben Sie den Kindern ihren Segen und Ihre fernere Liebe! Unter den herzlichsten Empfehlungen an Ihre geliebte geistreiche Frau ewig

Ihre Caroline.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 14. Juni 1826, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1026


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Textgrundlage

D: Karl Schwartz: Lebensnachrichten über Jean Paul's Geistesverwandten und Freund Paul Emil Thieriot. In: Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung. Bd. 18 (1883/84), Wiesbaden 1884, S. 129-130.


Korrespondenz

Mit dem Brief Emanuel Osmunds an Thieriot vom 13. Juni 1826 mitgeschickt.