Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
B. Sontags den 28ten Sept.
1822.

Geliebtes Kind!

Heute erhielten wir Deinen Brief , und Du kannst denken wie wehmütig er mich machte. Gewis empfindet Niemand so sehr wie ich, das Schmerzliche Deiner Täuschung , und ich habe die ganze Woche um Dich gelitten. Ich hätte Dir auch schon gleich nach dem Empfang Deines vorletzten Briefes geschrieben, hätte ich nicht geglaubt früher als ein Brief bei Dir zu sein. Aber sei nur nicht böse, wenn auch mein Vorhaben sich nicht so schnell realisirt hat, und habe Mitleid mit Deiner armen Mutter. Ich habe erst diese Woche an eine warme Reisekleanzug denken können. Noch war ich nicht im Stande an mich zu denken, und nun zieht sich jede Arbeit in die Länge, dabei mußte ich immer nach meinen dürren Zwetschgen sehen, die theils auf dem Ofen der Kochstube, theils auf dem des Vaters liegen. Du glaubst nicht wie viel Häusliches von dem ich immer wieder durch andere Sorgen abgezogen werde, zu thun war.

|2 Eben ist Fanny und Luise Welden gekommen die Dich herzlich grüßen lassen, was mich aber auch jetzt sehr stört, da ich dieses schreibe.

Gestern am Sonnabend Abend kam R. R. Hecht und erzählte so viel Liebes und Gutes von Dir, daß ich einmal wieder recht innig froh war. Er sagte Heine erwartete von Dir, eine vollkommene Heilung so gut ginge die Cur, wenn man ihm nur Zeit ließe. Da Du meine Zweifelsucht kennst und meine völlige Resignation auf alles was Glück heißt, so kannst Du Dir denken wie glücklich mich dies machen mußte. Welch ein Lohn wäre das für unser Opfer! Noch einmal könnte mir das Leben lächeln wenn Du geliebtes Kind vollkommen hergestellt werden könntest. Ich konnte mir es nie denken.

|3 Warte noch ein wenig mit Deinem Mantel ich werde alle möglichen Flicken mitbringen wir müssen gegenseitig unsere verwundeten Kleidungstücke ergänzen. Ich habe ein schwarzes Merino Mäntelchen aus einem Shawl und dem ältesten schwarzen Merino Kleid herausgebracht, mit der Emma alten Florence Mantel, gefüttert, und habe keinen xr Geld dafür ausgegeben. Hecht lobt sehr Dein Äußeres, und Deine Augen, wenigsten sprach Charlotte Barner mit Emphase davon, wie er es an Frau v. Kettenburg erzählt hat.

Warte nur nicht auf mich, es ist besser – aber ich komme gewis. Schreibe bald wieder. Die Trauben wirst Du doch gegessen haben?

|4 Daß Du in des Vaters Nichtkommen eine große Täuschung erfahren ist wahr, allein das schlimme Wetter muß Dich trösten. Wenn er nun unmuthig neben Dir gesessen wäre, hättest Du froh sein können? Und gewis Du würdest es bereut haben, Veranlassung zu einer solchen Reise gewesen zu sein. Du weißt ja, wie viel er erwartet und wie wenig ihm genügt. Er ist jetzt gesund und heiter, und hat manche gesellschaftliche Freude. Vorgestern war er im Freischütz und höchst zufrieden. Heute wird Emma hinein gehen. Am Donnerstag war Thée dansant bei Weldens, wo Emma sehr glücklich war.

Nun lebe wohl, geliebtes Herzenskind. Bleibe gesund, und lebe nur ganz allein Deiner Kur Du brauchst gar nichts zu arbeiten, Emma denkt an Nichts, ich erklärte mir nur dadurch Dein Schweigen.

Lebe wohl Geliebte

Deine treuste Mutter
Caroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Odilie Richter. Bayreuth, 29. September 1822, Sonntag . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0028


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.


Korrespondenz

Zur Datierung: Caroline Richter hat sich hier im Datum geirrt, nicht der 28., sondern der 29. September 1822 war ein Sonntag.