Von Eduard Pohl an Caroline Richter. Berlin, 24. November 1825, Donnerstag

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Berlin den 24ten November
1825.

Verehrungwürdigste Frau Legationsräthin!

Voll tiefer Wehmuth blickte mein thränenfeuchtes Auge die welkenden Fluren an und den entblätterten Wald von Nebel und Wolken dicht umhangen und mein Herz trauerte über der großen Ruhestätte der Erde; da öffnet sich ihr dunkler Schooß und sie nimt auch den von unsrer Aller Herzen, den wir Alle so unendlich lieben ! – Ich rufe den Engel der Tröstung, daß er komme und Frieden bringe, zumal Ihnen und den theuren Kindern, die Seiner liebenden Brust am nächsten standen, aber dann auch mir und Allen, die tieferschüttert zur Seite des Entschlummerten stehn und sich selbst beweinen, daß sie von Ihm verlassen sind. Vergangnen Sonntag feierten wir das allgemeine Todtenfest und meine Seele schwebte um die Gräber aller derer, die einst groß und herrlich über die Erde gegangen waren; – ich wußte noch nicht, daß auch der Theure sich ihnen angereiht hatte! – Da wurde ich recht schmerzlich bewegt über |2 des Menschen Loos; aber schnell that sich der düstre Wolkenschleier auf und die ewige Sonne der Liebe und Wahrheit erleuchtete und erwärmte das trauernde Herz. O nein, nein! diese Sehnsucht, die der allmächtige Vater uns gab nach seinem wunderbaren Lichte, sie kann nicht lügen! Wahrhaftig sind alle Offenbarungen des Wahrhaftigen in dem Sohne seiner ewigen Vaterliebe, in der Natur und in der zitternden Menschenbrust! Ja, ich wurde aufgerichtet durch den himmlischen Trost seines Evangeliums und gestärkt und erhoben verließ ich, begleitet von dem glaubensvollen Gesange unsers seligen Klopstocks: "Auferstehn, ja auferstehn wirst Du mein Staub nach kurzer Ruh! die dämmernden Hallen des Gotteshauses. Ja wir finden Ihn einst wieder! Er ging uns nur auf kurze Zeit voran zu den Wohnungen des ewigen Friedens, wo keine Trennung mehr die liebenden Seelen trübt, über die Jahre der Trauer fliegt Ihm unsre gläubige |3 Hoffnung nach und bald stehen sie hinter uns, wie ein kurzer schwühler Traum! O meine Hochverehrte! – lassen Sie mich Sie mit dem Namen nennen, den Ihnen in jener seligen Stunde des Friedens mein begeistertes Herz entgegenrief und welchen nun das trauernde zu gleichem Schmerzgefühl verbundene wiederholt, meine theure Mutter! kann das Wort eines Jünglings Ihren großen Schmerz mildern, der in dem Hingeschiedenen das Schönste beweint, was ihm auf Erden zu Theil ward? – Mögen doch unsre Thränen fließen: sie sind das Opfer unsrer Liebe; aber mögen sie Ihm würdig fließen und auf Seinem Grabhügel die Blumen der Hoffnung hervorrufen, die auch Sein seliger Geist hinieden pflegte und zu einem unverwelklichen Kranze verband. Ja, Sein hoher Geist lispelt mir vernehmlich zu: wir sehen uns alle einst wieder! Dort, wo das entschleierte Auge selig lächelnd den heitern Morgen der Ewigkeit begrüßt, wo Liebe unsre Seelen ewig beglückend verbindet!

|4 Ach ich halte ja ein Blüthenblatt des unverwelklichen geistigen Frühlings der Seelen von dem Herrlichen in meiner Hand und benetze es mit meinen Thränen! Es soll mich aufrichten die späte trübe Abenddämmerung des Erdenlebens hindurch, bis ich dort den Frühling der Liebe mit verklärten Blicken ewig schaue. Nein, das Grab ist nicht furchtbar, nicht ewig verschlossen! Es ist geheiligt durch den Heiligen Gottes, welcher auch einst darin geruht, geheiligt durch die Engelsgestalten, die einst dem trauernden Herzen einer Maria daraus zuriefen: den du suchest, der ist nicht hier, er ist auferstanden! – So ruft auch uns der Geist des Lebens zu: er ist nicht hier im Staube, den Eure Seele liebt, er ist bei Gott! Nur auf kurze Zeit verbarg uns die Wolke des Todes den Herrlichen und wir folgen der Glorie sSeines Geistes bis Er uns jenseits des dunklen Gewölks mit neuem Strahlenglanze entgegentritt! Der Gott der Liebe und der Wahrheit sei mit Ihnen Allen, und des Verklärten Geist erhebe zu stiller Wiedersehens-Hoffnung Ihre trauernden Herzen! -

Mit Achtung und Ehrerbietung

Ihr

mittrauernder
Eduard Pohl.

Zitierhinweis

Von Eduard Pohl an Caroline Richter. Berlin, 24. November 1825, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0050


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 4 S.


Korrespondenz

Pohl hatte zu Jean Pauls Tod auch zwei Gedichte verfasst, die in seiner Sammlung "Lyrische Gedichte" erschienen sind (vgl. Berend/Krogoll, 245, Nr. 2309-2310).