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Meine liebe Caroline!

ich eile Deinen Brief vom 4. May zu beantworten, weil Du den Preiß Deiner Gemüths Ruhe darauf setzest. Allerdings habe ich bey aller Gerechtigkeit, die ich Deinen Absichten für Minna u für mich wiederfahren laße, dennoch eine unrichtige Ansicht meines Benehmens in Vertheydigung von Minnas Rechten anzutreffen geglaubt, und Du hast mir selbst den Stoß dazu geliefert, nachdem Du laut auf Minnas freyes (das ist von meinem Einfluß unabhängiges) dispositions Recht über das ihrige sprachst. Diß hat mich auch um so mehr ergriffen, als der theure Herr Brockhauss immer in demselben Tone spricht; u als er sich gegen Minna rühmte, Du würdest ihn u sie frey machen.

Mein Benehmen kann billiger Weise nie anders angesehen werden, als das eines Vaters, der in einem Alter von 64. Jahren nicht gleichgültig seyn kann, ob seine Tochter bettelarm gemacht wird, und der sich zu ihrer Vertheydigung überhaupt schon durch die Natur berufen fühlt.

|2 Übrigens kann von einem Prozeß mit den Altenburger Freunden des Herrn Brockhauss nur dann die Rede seyn, wenn Sie sich auf die von ihnen verlangte Berechnung der für Minna geschehenen Verwendungen (versteht sich für Minna u ihre Umgebungen) nicht einlaßen; sondern auch ihre an Herrn Brockhauss habende Ansprüche auf Minnas Rechnung setzen wollen. Hier kömts auf die gesetzlichen Grentzen in Minnas Verbindlichkeit, nicht auf die Aufforderung derselben zu Erfüllung unvollkommener Pflichten an. Denn diese stehen mit den vollkommenen Pflichten die sie sich, ihren Kindern, u mir schuldig ist (weil sie ihre Generositè nur auf meine Kosten üben würde) in Collision; u haben um so weniger Werth, als sie durch die selbstsüchtige Zudringlichkeit des Herrn Brokhauss herbeygeführt sind, der diß arme Weib nur immer als Mittel seiner Erhaltung gebraucht, u in sein Labyrinth hereingezogen hat, so daß wenn ich nicht wäre, sie im Elende umkommen müste.

Was Du von Zweyfeln sagst, die ich über Deine Anerkenntniß desjenigen geäußert haben soll, was meine Frau u ich für Minna u die ihrigen thue, verstehe ich nicht. |3 In Absicht meiner Frau kann mir dergleichen gar nicht eingefallen seyn, da die Sache von selbst spricht, u jeder andere schon den hohen Werth der Aufopferungen erkennen muß, denen meine Frau sich aus Liebe zu mir unterwirft.

In Beziehung auf mich kann ich vielleicht auf dieselbe Verkennung meines Benehmens hingedeutet haben, über die ich jetzt laut geklagt habe.

Es ist mir aber genug meine liebe Caroline, daß Du mir jetzt Gerechtigkeit wiederfahren läßest. Auch hast Du früherhin wohl nur aus Herrn Brockhauss Munde gesprochen, ohne seine Einflüsterungen mit ruhigem Gemüth zu wägen. u ich spreche Dich auch hier frey, je mehr sonst mir unbekanntes zusammen getroffen seyn mag, um Dich zum Sturm auf mich einzuladen, oder eigentlich zu mißbrauchen.

Laß uns das ruhige Verhältniß des wechselseitigen Vertrauens auf Güte unserer Absichten herstellen, und so wenigstens einen Punkt im Leben festhalten, auf den wir beyde, jeder in das Hertz des andern mit Zufriedenheit blicken können. Lebe wohl. Grüße Deinen Mann u küße Deine Kinder.

Dein treuer Vater
Mayer

|4 Dem Herrn Langermann ist neuerlich nichts übles wiederfahren. er ist gesund; und wir haben vor einigen Tagen auf die vom Praesidenten von Manteuffel ausgebrachte Gesundheit Deines Mannes getrunken.

Mein Mann sagt mir er hätte von unseren häuslichen Angelegenheiten nichts geschrieben und Sie werden doch gern wißen wollen wie es mit Julius geth; ich finde äußerst schlecht und es bleibt mir beinah keine Hoffnung zu seiner Wiederherstellung; gestern hat er zum ersten mahl gebadet; heute finde ich ihn beinah schlimmer. er hat gewiß einen innerlichen Schaden, wahrscheinlich in der Lunge, der sein Besserwerden verhindert, denn die eigentliche Krankheiten, nehmlich Lungenentzündung, weißes Friesel u Nervenfieber sind doch nun überstanden.

Die Kriegsräthin Dietrich und ihre Gesellschaft reisen erst anfangs Julius nach Bayreuth zurück, dann soll ich wegen der Kiste wieder anfragen laßen; man hat aber unserem Bedienten wenig Hoffnung gegeben daß sie sie mit nehmen könnten. Sein Sie nachsichtig mit diesen erbärmlichen Zeilen, ich bin krank müde und mit Beschäftigung überladen.

Ihre aufrichtige Freundin
Mayer.

Zitierhinweis

Von Johann Siegfried Wilhelm und Henriette Mayer an Caroline Richter. Berlin, nach dem 4. Mai 1811. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0054


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 3¼ S. von Johann Siegfried Wilhelm Mayer, ¾ S. von Henriette Mayer. Auf S. 1 Datierung vfrH: 8.5.


Korrespondenz

Zur Datierung: Mayer beantwortet mit diesem Brief zeitnah Caroline Richters (nicht überlieferten) Brief vom 4. Mai. Dass es sich um das Jahr 1811 handelt, ergibt sich aus der Thematisierung von Minna Spaziers Lebensumständen, die 1811 nach schwerer Krankheit und gelöster Verlobeung mit Friedrich Arnold Brockhaus beim Vater in Berlin lebte.