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Meiningen, den 27ten Maerz
1810.

Ich schrieb Ihnen, theurer Freund, vor einigen Tagen in einem Briefe meiner Antonie einige Zeilen in solcher Eile und in einer so störenden Umgebung, daß ich mir kaum zu sagen weiß, ob nur einiger Sinn in meinen Worten war. Denken Sie, zwey französische Officiere in meinem Zimmer, Amanda am Clavier, und Pauline den kleinen Reinhold auf dem Schoße. Herzlich sehnte ich mich ein Stündchen Ruhe zu finden, um mit Muße meinem Freunde zu schreiben, dem ich vieles, mir sehr wichtiges zu sagen habe, aber auch nach einer sichern Gelegenheit um ihn meinen Brief einzuhändigen. Beydes bietet sich mir in diesem Augenblike dar, das Anerbieten des Justitz Rath Deahna, Ihnen diesen einzuhändigen, ist mir sehr werth.

Anliegend theile ich Ihnen einen Brief mit von meinem Sohn Leopold . Sie wißen, Guter, wie schon einmahl ich Ihnen meinem Kummer klagte, ob ich mich wohl je dieses Sohnes werde freuen können; der als Kind so viel versprach und in dem Uebergang vom Knaben zum Jünglinge mir so unendliche Besorgniße für |2 seinen moralischen Karakter gab . Trügt mich mein mütterliches Gefühl nicht ganz – und darüber sollen Sie, Emanuel entscheiden – so hat das Schiksahl mächtig in Leopolds Erziehung mit eingewürkt und er ist jetzt auf dem Wege ein nützlicher und edler Mensch zu werden . Gott, ich kann Ihnen nicht sagen, wie mich der Brief ergriff und die Schilderung von seinem Leben. Ich dächte es wäre alles kindlich unschuldig dargestellt, sollte ich mich irren, so sagen Sie mir es, ich will mich nicht über meine Kinder verblenden, nicht über ihre guten Eigenschaften nicht über ihre Fehler. Die Elterliche Erziehung bleibt ewig Stükwerk wenn nicht das Schiksahl sich mit einmischt, auch mich hat es erzogen und wenngleich unter harten Weisungen doch zu meinem Nutzen.

Anbei, Theurer, wann wird denn das Schiksahl mir Amanda, erziehen helfen. Wie viel fehlt und welche Lüken bemerke ich täglich. Ueber ihre Sinnlichkeit hätten Sie mich wohl beruhigt aber welcher Leidenschaftlichkeit in ihrem ganzen Wesen, welche Unmäßigkeit bey dem Genuße irgend einer Freude! —

|3 Können Sie glauben, daß Antonie sehr verderblich auf A. wirkt. Das reine hingebende Gemüth von meiner Schwester müßte auf wahre Weiblichkeit vortreflich einwirken, denn dann berührte sich ihr beyderseitiges Wesen, aber bey Amanda, die so wenig Weiblichkeit hat, diese versteht sie nicht. Da überhaupt Antonie keine Energie hat, um heftige Caraktere zu bezwingen auch viel zu viel Weihrauch streut, ohne zu berechnen warum und ob es der Mühe werth ist, so stehe ich natürlich bey Amanda im Verhältniß meiner Schwester zu ihr, in einer unangenehmen Alternative. Wo Antonie lobt, muß ich geradezu tadeln, wo A. meint, mit der Zeit würde sich manches aendern da ruft mich die Pflicht vor Gott auf, zu erklären, daß wo nicht wenigstens der Wille da ist, die That schwerlich mit der Zeit reift. Unbegreiflich ist es mir, wie die besten Menschen in ihren Urtheilen so fehlgreifen können, Caroline schreibt mir letzt , in den vornehmen Ständen brauchten die Weiber die Häuslichkeit beynahe gar nicht, wenn nur Talente da wären. |4 Als sollte nicht Weiblichkeit die Mitgabe jedes Weibes sein, ohne ihr giebts keine Häuslichkeit und ist diese nicht wiederum die Schöpferin der unerläslichsten weiblichen Tugenden, der Ordnung und Reinlichkeit. Wenn die Jungfrau Gattin und Mutter wird, oh dann müssen die Talente oft eine ganze Weile ohne Uebung bleiben. Der Gatte sucht dann weniger fürs Ohr und Auge, aber in Liebe und Treue soll die Gattin ihr Tagwerk beginnen. Die alleinige Uebung der Talente, ist Folge unmäßiger Eitelkeit und Gefallsucht, beyde geziemen der zarten Jungfrau nicht und die Frau machen sie unglüklich.

Richter schrieb mir in denselben Briefe wüthend aber köstlich seine Gegen Meinung. Gewis hat Caroline dabey gelitten, aber Richter hatte Recht.

Oh Gott, Emanuel, könnten Sie mich nur handeln sehen, Antonie sagt, ich sey zu streng, Nein, ich bin es nicht. Ich bin ernst es darf mir nichts entgehen, ich gönne |5 an Amanda jede Freude, wenn sie aber nicht satt wird, wenn sie alles daneben vernachläßigt, ja dann werde ich streng und ein unbeschreiblicher Mißmuth ergreift mich.

Wäre mein S. ein König und hätte Croesus Schätze, er würde gerade von mir fordern, was ich ihm jetzt in einem schlechten bürgerlichen Verhältniß leisten muß. Wir leben aber glüklich, und ich habe die Beruhigung einen edlen Mann, so weit meine Kräfte reichen, frohe Tage zu bereiten. Dies wünsche ich auch bey Amanda, sie soll glüklich machen und glüklich werden. Gott wolle, daß das Schiksahl ihren fernern Lebensweg so einrichte daß sie schlechterdings ihre Kräfte gebrauchen muß, sie hat deren genug und Verstand obendrein. Ich bin fest entschloßen, sie einige Zeit ihrer Stiefmutter – die mit dem Grafen auf dem Lande lebt zu übergeben , wer weiß was ländliche Stille, und eine andre Behandlung bewirken. Sie wird vieles vermißen, was sie hier besaß und wenn andere auch das bey ihr tadeln, was |6 ich an ihr tadelte, so kehrt sie mit Sehnsucht und mehr Vertrauen zurük. Die Gräfin hat zwar viele Standes Vorurtheile und überhaupt einen beschränkten Verstand sie ist aber gut, eine trefliche Hausfrau und erträgt den tollen Grafen mit bewunderungswürdiger Faßung und Ergebung.

Finden Sie meine Idee unrecht Amanda von mir zu thun so sagen Sie mir es. Nützen kann ich ihr in der Zusammenstellung mit meiner Schwester nichts und mein thätiges Beyspiel beachtet sie gar nicht. Antonie war mir als Erzieherin lieber ehe sie in die Schweiz ging , sie hat viel Eigenthümliches verlohren und Fremdes angenommen. Pestalozzi mag vortreflich sein sein Institut trägt aber die Gebrechen der Menschlichkeit, er nun steht from und uneigennützig da, nicht so die andern Lehrer. Antoniens nur zu empfängliches Gemüth und ihre Unbekanntschaft mit der Welt erlag unter dem Contrast den sie |7 fand, moralisch angegriffen mußte ihr Körper leiden. Jetzt ist sie wieder gesund und ihre ruhige Lebensordnung behagt ihr vortreflich. Ein für allemahl, sie ist ein himlisches Wesen, aber fürs praktische Leben taugt sie nicht, und doch verfehlt sie ihre Bestimmung. Unendliches würde sie leisten, betrachtete sie die Welt nach ihren wahren Verhältnißen, und überhaupt ergriff sie nicht eine gute Sache mit einer solchen Ueberspannung die dann nicht ausdauert.

Kommen Sie, Guter, zu uns, belehren Sie mich wo ich zu tadeln bin, und glauben Sie, wenn ich andere tadle, ich mich streng richte.

Wir sind wohl, soll ich mich denn freuen? ich bin abermals hoffende Mutter , Reinhold ist wohl ein Engel, aber welche Sorge macht mir seine Pflege, und wieviel Muse kostet überhaupt jedes Kind. Wo sollen meine Kräfte ausreichen, ich wage es nicht zu gestehen, aber eigentlich betrübt mich mein Zustand. Trösten Sie mich, lieber Emanuel |8 ich klage Ihnen gern, weil Sie mich verstehen und niemand belebt meinen Glauben ans Gute so wahrhaft als Ihr Mensch.

Gute Nacht, es ist spät, meine Engelchen schlafen um mich her, Pauline und Reinhold. Der Schlaf der Kinder ist der schönste Anblik.

Gott sey mit Ihnen

Ich grüße die
Ihrigen

Henriette

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Emanuel. Meiningen, 27. März 1810, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0068


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Textgrundlage

H: Slg. Apelt
2 Dbl., 7½ S. Briefnummerierung vfrH.


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 28. April 1810

Präsentat: 28 Apr. beantw.