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Berneck den 2ten Juny
1808.

Die Hoffnung Sie in Ihrem Hauße zu sprechen liebe Richter! die aber bisher immer durch mein seltenes und kurzes Verweilen in Bayreuth unerfüllt blieb, ist Ursache so später Zurücksendung der anliegenden Briefe , für deren Mittheilung ich Ihnen herzlich danke.

Ich habe sie mit meinem Manne durchgelesen und lange mit ihm darüber gesprochen. Sein Urtheil ist Rosaliens Wünschen nicht günstig.

Er glaubt zwar gerne daß G. Neigung für meine Schwester zeigt, findet aber diese Neigung nicht so bieder und innig als es die vielen Hindernisse, deren G. selbst erwähnt, und vor allen Rosaliens Glück erfordern.

Vor allem glaubt er mit mir, daß ein Mann welcher schon so oft und nicht immer im reinsten Sinne geliebt hat, einem jungen unschuldigen Mädchen nie das Vertrauen |2 und die Achtung einflößen könne welche doch immer die Seele einer glücklichen Ehe bleibt; und dann wird auch im Gegentheile er, dem vielleicht nie ein reines Weßen begegnet ist, weil er es selbst nicht wollte, wird er sich für immer von einem Mistrauen reinigen können das die unausbleibliche Folge seiner Lebensart seyn mußte?

Doch ich will diese Gedanken, welche unendlichen wWerth gewinnen wenn man einmal die heiligsten Bande des Lebens geschlungen hat, gerne als übertrieben ängstlich ansehen wenn nur G.s Betragen nicht selbst Zweifel gegen seine ernstlichen Absichten einflöste.

Es sind nun schon zwey Jahre, daß er in seinen Briefen von Hindernissen spricht die sich seinem Glücke wiedersetzen. Noch nie sprach er aber von den Mitteln und Wegen diese zu überwinden, auch wurde es nie recht deutlich in was sie eigentlich bestanden. Hält er sie für |3 überwindbar, so wäre es doch in jedem Falle seine Pflicht sicht ernstlich bey meinem Vater zu erklären, der doch nur alleine die Hand meiner Schwester zuzusichern vermag; und dann liegt es ja immer schon von jeher in dem Innern jedes Menschen, das was er einmal für ein Gut erkannt hat, sich so viel als möglich zuzusichern.

Glaubt G. aber, die Hindernisse zu Rosaliens Besitz zu gelangen seyen unübersteiglich, so ist es warlich höchst unrecht, daß er ein junges Mädchen von den besten Eigenschaften hinter dem Rücken ihrer Eltern mit Liebe täuscht, um sie vielleicht dann, wenn jede andere Aussicht zu künftigem Glücke verschwunden ist sich und ihrer Reue zu überlassen. Doch, dies kan ich nicht glauben, ob ich gleich nie ein wahres Vertrauen auf G. setzen konnte und mich schwer überzeugen lasse, daß meine Schwester Rosalie mit einem solchen Manne glücklich seyn wird.

Ich sage Ihnen auch offenherzig, Liebe |4 Richter, daß ich Rosaliens Neigung nicht für eine wahre halte. Sie täuscht sich vielleicht selbst, aber wie gesagt, ich glaube nicht daß ihre Liebe die Proben bestehen würde, d welche eine Verbindung mit G. ihr abnöthigen werden.

Sie kennen G. Sein ganzes Äußere verräth schon einen kränklichen Körper; und seine vergangene Lebens Art ist ein schlechter Bürge künftigen Wohlseyn's. Denken Sie sich nun das traurige Loos, wenn meine Schwester, die wie wir alle nur sparsam die Freuden des Lebens genoß ihre Jugend an der Seite eines kränklichen (und zwar durch eigne Schuld kranken Mannes) zubringen soll. Wie viele traurige Beyspiele dieser Art haben wir nicht schon erlebt! Wo bleibt dann das Glück? wo die Freude? Reue ersezt alles.

Auch werden ausschweifende Männer gewöhnlich eifersüchtige Ehemänner und dies ist eine natürliche Folge ihrer Lebensweise, wie ich schon ein |5 mal erwähnte.

Alle diese Stöhrer der Ruhe und des Glücks erfordern von Seiten des Weibes die höchste Liebe um ihnen zu wiederstehen und nicht auf der einen oder andern Seite im Kampfe unterzugehen. Ich glaube nicht, wie gesagt, daß Rosalie diese für G. empfindet.

Sie wissen, liebe Richter, wie wenig Gelegenheit man in Bayreuth hat, Männer höherer Art, Männer wie sie ein gebildetes Weib wünscht, kennen zu lernen. Selbst im Äußern behaupten nur wenige eine höhere Stufe; und was finden Sie im Innern? antworten sSie selbst meine Liebe! Schon von jeher war dies so; kein Wunder also wenn ein Mann wie Golz, mit diesem Talente sich einzuschmeicheln und mit dem sichtbaren Verlangen meiner Schwester gefällig zu seyn, ihr verlangendes unbefangenes Herz an sich zog. Sie |6 war von jeher zur Schwärmerey geneigt, und da diese Leidenschaft gleich bey Anbeginn der Bekanntschaft sehr in Thätigkeit gesezt wurde so gedieh sie immer weiter – aber – wie ich fest überzeugt bin nur in der Einbildung, nicht im Herzen.

Ich würde nicht so bestimmt sprechen, Liebe Richter, wenn ich Rosalien nicht so genau kennte. Ich habe sie schon öfter in dergleichen Fällen gesehen und beobachtet. Ich wollte eine Wette mit Ihnen eingehen, daß wenn Golz nichts mehr von sich hören ließe und niemand diesen Punct mehr berührte, Rosalie von selbst vergessen würde. Schon jezt, wenn Sie bemerken wollen, ist ihr Herz dem Vergnügen und der Freude ganz offen, und wenn sie nicht manchmal häusliche Verhältnisse Veränderung ihrer Lage wünschen ließen, oder ein anderer |7 interessanter Gegenstand ihre Aufmerksamkeit auf sich zöge, so bin ich überzeugt Golzens Bild wäre bald erloschen. Ziehen Sie aus dieser offenherzigen Rede keinen nachtheiligen Schluß auf die Beständigkeit meiner Schwester, Liebe Richter, ich will Sie nur damit überzeugen, wie ich mich als son Rosaliens sonstige nächste Umgebung überzeugt habe, daß Golz und alle Vorherigen, nicht die Männer waren welche meine Schwester für immer fesselten u daß sie folglich mit diesem noch weniger als mit allen andern glücklich seyn würde.

Dies, beste Freundin, ist meine Meynung über den so oft besprochenen und mir so sehr am Herzen liegenden Gegenstand und mein Gatte theilt diese Gedanken. Urtheilen Sie daher wie sehr jedes neue Zurückrufen desselben in das Gedächtniß meiner |8 Schwester und vor allen die Versendung jenes Bildes mich unruhig machte. Nie würde aber ichmein Mann so wohl als ich es billigen, daß Rosalie das Ihrige dagegen schickte wenn es nicht mit Wissen der Eltern geschähe.

Sie, liebe Richtern, die Sie so weise und erfahren sind, werden gewiß dieses Schreiben nicht für zu strenge halten und mir zutrauen daß ich bereit wäre meine Grundsätze und Meynungen mit Thaten zu belegen um so mehr, da man als Weib vertrauter mit den Ansprüchen und Grundsätzen der Männer wird und sich immer mehr überzeugt, daß man als Mädchen nie zurückhaltend und ernsthaft genug in der Liebe seyn kann.

Unter den mein und meines Gatten herzlichsten Grüßen an den Ihrigen Liebe Freundin und den Versicherungen der innigsten Verehrung für Sie nenne ich mich

Ihre ergebenste
Therese Lentz
gebohrne v. Voelderndorf

Zitierhinweis

Von Therese Lentz an Caroline Richter. Berneck, 2. Juni 1808, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0085


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S.

Überlieferung

D: Berend, Postillon, S. 37–39 (leicht gekürzt).