Von Caroline Richter an Emma Richter. Marienbad, 8. Juli 1819, Donnerstag

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
BMarienbad, Mitwochs den 8ten
Juli

Liebste Emma!

Von Euch und vom Vater gar keine Nachricht zu haben ist mir erschrecklich. Und darum schreibe ich Euch um so eher, weil Ihr dieselbe Unruhe haben werdet für mich. Oft möchte ich wieder bei Euch sein, allein die Wohlthat die mein Hiersein für meinen Vater hat, ist nicht zu berechnen. Wenn ich auch des armen Mannes Zustand nicht erleichtern kann so ist die Erheiterung für sein Gemüth so wichtig daß Niemand darin eine überflüßige Aufopferung finden kann, der menschlich fühlt und denkt. Ehe ich kam und auch keiner meiner Briefe angelangt war, weinte er wie ein Kind, daß ich so wenig Gefühl für ihn habe. Nein, die Caroline sagte er „ich begreife sie nicht!" Als Jemand ihm sagte, ich habe Ähnlichkeit mit ihm, weinte er wieder bitterlich. Als ich ankam war es schwer die Wohnung meiner Eltern zu finden, da unter den Vielen, nicht ein einziger müßiger Mensch war, der den Boten hätte machen wollen. Ich mußte also selber suchen, und ging von Hinz zu Kunz, dreimal vergebens. Niemand wußte ihn. Endlich finde ich im Badehause seinen Bedienten |2 Indem ich nach der Wohnung des G. R. Mayer frage, sagt er, ich bin sein Bediente, und eben ist der Herr hier im Bade. Ich bat ihmn nichts zu sagen, und er beschrieb mir die Wohnung wohin ich nun zur Mutter eilte. Ich gab ein Paket von der Bomhard ab, und sie errieht gleich daß ich draußen sei. Ihre Freude war unendlich. Nun wurde mein Vater mit dem Wagen geholt. Sein erster Anblick war herzzerreißend. Denke Dir ganz den alten Clöter! Nur im Gemüth nicht diese Lebendigkeit und Heiterkeit, sondern höchste Stille, Antheilnahme , und tiefe Wehmuth. Alles preßt ihm Thränen aus. Mein, Odiliens Anblick, machten ihn bitterlich weinen. Nun fühlt er manchmal seine Schwäche, und sagt kannst du dir denken, daß dein Vater so herunterkommen mußte?! Rührend ist seine Liebe für alle Arme, und Kinder – Er fährt nun alle Tage spatzieren, und seine innige Freude an der Natur, der Schönheit der Gegend ist das schönste Rührendste. Die sehr herrliche Mutter ist aber unendlich zu bedauern denn die gewissenhafteste Pflege ist ohne Wirkung. Er wird nicht besser, kann nicht besser werden.

|3 Die Hauptsache ist, daß er durch die Badreise eine angenehmere Existenz hat, als zu Hause. Im Reisewagen wo ein Gegenstand nach dem Andern seinem Auge vorüberzieht, ist er am glücklichsten. Diese Reise hat keinen anderen Zweck und ist es nicht natürlich, daß mans ihm den letzten unschuldigsten Genuß gern gönnt? Wenn sie Marienbad verlassen gehen sie über Eger noch nach Baireuth. Unter andern zieht Bernek ihmn an, wovon er noch das kleine Bild in Perlen mosaik besitzt. Er wird in Baireuth nur höchstens 2 Tage bleiben , aber Eremitage sehen. O wie kindlich freut ihn die Natur – ein Platz im Freien sei er noch so unbedeutend entzükt ihn. Odiliens Liebe thut ihm sehr wohl. Manchmal will er sie auf seinen Schooß nehmen wenn wir fahren. Er findet sie aber nicht mir, sondern dem Vater ähnlich. – Mein Herz kann mir an dem hiesigen Dasein so schön es ist, keine Freude erlauben. Wenn ich auf meinen Vater sehe, ist alles hin – – –

Es ist aber sehr schön hier. Marienbad ist keine Wüstenei, sondern ein lieblicher Aufenthalt. Mit vielem Geschmack werden die Anlagen und Gebäude, durch den Prälaten von Tepl geordnet. |4 Abends beim Mondschein, und wenn die Lichter in den niedlichen Häuser angezündet sind glaubt man in eine Zaubergegend versetzt zu sein – Wenn der Vater hier wäre, sogar Er würde entzückt sein.

Doch genug – möchte der Brief früher ankommen als ich. Am Sonnabend fahre ich ab, und kann Sonntag Abend zu Hause sein. Hätte ich keine Furcht vor dem Vater, so bliebe ich gern bis zur Abreise meiner Eltern , denn es ist wirklich ein gutes Werk. Allein es wird mit in keinem Augenblick meines Lebens mir irgend Etwas wichtiger sein, als die Rücksicht auf den Willen des Vaters. Lebet wohl Kinder , möchte alles zu Hause einen ruhigen sichern Gang gehen, und Ihr recht froh sein. Lebet wohl! Grüßet alle Freunde.

Caroline.

Für die Elisabeth als Geschenk des Vaters kaufe ein Mouslin Halstuch wie das roth quadrierte was ich Max zur Halsbinde gegeben habe, aber nicht roth sondern blau oder lilas und weiß. Gerade so groß, es darf aber nicht über 1 Fl. kosten. Hat Koppel keine solche so kaufe es vom Nietsche .

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Emma Richter. Marienbad, 8. Juli 1819, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0090


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: SBM Monacensia, Richter, Karoline A I/3
1 Dbl. 8°, 4 S. Neben dem Datum vfrH irrtümlich 1818.


Korrespondenz

Das Abfassungsjahr ergibt sich aus Johann Siegfried Wilhelm Mayers Mitteilung an Caroline Richter im Brief vom 19. April 1819, dass er doch dieses Jahr nach Marienbad gehen wird..