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Baireuth den 2ten Dec. 1804
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Mein geliebter Vater,

Ihren gütigen Brief erhielt mein Mann vor drei Tagen, und ich konnte Ihnen nicht früher für Ihre Theilnahme an mir, danken als heute. Wäre es mir erlaubt gewesen, ich hätte damals als mein Mann, Ihnen die Nachricht meiner Entbindung gab, nicht zugegeben, daß er Ihnen blos den Anfang meines Briefes an Sie, mitschikte , sondern ich hätte diesen fortgesezt, um Ihnen nichts unvollständiges zu geben, und ich hatte so viel zu sagen. Allein ich durfte nicht, ob gleich mein Befinden nie glüklicher war, als in diesem Wochenbett. Dis Geschenk des Himmels war mir auch nöthig, da ich mitten unter meinen Kindern war, wovon das eine, unser Max , während der ganzen Zeit, an einem heftigen Durchfal krank war, und er also noch einer besondren Pflege bedurfte.

|2 Ihr Wunsch, mein geliebtester Vater, uns nach der Reise einmal bei Sich zu sehen, hat mich tief gerührt, und ich erkenne daraus, daß wir Ihrem Herzen, nicht entbehrlich sind – wie sehr dieser Gedanke dem kindlichen Herzen wohlthun muß, brauche ich wohl nicht zu sagen – da Sie durch neue glükliche Bande, durch Ihr ununterbrochnes Geschäftsleben, und durch die Welt, beschäftigt sind. Es war sehr gut, daß Sie uns einmal Ihr Innres aufdekten, denn ich bekenne es, daß oft Ihre Briefe, meinem Bedürfniß von Ihnen Selbst etwas zu wißen, nicht entsprachen, und daß ich wünschte Ihre Zeit erlaubte Ihnen weitläuftiger zu seyn. Nicht über fremde Verhältniße oder Menschen, sondern über Ihren Gemüthszustand, über Ihr häusliches Leben, und über Ihre Gesundheit. Wie selten sagen Sie etwas von diesen uns so wichtigen Gegenständen, und Sie werden zugeben, daß uns dieses kränken muß.

Vergeben Sie mir es auch theurer Vater, daß ich so freimütig spreche – nur in der Voraussezung, daß Sie die Quelle meiner Empfindung nicht verkennen, wage ich es Sie wenigstens öfter um solche |3 allgemeine Briefe anzusprechen, als der vom dritten Octobr an uns alle gerichtete, und ich thue freiwillig auf die einzelnen Verzicht, denn ich weis wohl, wie kostbar Ihnen die Zeit ist. Was mich betrift, so gestehe ich eben so frei daß ich mit meinen lezteren Briefe selbst nicht zufrieden war – ich fühlte mich über die Gegenstände meiner Briefe gezwungen, und wuste nicht warum – bis ich fand, daß ich nicht Vertrauen genug, zu Ihrem Antheil an mir hatte.

[...] Das höchste interesse meines Lebens sind meine Kinder, und sie verengen vielleicht zu sehr, meinen Antheil an äußern Dingen. Wann ich von mir sprechen wil, kann ich nur von ihnen sprechen, um in fremder Seele eine Bild meines innern und äußeren Daseyns zu legen. Wie oft habe ich Blätter darüber gefült, und seit einiger Zeit wolte ich Sie mit dem Einerlei verschonen, weil ich Sie damit ermüden muste, und da wurde ich unnatürlich.

Daß Sie mein Vater, und jeder vollendete Mensch eine solche Einseitigkeit an mir tadeln müßen, sehe ich voraus, und finde es gerecht. Aber denken Sie Sich mein einfaches Leben |4 und eine fast drittehalb Jahre lange ununterbrochene Sorge für kleine Kinder, und Sie werden sie entschuldigen. Oft habe ich versucht mich zu vervielfachen, aber ich habe gefunden ohne mannigfaltig vorzurüken, daß ich einseitig verlor, und daß sich mitin meiner Lage, in meinem Gewißen nichts einte, als ganz und blos Mutter zu seyn.

Doch nun muß ich aufhören, und bin zufrieden wenn Sie mein theuerster Vater, nur verstehen was ich meynte, und mir vergeben.

Wenn Ihre von mir so innig verehrte Frau, doch mit einer eignen Freude, unsere Bitte an Sie, annähme, wie sehr dankbar würde ich Ihr seyn, sagen Sie Ihr, daß ihr kleines Pathchen ein schönes Mädchen sei, daßs Sie einst mit recht ausdruksvollen großen Augen anbliken würde. Am 9 ten Dec. wird es getauft, und ich weis noch nicht welchen Namen es außer den Beiden: Henriette, Amöne, bekommen wird , wovon der Eine an meines Mannes Freundes Otto Frau gehört, die nächst Ihrer Henriette die einzige Pathe des Kindes seyn wird.

Noch muß ich Ihnen für die teltower Rüben danken, mein guter Vater, die Sie mir durch Ernestine schiken werden, und ich versichre Sie, daß Sie mir damit eine kindische Freude machen, den solchewie viele Reminiscenzen des Vaterlandes werden durch die Zunge gewekt. Leben Sie mit Ihrer edeln Frau wohl mein theurer Vater

IhreCaroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Bayreuth, 2. Dezember 1804, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0099


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Db. 8°, 4 S. Unterstreichung vfrH mit blauem Stift.