Von Konrad Heinrich Karl von Feuchtersleben an Ernst von Feuchtersleben. Hildburghausen, 3. Dezember 1799, Dienstag

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Aber mein Schicksall scheint mir auch diese Seelenruhe noch streitig zu machen – meine innere Zufriedenheit mir nicht gönnen zu wollen oder wenigstens auf einige Zeit sie mir zu rauben – wenn es dann dem Himmel wieder gefallen sollte, seine ungünstigen Schickungen zu verändern – sie ungeschehen zu machen, ist unmöglich – in Hoffnung es geduldvoll zu ertragen, ist daher mein Vorsatz; jedoch kein Gegenmittel zu versäumen.

Ich will Dir also den Vorfall kürzlich erzählen und Dich bitten, mir bald möglichst Deine Meinung darüber bekannt zu geben.

Ein neuer weimarischer Gelehrter, Namens Richter, der sich durch einige Schriften der lesenden Welt unter dem Namen Jean Paul bekannt machte, fand Gelegenheit die Caroline durch Briefwechsel kennen zu lernen, die ich weis nicht warum, sich erbot, für die Herrschaft Bücher von ihm zu verschreiben. – Bald darauf reiste er her, kam unter dem Vorwand, daß er keine andere Bekanntschaft in der Stadt hätte, viel ins Haus, gefiel sich und wahrscheinlich auch Carolinen – war, wie fast jeder gelehrter Schuß zudringlich und wurde sehr vertraut mit ihr. – Der guten Mutter fiel das sehr auf und ohnerachtet sie ihr eine Vermahnung darüber gab, giengs nach wie vor, sie glaubte daher, daß es bloß Anhänglichkeit für die lecture sey, in der er sehr bewandert ist und lies es fürs Erste, wiewohl unzufrieden, gut seyn.

Ich suchte ihn an Hof einzuführen, dann auch einige Bekanntschaft in der Stadt zu verschaffen, wo er intereßirte, auch anfänglich durch seine Schmeicheleien und Phantasien gefiel, aber durch sein auffallendes Betragen, seine sonderbare Attitude Gelächter erregte.

Er bat um einen Character – reiste ab und fieng nun den Briefwechsel wieder an. – Diese gab mir die Ersten seiner Briefe zu lesen, worauf ich sie bat, ihm die unschicklichen, freyen, vertrauten Ausdrücke darinnen zu verweisen, was ihr zwar ohnfehlbar ihr Selbstgefühl auch gesagt haben wird – aber sie unterdrückte es und fand nun Bewegungsgründe, die Sache nur noch geheimer zu verhandeln.

Nun bekam er das Decret als Legationsrath, kam bald darauf her, sich zu bedanken – erneuerte die Bekanntschaft und kam zum großen Leidwesen der lieben Mutter noch öfter ins Haus – diese merkte zwar etwas, dachte aber nicht, daß es so wichtige Folgen haben würde! – Ich für meine Person war in Seidingstadt und erfuhr die ganze Sache viel zu spät – sonst würde ich seine Absicht gleich gemerkt und ihn kurz und gut abgefertigt haben.

Bey dieser seiner zweiten Abreise nahm er die kleine Beck mit zu der Fr. Praesident Herder in Weimar zur weitern Ausbildung. Es wurde sehr und mancherley von den Herrschaften darüber gesprochen, ich vertheitigte ihn aber, weil er mir nichts anging und ich ihn unschuldig glaubte – nun sehe ist erst, daß es Intereße von ihm war – daß er dadurch unsere Familie sich verbindlich machen wollte, um desto leichter seinen Zweck zu erreichen. –

Würcklich sprach er bald darauf schriftlich die Caroline um ihre Hand an, die es aber noch einige Zeit verschwiegen hielt, weil sie wohl wuste, was eine solche Entdeckung bey der Mutter für einen Sturm erregen werde – doch endlich wagte sie es – und ich kam dazu – eine solche Scene hoffe ich nie wieder zu sehen! – – ich will und brauche Dir keine Schilderung davon zu machen, weil Du dich unserer guten Mutter wohl noch erinnern wirst.

Also das Mädchen, ihrer Meinung nach, übel angebracht zu sehen, erregte Sorge bey ihr, die sie äuserst schwächte und mit dem tiefsten Kummer erfüllte, so daß sie kaum vermochte, ihre Gründe zu Unterlassung dieses Schrittes bekant machen zu können. – Sie misbilligt ihn ganz – weil ihr schon das vom guten seel. Vater gelernte Sprichwort (je gelehrter, je verkehrter) einen Abscheu für alle Gelehrte besonders gegen Tochter-Männer giebt – und weil dieser Gelehrte in Hinsicht seines Geistes sowohl als seines Körpers ein wahrer Sonderling ist, der äuserst auffällt – der nicht wißen kann, wie lange er den Beyfall der Leser behält, wie lange er sich an einem Ort aufhalten darf, der blos Phantast und nicht in struierender Schriftsteller ist – der nicht nach seinem Ableben seiner Frau und Kindern hinlänglichen Unterhalt hinterlaßen kann – – und weil die Caroline vielleicht noch eine bessere Partie thun kan, oder Aussicht hat, am Hof zu kommen, der ihr schon 50 fl jährlich Pension giebt – sich also nicht, ohne sich zu verbessern, dem Hohngelächter schadenfroher Leute auszusetzen nöthig hat, indem sie in solch eine seldene Mariage entrirt.

Inzwischen scheint die Caroline sehr in ihm verliebt zu sein – den Wunsch, ihn zum Mann zu haben, für den wichtigsten zu halten – und hat ihm wahrscheinlich auch schon Versprechungen insgeheim gemacht, es wird daher nicht gut zu ändern seyn.

Die liebe Mutter bleibt dabey, daß sie mit Gewalt es nicht verhindern würde, aber ihre Einwilligung mit völliger Zufriedenheit würde sie nie dazu geben können, auch würde es den Rest ihres Lebens der Ruhe berauben und mit Sorge und Kummer begleiten.

Natürlich muß man sich nun erst um seine Umstände erkundigen und nicht gut lautende Nachrichten wären vielleicht das einzige Mittel, was die Caroline wieder zurück bringen könnte. Aber es wird schwer seyn, etwas Bestimtes von ihm zu erfahren, weil er wenig Bekante und fast gar keine Verwandte hat. – Der Herr Oncle will sich der Sache annehmen – freilich langsam.

Ich will den Brief nicht eher abschicken, bis ich Dir die Antwort der Herrschaften mit beyfügen kann, die wir, weil die Caroline täglich mit an Hof geht, bey erster Gelegenheit darüber fragen wollen.

N. S. den 13ten Januar 1800.

Zuvor Glück zum neuen Jahr für Dich, Deiner guten Frau und Deinem wackern Jungen! dann zur Erzählung des kurzen Orakel Spruches unserer Herrschaften , bey welchen man fast immer ein neues Jahr nöthig hat, bis man mit Bestimmtheit wissen kann, was über einen Vortrag entschieden worden ist. – Diesmal schienen sie den aufgeklärten Zeiten gemäs zu antworten, indem sie sagten, daß sie gar keine Bedenklichkeit bey dieser unegalen Heyrath fänden, weil der Mann von unbescholdenen Ruf sey. Aber Eigennutz und Falschheit mag doch dabey im Spiel seyn, weil, ob sie gleich die Caroline brauchen können, sie doch lieber mit dem Gelde einen Günstling bereichern werden. – Die gute Mutter ist mit dieser Aussage noch eben so wenig zufrieden gestellt, als sie zuvor war.

Lebe wohl und vergiß nicht Deinen Heinrich.

Die Fortsetzung soll getreulich folgen.

Zitierhinweis

Von Konrad Heinrich Karl von Feuchtersleben an Ernst von Feuchtersleben. Hildburghausen, 3. Dezember 1799, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0203


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Textgrundlage

D: Ilwof, S. 498–499.