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Leipzig. den 25ten May. 1803.

Ich habe heut Ihren Brief erhalten, lieber Vater, und eile das Unrecht wieder gut zu machen, daß Sie mich zeihen.Ich würde wahrlich, schon längst Ihren, durch Madame Cesar erhaltnen Brief , beantwortet haben, wenn die Zerstreuungen, während der Meße nicht zu groß gewesen wären, und mir theils durch den Aufenthalt, der Verwandten meines H Mannes , in unserm Hause, theils durch täglich Heimsuchung von Freunden, jeder ruhige Augenblick geraubt war.

Die Geheime-Räthin Cesar , hat Ihnen schon vorläufig gesagt, wie wir durch gegenseitige Besuche einander bekannt geworden sind. Vielleicht wißen Sie auch schon daß wir das Vergnügen gehabt haben, Madame Cesar , mit Ihrer Familie, und in Gesellschaft meherer Fremde an einem Mittage bey uns zu sehen. Auch Spaziers waren eingeladen worden, doch haben Sie die Einladung von sich abgelehnt. – Doch, denke ich, Ihren Wunsch, Minna mit der Familie Ihrer lieben Frau bekannt zu machen, noch in Erfüllung zu |2 bringen. Die junge Streckeisen , hat mir ohne hin die Hoffnung gemacht, sie, wenn sie eimal eine freye Stunde hat, zu einer musikalischen Unterhaltung bey mir zu sehen. Und da wird sich das Übrige arrangiren laßen.

Minna hat Ihnen gesagt, daß ich an Ihrem Geburtstage zu ihr gegangen bin? – Es scheint als legte Minna, mehr Werth auf diesen Besuch, als er verdient, da er doch nur die Beobachtung, einer Form war. Ich versichre Ihnen, so wie ich es Minna versichert habe, daß nicht mein Herz, sondern lediglich die Überlegung, mich zu ihr geführt haben. – Denn zu einem vertraulichen Verhältniß kann es wohl nie unter uns kommen! – Wäre es auch nur, weil die unendliche Achtung und Liebe zu meinem Manne, mich zwingen, deßen Besorgniße zu schonen. Welcher Mensch könnte auch wohl verwegen genug seyn, für sich stehen zu wollen, und nicht die Nähe eines Wesens fürchten, das konsequent, und – vollendet, aber nicht im Guten, |3 durch Leichtsinn, und eine unseelige Genialität, die jetzt unter den Weibern zur TagesOrdnung gehört, dahin kommen wird, alles was Pflicht, und Grundsäze heißen, über den Haufen zu werfen – wenn nicht ein guter Genius noch über sie wacht, und vom völligen Verderben rettet, doch wird ein Umgang, unter uns bestehen können, wenn Minna, und ihr Mann, sich anständiger, gegen mich, und meinen Mann betragen, als es zuvor, der Fall war.

Ich bin überzeugt, daß auch Sie, guter Vater, nichts weiter von mir erwarten werden. – Denn traurige Erfahrungen Ihres Lebens, haben Sie ja belehrt, wie zerstörend Familien-Verbindungen, für häusliches Glück seyn können. Wie viel mehr, würden Sie glücklich gewesen seyn, wenn früher, ein Weib Ihnen zur Seite stand, daß fest an Sie sich anschloß und für Sie, mit kräftigem Gemüth, jeder Aufopfrung fähig war. Jemehr, das Leben, uns mit schmerzlichen Erfahrungen bereichert – die Auflösung der natürlichsten Verhältniße, zur Wahrheit wird – je noth- |4 wendiger ist es, für die Sicherheit des einzigen Verhältnißes, das dem Weibe noch übrig bleibt, alles zu thun! Und, wäre am Ende auch dieß der Vergänglichkeit unterworfen, so lebt eine unvergängliche Kraft in ihr. Diese Kraft, ist ihr Selbstbewußtseyn und mit diesem kann und wird sie nie untergehen. –

Ich weiß nicht, in wiefern Sie vielleicht geneigt seyn werden, von dem Inhalt dieses Briefes gegen Minna Gebrauch zu machen. wollen Auch stelle ich es Ihnen frey, denn ich habe fürchte Mittheilungen der Art nicht, weil sie nichts enthalten, was ich Minna nicht schon gesagt hätte, oder noch sagen werde. Nur wünsche ich Ruhe, und daß mein Haus, das außerdem, der Wohnsiz des Friedens ist, nicht mit Szenen befleckt werde. Ihnen, lieber Vater, und Allen, die über mein Verhältniß mit Spaziers , zu richten, geneigt sind, stelle ich noch die Überlegung anheim, daß es sich herrlich über diese räsonniren läßt, wenn ein Raum von |5 zwanzig oder dreißig Meilen, zwischen Menschen und Menschen liegt. ich bekenne laut, daß ich es dem Schicksal danken werde, wenn es einmal einen von uns beyden, aus Leipzig führt! –

Aus allem, was ich Ihnen gesagt habe, wird Ihnen hervorgehen, daß es mir sogar lieb seyn würde, wenn Sie Ihren Einfluß auf Minna zum Guten anwenden wollten. Wenn es geschehen kann, ohne meinen Nahmen zu berühren wird meine Ruhe dabey gewinnen, und nur auf diese, mache ich noch Anspruch! Ich glaube daran, daß sie auch Lie zu mir Liebe haben; wenn es gleich Zeiten giebt, in welchen sie erstickt zu seyn scheint. Auch Ihre Liebe zur Gerechtigkeit, kann nur auf eine Zeitlang schlummern. Darum überlaße ich alles der Zeit! –Leben Sie wohl, mein guter Vater! Der Himmel erhalte Ihnen den Frieden, und das Glück, in deßen Besiz Sie jetzt sind, und wovon mir die Bestätigung sehr werth ist! Sagen Sie |6 Ihrer lieben Frau, den Dank der Tochter, für das Glück, das Sie dem Vater bereitet. Noch eimal, leben Sie wohl!

E'. M.

NB. Mein Mann empfielt sich Ihnen, und wird mit nächster Post, das Repertorium, durch Herrn Maurer in Berlin, an Sie gelangen laßen.

Den Brief an Caroline , habe ich der Post übergeben.

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Leipzig, 25. Mai 1803, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0233


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 5½ S.