Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Leipzig 26ter Oktober 808

Hoffentlich wirst Du nun wohl schon Varnhagen gesprochen, und dies Paket endlich erhalten haben, worin auch an Dich ein Brief war. Freilich ist er nur flüchtig, im Augenblick des Drängens geschrieben. Du wirst ihn also nicht für einen wirklichen Brief ansehen. Aber der Gegenwärtige soll einer werden.

Zu erst also über das Geschäft mit Deinem Manne. Ich habe das Dokument seiner Vorschrift gemäß kopiert, und es fehlt keine einzige Rechtsformel. Nur die Unterschrift des Curators. Die kann ich aber im Augenblicke nicht schaffen. Weil sonst der Vater den nächsten Posttag die ganze Sache erfährt, denn Apel thut nicht’s in meinen Angelegenheiten ohne seiner Sicherheit wegen mit unserm Vater Rücksprache zu halten. Wenn ich das wollte, so hätte ich ja alle die Umwege nicht nötig und dürfte mir ja nur grade durch den Vater hundert Thaler von meinem Kapital aus zahlen laßen. Ich bin ja mündig. Er konnte mir es ja niemals verwehren. Rede doch dein Mann zu, daß er diesen Gedanken fahren läßt. |2 Ich bin auch ja doch wohl gewiß genug und dann sind ist es ja auch ganz überflüßig daß ich ihn bemüht habe. Ist er indeßen eigensinig auf den Umstand erpicht, so laße ich in Gottesnahmen Alles über mich geschehen, was ich so gern vermieden hatte. Diesen Brief kannst du deinem Mann indeß nur [...] bis zu diesem Punkte vorlesen, weil ich sonst immer meine Feder gelähmt fühle wenn ich denken muß daß ich nicht für dich allein schreibe.

Wagner protestiert sehr dagegen dir einen empfindlichen Brief geschrieben zu haben. Es kränkt ihn tief daß du gemeinen Vorwurf darin gefunden hast. Du legst die Sache in meine Hand. Was kann ich thun. Die alte Anhängligkeit an ihn treibt mich alles zu thun um ihn zu vertheidigen, aber rein kann ich ihn nicht sprechen. – [...] Vor allen Dingen schweige über das ganze. Denn nur im wildesten Schmerze konnt’ ich dahin kommen dir anzuvertrauen, was ich jedem andern ins’ |3 Gesicht leugne – daß Maria meine Tochter war.

Es wird dir sonderbar vorkommen, daß ich mit Mahlmann wieder einigermaßen gut bin. Du mußt die Veranlaßung dazu erfahren um es zu begreifen. Ich bedurfte seiner Vermittlung um Iffland zu sprechen der neulich in Leipzig war. Du kennst das alte Projekt mit dem Theater. Jetzt gilt mir alles gleich, wenn ich nur mich selber vergeßen und mein Herz überschreien kann. Ach, Karoline, Gott behute dich ein Kind zu verlirn! Du würdest wahnsinig. Ich habe Mutter Mann und Ernestine hinaus fahren sehen – aber das ist Alles Nichts gegen das, sein Kind in den Sarg legen zu müßen. Es zum letzten mal anziehn und beten zu müßen. Und je kleiner je helfloser der Säugling, je brennender die Schmerzen. Jedes kleine Kind das eine Magd auf der Straße trägt, reißt mein Herz in Stücke. Ich habe viel bestanden – aber dies werde ich Niemals verwinden.

Mit wahrer Wut durchlaufe ich die Zeitung, um ein Kind zu finden daß auch am Tage |4 da es fünf Monate war, gestorben und finde Trost, wenn so ein’s dasteht. O, Gott in der Krankheit die ich ihm eingab war der erste Zahn durch gebrochen Ich horte ihn Klappern an den silbernen Löffel und dennoch dennoch! –

In der Stube steht ein Fenstertritt wo Emma immer saß und sie auf dem Schooß hatte. Wie gut wurde Emma durch das Kind das sie so gern pflegte. Zu dem sie sich so gewöhnte, daß sie wenn es des Nachts schrie früher aufwachte als ich, und mich weckte – Ich kann es Niemals vergeßen, so unselig diese Schwangerschaft war, so bleibt doch ewig die hoffnungsvolle stille Zeit vom vorigen Winter, wo ich Allein in einen abgelegnen Häuschen auf einen schlechten Dorfe lebte der stille heilge Morgen, wo ich unter geringen Schmerzen ganz allein mit der helfenden Frau die heilge Stunde überstand, und dem Engel mein Brust reichte die schonste meines Lebens. Alle acht Tage kam Wagner heraus.

Zwölf Wochen brachte ich so zu. in stiller ruhiger rein menschlicher Eintracht. [...]

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Caroline Richter. Leipzig, 26. Oktober 1808, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0251


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Schluss fehlt. Über dem Brief vfrH: Minna Spazier an Caroline Richter. Tintenflecken auf allen Seiten. Auf S. 1 und 4 Federproben, auf S. 4. Tintenkringel.