Von Wilhelmine Dörffer an Caroline Richter. Potsdam, 14. März und 3. April 1822, Donnerstag und Mittwoch

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Potsdam den
14 März

Schwerlich würde es mir gelingen Dir meine geliebte Freundin den Eindruk schildern zu wollen, den gestern der Anblik Deiner mir so theuren Schriftzüge in mir erregten . Schon so lange habe ich Deine Stimme nicht mehr gehört, so lange nichts von Dir durch Dich selbst vernommen, daß ich von Deinen Zeilen tief bewegt, mich auf's Neue zu Dir meine theure Karoline hingezogen fühle.

Daß ich Dein Andenken immer treu in meiner Brust bewahrte, daß ich nie der schönen Jugendzeit |2 die uns so innig verband vergessen konte wirst Du mir gern glauben eben so, wie Du meiner innigen Theilnahme an den schmerzlichen Prüfungen die Dir das Schiksal auferlegte , gewiß bist.

Nur Dein frommer Gottergebener Sinn kann Dich erheben, u stärken, bey einem solchen Verlust wie er Dich traf, u Deine Worte an mich sprechen so wahrhaft den Trost aus, den nur diese stille Demuth uns giebt.

Dich meine geliebte Freundin in diesem Leben noch einmal zu sehn war immer mein inniger Wunsch. Durch die Präsidentin v Gerlach hörte ich vor zwey Jahren daß |3 Du in Berlin seyst , u den Vorsatz hättest über Potsdam zurükzufahren, um die Bassewiz u mich zu sehn. Da es mir in dieser Zeit nicht möglich war selbst nach Berlin zu kommen so hoffte ich Dich in Deinem freundlichen Vorsaz noch mehr zu bestärken, wenn ich Dir meinen Wunsch Dich hier zu sehn noch besonders bittend schriftlich vortruge. In dem Augenblick wo ich nur diese flüchtige Zeilen schreiben wollte, wurde ich von einem unwiederstehlichen Gefühl gedrängt Dir so recht aus tiefster Seele über die Zeit die zwischen unserer Trennung lag mein Herz zu eröffnen.

|4 Ich hatte Dich seit Deinem Hochtszeits-Tage nicht wiedergesehn, das frische Bild unserer Jugend trat lebhaft vor meine Seele, u so gelang es mir durch Zufall was durch Vorsatz unmöglich gewesen wäre, Dir eine treue Darstellung meines Lebens u seiner mancherley Verkettungen zu geben. Ich fühlte daß unser Wiedersehn so noch schöner, u reiner die Freude daran seyn würde, wenn Du einen klaren Blick in alle meine Verhältniße gethan hättest.

Dieser Brief dem ich mehr anvertraut hatte als man gewöhnlich zu thun pflegt, kam |5 aber wie ich hernach hörte 2 Tage nach Deiner Abreise in B.. an, u ich glaubte er würde dem gewöhnlichen Gange der Post-Einrichtung nach Dir nach Bareuth gesendet werden. Von Deiner Liebe für mich erwartete ich wohl Theilnahme über alles was ich Dir von mir sagte, indessen keine eigentliche Antwort auf diesen Brief, der nur auf unser Wiedersehn berechnet war.

Wie schmerzlich mir die Nachricht von dem Verluste dieses Briefes ist kann ich Dir gar nicht sagen |6 u ich werde diese Zeilen die ich Dir heute schreiben nach meines Herzens Neigung schreiben muß so lange zurükhalten bis daß ich Dir sagen kann ob es mir geglükt ist ihn aufzufinden.

Doch nun genug hiervon; hat mir doch dieser Verlust die Freude geschenkt recht viel von Dir u den Deinen zu hören. Durch die Gräfin Düben die ich zuweilen in gesellschaftlichen Kreisen sehe, erfuhr ich zufällig daß sie Dich näher kenne u Du kannst denken wie beglükend es für mich |7 war mir von Dir von Deinem theuren Mann u Deinen Kindern erzählen zu laßen! –

Werde ich Dich denn nie wiedersehn meine theure innig geliebte Freundin nie Deine Kinder kennen lernen die so liebliche herrliche Mädchen seyn sollen? – nie Deinem mir so theuren Manne in diesem Leben wieder begegnen durch den Du Dich so beglükt fühlst u der so viele durch seinen Geist u sein Talent ermuthigt u belebt? – Nein meine theure |8 Freundin Du kannst mir nie wieder so nahe seyn ohne mich zu sehn.Das Schiksal hat mir zwar viel genommen, aber auch viel gegeben, u so wirst Du mich ruhig, heiter, u in meinen Verhältnißen glüklich finden.

den 3ten Aprill

Jede Nachforschung meines Briefes war vergebens da ich den Tag an welchen ich ihn zur Post sandte nicht mehr weiß u nur auf diese Weise eine Ausmittlung möglich wäre.


Mit wahrer inniger Liebe werde ich immer Deiner gedenken bewahre auch mir im treuen Herzen Deiner mich g beglükenden Freundschaft

Wilhemine Dörffer

Zitierhinweis

Von Wilhelmine Dörffer an Caroline Richter. Potsdam, 14. März und 3. April 1822, Donnerstag und Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0289


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S. Unter dem Datum vfrH: 1822?


Korrespondenz

Zur Datierung: Zwei Jahre nach Carolines Besuch in Berlin von Ende November 1819 bis Ende Januar 1820. Minna Doerffer spricht einzig von den Mädchen als Carolines Kinder und erwähnt einen "Verlust", den Caroline Richter erlitten hat – womit wohl Max' Tod am 25. September 1821 gemeint ist.