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Meiningen den 28ten August
1811

Wie bist Du doch so himlisch gut, meine Caroline mir der reuigen Sünderin abermals zu schreiben und mit den eigentlichen Zauber der Liebe auf einmahl, mein verstektes Schweigen – so sieht es wenigstens aus – zu lösen. Aber, Caroline, ich bin doch ganz Dein und Deiner Liebe nicht unwerth. Du standest immer in meinen Herzen zwischen meinen zwey liebsten Schwestern meiner verklärten Friederique und Antonie jetzt unter den irdischen Wesen liebe ich Dich und Antonie am meisten.

In dem Tagebuche meiner vorjährigen Reise welches Dir Emanuel mittheilen wird wirst Du manches finden was mein stumm sein wohl eigentlich nicht entschuldigen soll, wodurch Dir aber klar wird werden, wie man so still so in sich gekehrt werden kann. Ueber Leopold klage mit mir, und Richter soll mir ein aufrichtendes Wort sagen.

Nun verlor ich meine Friederique und Antonie mußte ich von mir laßen , oh da wards ganz elend, das treue Herz Deiner Henriette Von meiner verstorbnen Schwester theile ich |2 Dir anliegend ihre Vermächtniße an Antonie und ihren Gatten mit. Den seltnen Werth dieser hohen Frau wirst Du daraus erkennen sie war Einzig in ihrer Art, ich war immer überzeugt daß sie der Erde nicht lange angehören könnte, ihre Wohnung war eigentlich am Throne Gottes. Auch theile ich Dir, Du schwesterlich geliebte Freundinn, die Briefe meines Schwagers mit, den auch in diesen Gatten mußt Du den würdigen Gatten meiner F. erkennen. Schike mir aber die Briefe bald wieder zurük, sie sind ein Heiligthum meines Herzens, nur um sie Dir mitzutheilen kann ich sie von mir laßen. Laß S s ie an Emanuel der Henriette S. und wenn es die zarte Dovenek nicht zu schmerzlich errinnert , auch diesen lesen. Ach könnte ich jetzt bey Dir sein, sieh Liebe, es giebt Augenblike da kann ich meinen Schmerz über den Verlust einer solchen Schwester nur ausweinen, nicht aussprechen! —

Aber, ich mache Dich weich Caroline, ich fühle wie Du wirst angegriffen werden und wir werden aber beyde wieder stark |3 wenn wir das schöne Bild weiblicher Resignation in unsrer Friederique bewundern, wir freuen uns ihrer Erscheinung auf Erden und wagen nicht mehr sie aus ihrer Heimath herab zu wünschen – – – – –

Antonie ist jetzt an ihrer Stellueng, die schöne Thätigkeit die ihr die Verklärte angewiesen hat paßt für sie. Mit unendlicher Sehnsucht ließ ich sie von mir scheiden aber es war gut! Ob jemals die Deutung die Du in Friediriquens Vermächtniß nicht mißverstehen wirst, ob dieße jemals wird in Erfüllung gehen, bezweifle ich , ich glaube sogar daß es beßer ist Antonie bleibe immer, die schwesterliche Freundinn meines Schwagers. Den Spätherbst wollen Sie mich besuchen, oh Caroline könntest Du auch zu mir kommen, Herrn Knippenberg ist nicht zu uns gekommen, er hat mich geärgert weil ich so gern viel von Dir gehört hätte und von Deinen lieben Kindern. Die Meinigen sind wohl und jedes nach der Reihe soll vor Dir auftreten. Amanda ist brav, |4 manches ekigte in ihrem Carakter schleift sich nach und nach ab, und auch ihr weniger Hang zur Häuslichkeit wird jetzt durch eine klärere Ansicht die sie von der Nothwendigkeit deßelben erhalten hat, bestimter und thätiger. Uebrigens waren für sie die bittern Erfahrungen der Reise nothwendig um den Werth zu erkennen den ihr das Mutterhaus und der treue edle Stiefvater anbieten.

Pauline ist ein herrliches Kind, voller Gemüth und Liebe, ihr mütterlicher Sinn für ihre kleinen Geschwister die Duldung die sie allen beweiset die ihre Gedult prüfen und die unendliche Anhänglichkeit an mich machen sie mir sehr werth. Als sie vor einigen Tagen hörte Demoiselle Romberg reiste nach Bayreuth kam sie schnell gelaufen mich zu fragen ob es sich wohl zieme Dir, ihrer guten Freundinn etwas von ihrer Hand gearbeitetes mitzuschiken. Ich genehmigte es in Deiner Seele und da entstanden beykommende Strumpfbänder, nim das kindliche Opfer der Liebe freundlich auf —

Reinhold der Engelsknabe, was soll ich Dir denn von diesem sagen; Von diesem |5 wunderbaren Kinde was ich oft fürchte, nicht zu faßen so vielseitig ist es schon in einem Alter von 2¼tel Jahre. Ich kann Dir die äußere Anmuth des Kleinen nicht beschreiben, Schroeder sagte mir neulig es sey ihm nie ein Kinderköpfchen vorgekommen in dem so viel Phiesionomie und Harmonie vereint wäre. Wenn Schroeder nicht an der Brustwaßersucht stirbt, welches man befürchtet , so will er mir Reinhold mahlen, als Cherub aus den Wolken schauend. Er gleicht seinen Vater in Allem die höchste Lebendigkeit, eine außerordentliche Heftigkeit die aber gleich wieder besänftigt ist. Kurz es ist ein himlischer Knabe, deßen Erziehung mich mehr als Alles beschäftigt und wobey mir Richters Levana von außerordentlichen Nutzen ist. Ich denke ihn gefaßt zu haben um seine Lehren anwenden zu können. Antonie mein jüngstes Kind, ein närrisches Dikerchen, so unbedeutend ihr Alter von 13 Monathen so auch ihr Wesen. Gottlob aber daß mir die Kleine nicht so außerordentlich erscheint wie ihr Bruder, zwey |6 solche Kinder wie Reinhold, ich würde nicht fertig werden.

Von mir selbst kann ich Dir nicht viel erbauliges sagen. Die Africanische Sommer Hitze hat mich sehr angegriffen, ich mag wohl ein wenig an der Brust leiden, wenigstens ist ein böser Husten der mich plagt und der nach vielen Mitteln immer nicht weichen will kein gutes Simptom. Die Meinigen ahnden nichts davon und daß ist mir lieb, ich lebe gern das Leben lacht mich freundlich in meiner nächsten Umgebung an, ich würde es ungern hingeben, soll es aber früher sein als in dem gewöhnlichen Zeitlauf, nun dann soll mir Friederique vom Himmel ihren Genius der Resignation senden.

Schwendler der ewige sich gleich bleibende frohsinnige Mensch grüßt Euch herzlich. Mein Verhältniß zu ihm ist ununterbrochen glüklich, ich liebe ihn unendlich und ich bin ihm so gern gehorsam.

In meiner oeconomischen Laage habe ich manchen Verlust gemacht, mein unglükliches Vaterland hat auch von meinem Vermögen |7 geraubt, darum muß ich mich in mancherley Hinsicht einschränken. Da indeßen Schwendlers bürgerliche Existenz bedeutender geworden, seit er Mitglied des Geheimenraths Collegiums ist und wenn es Irgend möglich ist ich überhaupt selbst Hand anlege, so ist mein Haus das Einzige wo zuweilen Gesellschaft ist wohin wenigstens jeder Fremde komt der sich hier aufhält. Manche vorzügliche Bekanntschaft ist mir dadurch geworden, Hr Weisse den Du mir empfohlen war ein feiner Mann. Wagner, die Reinwalds und Louise und ihr Vater, sind mein einziger vertrauter Umgang. Wagner ist ein herrlicher Mensch, so klar und rein. Er ist gleichsam mit der Erde fertig und doch verweilt er gern auf derselben. Die Gesellschaft bey der diken Heimin ist so gesunken daß ich beynahe gar nicht mehr hingehe.

Eine himlische Anlage haben wir uns im Freyen geschaffen an der Werra dem Schloß Garten gerade über in dem sogenanten |8 Herrnberg . Mit den Kindern bin ich fast immer drüber und ergötze mich an der köstlichen Aussicht. Schwendler ist zwar kein Gärtner dazu fehlt ihm Gesicht aber desto mehr Geschmak hat er bey Anlagen, ich helfe auch ein wenig. Die ganze Besitzung kostet uns 2000 rtl. man sagt sie sey nicht theuer.

Nun Caroline bin ich endlich fertig nim den langen Brief als Sühn Opfer an. Schreibe mir von Dir selbst und von Deinen Kindern recht viel. Auch könntest Du die rükfahrende Gelegenheit der Romberg benutzen und mit den Kindern zu mir kommen, oh Gott Caroline wenn Du oder Emanuel oder Richter, Himmel wenn jemand von Euch käme. Bedenkt es doch Ihr Lieben Richtern meinen Gruß alter treuer Liebe in meinem Tagebuch habe ich das Andenken unserer nun 12 Jährigen Bekanntschaft gefeyert. Vor Gott behaupte ich, auf der Erde liebt Euch Niemand mehr

als Eure Henriette

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Caroline Richter. Meiningen, 28. August 1811, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0292


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H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S.