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Welkershaußen bey
Meiningen der 4 Nov. 21

Theure Freundin!

Ihr Brief von 16ten Oct. d. J. erhielt ich den 29ten d. M. Wie sehr erfreut war ich als ich Ihre Aufschrift erblickte, des trauer Siegels ohngeachtet, da ich nichts so fürchtete, als der Inhalt war. Gott wird mit Ihnen sein Sie trösten über den Verlust Ihres einzigen Sohnes! Ich hatte oft von diesen Jüngling sprechen hören, ich frage immer nach Euch mir immer ewig theure Geliebte Freunde. Euer schönes Gärdchen des Lebens war so lange Jahre vor allen Stürmen gesichert, es endblüht alles so frisch u rein – die liebste Blume wurde welk – starb! Gebt Gott gerne das Liebste, er gab Euch ja auch viel Gutes – noch lebt der herrliche Richter, dem Gott noch lange, alle denen so ihn lieben zum Genuß leben laßen möge Noch Geliebte Richter! Sie sind noch Mutter von 2 sanften Wesen, Töchter die denen Gott |2 Gott der Mutter fromes Herz und Gemüth verleihe – die Zeit liebe verehrte Freundin führt uns wieder ins Leben ein, der Schmerz lößt sich in stille Wehmuth, auf, die ein schönes Gefühl ins trauernd Herz bringt. Die geliebte die der Todt uns nimt, streifen ja uns einige Augenblicke früher v. uns, was fühl ich bey meinem bald 65 verlebten Jahren – als ein Traum – viele Stunden – Tage die mir um Trost bange war – aber doch dünkt mir ein schöner Traum. Ich bin nun ganz allein auf meinem bauerhof, ein liebes Mädchen war nun bald 4 Jahr bey mir , fast scheint es daß sie des Mädchens Bestimung endgegen gehen wird, dann bin ich wieder allein, den nicht immer findet sich ein Wesen, wo mann nicht lieber allein als in fremter Gesellschaft zu sein. Ich lebe unter Bauern mit denen mann nicht weider kommen kann, wenn mann sich auch Mühe giebt, einen gewöhnlichen Vernünftigen Grundsatz ihnen bey zu bringen |3 In die Stadt gehen, ist für mich zu beschwerlich u. zum Fahren zu kostbar. Ich habe aber öfters Besuch von Herzensfreunden. Auch unsere Herrschaft besucht mich des Jahres einmal. Wir lesen viel, u. ich schreibe an meine abwesende PflegKinder u. Freunde. Von Berlin aus werden Sie wohl auch erfahren haben, das die 2te Tochter von meinem Schwager hennriette, die Gattin des Präsident v. Grollmann zu Ende v. Jahr im Kindbett starb – die schönste Blume in den Kranz der 5 Töchter , eine frome liebende Frau. Noch nie hatte mehr trauer die Freude der Familie gestöhrt. Die 4te Tochter Auguste die Frau von Georg Keßler bekam schon im Frühjahr d. J. Anfälle v. Schwäche, sie war schwanger, der Vatter glaubte bey einer glücklichen Endbindung würde sich alles geben, sie kam nieder mit einer Tochter allein nach den Wochenbett, kam die völlige Auszehrung dazu, das jung Weib, Mutter v. 3 herrlichen Knaben , (das lezte Kind starb nach 2 Monath wieder ) starb im August d. J. so ganz Gottergeben, mit |4 so vieler Ruhe und Freudigkeit in ihren Erlöser. Georg war tief betrübt aber nicht ohne Trost, da ihm sein Göttliches Weib so schön vorbereidet hat. Ich weis nicht ob ich Ihnen – den Verlust gemeldet hab, den vor länger als 2 Jahren mein theurer Freund der General Superintendent Vierling erlitten, da sein einziger Sohn die Freude seines Alters, der als Stadtgeistlicher angestellt war, ein herrlich feuriger Prediger wo alt u. jung zu seiner Kirche eilte – er starb schnell an einen Erkälten in 24ten Jahr Noch will die Wunde nicht ganz heilen, bey den alten Vatter, der in meinem Alter ist. So finden Sie Beyspiele, aber nicht Trost, da jeder Fromme wünscht daß der Freund auch keine Leiden habe. Grüßen Sie Ihren lieben Mann meinem hochverehrten Freund, Ihre Töchter, die Ihnen rechte schöne Freude geben mögen, Gott erhalte sie Gesund u. bewahre sie den theuren Eltern. Fr. v. Reitzenstein meinem Gruß, mich freuts daß ihr Loos so gut gefallen, sie war als Mädchen mehrmals bey mir. Gott sey mit Ihnen, wir werden uns wieder finden, wenn wir uns hier auch nicht wieder sehen, die Liebe wird uns auch dort wieder zueinander führen

und so lange wir leben in Liebe und Freundschaft an einander denken.

Ihre theilnehmende Heim

Louise Heim hat Ihr [...] B. betrübt, Vierling nahm großen Antheil, gleiches Schiksal verbindet die Gemüther

Denkt Emanuel auch noch meiner? grüßen Sie ihn recht schön. In der Zeitung stand ohnlängst: Der Jud Imanuel in B. sey Christ geworden , ist es unser Imanuel?

die gute frome Fr. v. Künsberg ist nun näher bey Ihnen, da haben Sie einen Schatz v. einem weiblichen Wesen.

Zitierhinweis

Von Johanna Heim an Caroline Richter. Welkershausen, 4. November 1821, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0293


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.