Von Karl Spazier an Karl Friedrich Müchler. Leipzig, 8. Oktober 1800, Mittwoch

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Leipzig 8ter October. 1800

Mein theurer alter Freund

Ein günstigeres Schicksal hat mich endlich wieder ins Licht geführt, nachdem ich Jahrelang in Dessau wie in einer Cimmerischen Nacht gesessen hatte. Ich lebe hier wieder unter Menschen, habe mir einen großen Schauplatz der Thätigkeit eröfnet durch eine Zeitung für die elegante Welt, wovon Anzeigen Dir wohl zu Gesicht gekommen seyn werden, da sie an alle literar. Lärmplätze angeschlagen worden sind, u habe die Aussicht zu einem glücklicheren u zufriedeneren Leben, als mir seither bey mancherley Kampf mit Mangel u Ungemach im Allgemeinen werden konnte. Ich denke, dieses Resumé bin ich einem meiner ältesten Freunde schuldig, den ich hochschätze u von dem ich die Überzeugung habe, daß er ehemals viel Interesse an meinen Begegnissen nahm. Allein wie denn in der Welt Niemand eigennütziger seyn kann, als ein Redakteur – es müßte denn der Buchhändler den Vorsprung haben – so verbinde ich mit dieser meiner Nachricht zugleich einen Anschlag auf Dich, mein theuerster Müchler. Für die elegante Welt soll geschrieben werden, das heißt mit kurzen Worten, es sollen so viel möglich treffend zarte Umrisse von dem gegeben werden, was in der großen Welt vorgeht u für dieselbe geschieht. Gehören dazu nicht vorzügliche talentvolle, freie, gebildete, in größeren KZirkeln u auf größere Zirkel wirkende Menschen, die das Leben u Treiben der vornehmen Menschen von Grund aus kennen, die die ersten Nachrichten von Vorfällen des Tages (bey Sonnen- oder Kerzenschein) einziehen, die die wichtigsten Menschen der großen Welt kennen, zum Theil mit ihnen umgehen, sie belauschen, |2 die Anekdote entweder erfahren oder selber interessantes erfinden u unter die Menge verstreuen u s w? Gehören nicht insonderheit Leute dazu, wie Du, mein lieber Freund, die das Wunder bestehen, neben der angestrengtesten, ernstesten Thätigkeit des Berufes sich mit Leichtigkeit in die Freuden der Geselligkeit, in den Strudel der großen Welt u in eigene Schätzung der Dichtung hineinwerfen zu können!

Laß mich Dich also freundschaftlich zur Mitwirkung an diesem meinen Blatte auffordern, das in Absicht der Mitarbeiter in der That glücklicher ist, als ich es vermuthen konnte, u gönne mir eben das, was Du so vielen schon erwiesen hast, die Dich vielleicht weniger angingen, als ich. Die Gesellschaft von Männern wie Baggesen, Tieck, vielleicht Jean Paul, Meißner, Ramdohr, Overbeck etc. im Fache der Erzählung u vieler anderer sehr bedeutender Gelehrter, Künstler u Geschäftsleute aus den höheren Ständen soll Dir keine Unehre bringen. Der Name Zeitung müsse Dich nicht abhalten; sie gibt das Vorrecht nicht auf, interessante Aufsätze mehrere Blätter hindurch fortführen zu können. Willst Du also so gütig seyn, der Gesellschaft, wenn nicht (deiner vielen Geschäfte wegen) als ordentlicher strengperiodischer, etwa Monathlicher Mitarbeiter sondern als Volontair mit freiwilligen Beiträgen dich anzuschließen, so bist du mir u dem Institute freylich willkommen u ich bitte dich um diese Gefälligkeit. Es versteht sich, daß ich Dich dabey nicht in den |3 Fall setze, wenigstens den mir für jetzt nüzlichen Beweis meiner Erkenntlichkeit an Honorar, für den Aufwand deiner Zeit, zu vermissen. Ich bin dennoch so frey, Dir 1 Ld'or für den ged. Bogen zu offeriren u ich wünsche, daß du vor der Hand mit dieser Kleinigkeit vorlieb nehmen mögest. Die Sache ist erst noch im Werden u ich bin noch zu sehr eingeschränkt, da das Schicksal meiner Familie an diese Entreprise unmittelbar geknüpft ist, als daß ich mich weiter ausdehnen könnte. Sey also so gütig, Dich bald darüber zu erklären, ob u was ich von Dir hoffen u erwarten darf. Sehr angenehm u erwünscht soll es mir seyn, wenn Du mir gleich für die ersten Blätter etwas geben könntest, das sich durch recht viel Pikantes auszeichnete. Ein kluger, recht freier metrischer oder unmetrischer Wunsch zum neuen Jahrhundert für ein elegantes Publikum z. B. müßte eine gute Wirkung thun. Es ist ja überhaupt so vieles, was solche Menschen interessiert, wofern es nur artig u witzig vorgetragen wird. Was bietet Berlin nicht für Seiten dem Beobachter u Kenner dar! Kurz, ich kann u will es Dir völlig überlaßen, was Du Dir auswählen willst; ich bin auf jeden Fall überzeugt, daß Du interessante Sachen liefern wirst.

Noch eins. Da es auch mit zum Plane des Blattes gehört, daß nöthigenfals in Extrablättern Feste von wichtigen Staatspersonen aus dem Civil- oder Militärstand; ausgezeichnete Beförderungen oder Vernachlässigungen u sonstige Schicksale von Personen, die |4 der Aufmerksamkeit der großen Welt werth sind, kürzlich aufgestellt werden, Biographien, Charakteristiken, Anekdoten von der äußeren Lebensweise berühmter Menschen etc. so habe ich für das Militärfach die Idee, ob es sich nicht beym Oberkriegs Kollegium machen ließe, daß die Ordre oder der gute Rath zum wenigsten an die Chefs der Regimenter gegeben würden, künftighin solche Nachrichten, die sich in politischen Blättern verlieren u d. dort theurer bezahlt werden müssen, für unsere Zeitung hier eingesandt würden, wobey zugleich aufgegeben würden, daß sie so kurz als möglich abgefasst, u so gut als möglich geschrieben würden. Mich dünkt dieser Gedanke ist nicht übel u verdiente wohl, von dir zum Besten der allgemeinen Sache u auch zum Vortheil der Zeitung in Anregung gebracht zu werden, als welche dadurch eine noch grössere Ausbreitung erhielte. Hast du mir dieserhalb irgend einen Vorschlag zu thun, den ich der Sache selber oder der Form wegen zu befolgen hätte, so sey so gütig, mir dies bald zu sagen. Die Sache scheint mir wichtig. Insertionsgebühren sollen nicht bezahlt, aber franko müsse die Nachricht eingeschickt werden, das wäre die einzige Bedingung. Ich will zu dem Ende eine Anzeige der Buchhandlung lieber beilegen, damit Du sie allenfals präsentiren könnest.

Ich hoffe auf eine baldige u günstige Antwort von Dir. Meine Frau empfiehlt sich dir freundlich. Ich habe 2 Kinder u noch Etwas drüber . Sage mir doch, obs wahr ist, daß auch Du geheirathet bist? Wenn es ist, so emfiel mich Deiner Liebe sehr angelegentlich.

Dein Spazier

Zitierhinweis

Von Karl Spazier an Karl Friedrich Müchler. Leipzig, 8. Oktober 1800, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0305


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Textgrundlage

H: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, A/883/2008
1 Dbl. 4°, 4 S.