Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Coburg, 14. November 1803, Montag

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Coburg. den 14ten November 1803

Der eine unbedeutende Name an der Stirn dieses Briefes, faßt eine Reihe mannigfaltiger Begebenheiten in sich, die Ihnen, mein geliebter Vater, nicht ganz unintereßant seyn werden, weil Sie sich auf mich beziehen. Aber ohne einer wortreichen Darstellung derselben, wird in Ihrer Seele ein Bild stehen vom Ganzen; von den Freuden und von den Schmerz der lezten Zeit.

Schade, daß nie ein Genuß vollkommen seyn darf, und daß auch mir die lang ersehnte Freude Carolinen einmal wieder nahe zu seyn, durch die Trennung vom geliebten Manne halb verloren geht.

Es gab mir für diesen Schmerz nur einen Ersaz; den, in zwey dankbaren Gemüthern Das Opfer das mein Mann ihnen brachte, erkannt zu wißen. Sie fühlen es, was es ihm kosten mußte, das Wesen, das im höchsten Sinne des Worts eng mit ihm verbunden ist, – zu einer Zeit von sich zu laßen, in |2 welcher Menschen die einmal mit und für einander leben, ihr höchstes Glück nur im häuslichen Verein finden können – in dieser winterlichen Jahrszeit – auf der weiten Reise dem Geleit fremder Menschen, überlaßen – und endlich – wenn gleich im Schooß ihrer Freundin aufgehoben – doch in Hinsicht des Orts, und der übrigen Menschen, in durchaus für ih n m durchaus unbekannten Umgebungen.

Die Zeit meinens hiesigen Aufenthalts ist nun schon bis zur Hälfte verlaufen. Caroline wurde mit dem Ende der ersten vier Wochen die ich bey ihr lebe, glücklich von ihrer Bürde befreyt. Sie befindet sich so wohl, daß man das ganze Wochenbett für Spas nehmen möchte; und ist auch so glücklich, diesmal ihr Kind selbst stillen zu können – und so wird wohl mit dem Ende dieses Monats meine Rückreise möglich seyn . Richter wird die Güte haben mich die Hälfte des Weges zu begleiten, und die andre Hälfte, mein Mann mir entgege g n kommen.

|3 Ich bin recht froh daß Minna und Caroline jede mit einem Knaben ihre Männer und die Welt beschenkt haben. Caroline hat nun ein hübsches Paar ! Zwar läßt sich von der kurzen Existenz des kleinen Sohnes noch nicht viel sagen – aber ihre Emma ist ein wahrer Engel! Indem ich Ihnen schreibe, ruft Caroline aus dem Bette mir zu, Ihnen doch ja recht viel von der Emma zu erzählen! Wenn sich nur das, erzählen ließe – was Liebenswürdiges und Intereßantes schon jetzt in dem kleinen Wesen liegt.

Während unserm Beisammenseyn hat sich die Möglichkeit einer dauernden Vereingunge der drey Schwestern in Leipzig recht klar vor unserer Seele gestellt.

Ich kenne wircklich nichts für uns Alle so wünschenswerthes, als daß Richter, der in der That nicht ganz abgeneigt ist, eimal Leipzig zum Wohnort zu wählen, sich wircklich dazu entschließe. Minna ist doch littera- |4 rischer Verhältniße wegen an Leipzig gebunden. Ich liebe es sogar – und möchte so lange mein Mann sich in seiner Situation gefällt, keinen andern Wohnort , kein anderes Haus, keine freundlichern Umgebungen, als ich sie nun schon über drittehalb mein nenne! Aber Caroline, ob sie gleich Kinder hat und glücklich ist, lebt doch wahrlich zu isolirt, zu abgeschnitten, von allem was sie noch außer ihrem Manne und ihren Kindern lieb haben könnte. –

Leben Sie recht wohl, mein geliebter Vater! und verzeihen Sie mein schnelles Abbrechen! Die Zeit ist mir ein wenig kurz zugemeßen, denn ich muß mich theilen in der Aufsicht über das Hauswesen und über Caroline. Empfelen Sie mich Ihrer lieben Frau – und lieben Sie ferner Ihre

treue Tochter
E'. Mahlmann

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Coburg, 14. November 1803, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0310


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.