Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Freiberg, 28. Juni 1802, Montag

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Freiberg. am 28sten Juny
1802:

Mein theurer Vater,

Ihren lieben Brief habe ich glücklich erhalten, und grade zu einer Zeit wo er mir eine unaussprechliche Freude machte. Am 26sten früh erhielt ich ihn. Wir waren 2 Tage früher, von Dresden hier angekomen und mein [...] Mann welcher sich unmöglich länger aufhalten konnte, war eben an dem Tage früh um 5 Uhr nach Leipzig zurückgereißt. – Sie können wohl glauben, daß die Trennung von ihm meinem Herzen etwas kostet – und da ich in dem Gefühl versunken war, nun von Allen losgerißen zu seyn denen ich eigentlich angehöre – kam wie ein guter Genius, der Seegen Ihres Briefes über mich – und erhob mich wieder in dem Glauben an Ihre Liebe [...] und der Liebe Ihrer Kinder zu Ihnen, als ein Band, das keine Zeit, und keine Entfernung je zu lösen vermag. Halten Sie sich fest daran, mein guter Vater,! Gebe doch der Himmel, daß Sie noch recht glücklich werden. Mir ist es als sollte ich aus Ihrem Briefe eine bestimmtere Zuversicht auf die Erfüllung ihres Planes , wahrnehmen können. Theilen Sie |2 un d s doch recht bald wieder mit, ob Sie näher ge dem Ziele nähergerückt sind. –

Wohl kann ich mir denken, wie die Last Ihrer Geschäfte, drükend gewesen seyn muß, nach dieser himmlischen Reise . Ach, mein guter Vater, was habe ich gelitten, bey der Furcht daß das abscheuliche Wetter, und die ganze Art Ihrer Reise Ihrer Gesundheit nachtheilige seyn würde.

Es ist auch ein Wunder daß Sie gesund geblieben. — Wir haben noch manchen schönen Genuß in dem lieben Dresden gefunden, doch dünckte mir – die ersten 4 Tage mit Ihnen durchlebt wären die schönsten gewesen. Mir ist des Ganze nun wie ein Traum! –

Viele schöne Gegenden haben wir noch durchstreift – doch im eigentlichen nur durchstreift – so flüchtig – und so zusammen gedrängt war der Genuß.

Hier in Freiberg, muß ich mich in Rücksicht der schönen Gebürgs-Gegenden, nur ganz an die Erinnrung halten – denn ich finde die Natur nicht so reich und lieblich als ich mir sie gedacht hatte. Das Städtchen ist klein und unbedeutend, und überall findet man Spuren von der Armuth seiner Bewohner. Von den Menschen kann ich noch |3 nicht urtheilen; weil ich erst wenig Tage hier bin – so viel ich aber um mich her bemerke – so denke ich soll Freiberg zu einem relief für Leipzig dienen. –

Die Menschen unterbey denen ich lebe sind gut – und ich kann in ihrer Nähe nur gewinnen. Die Schwester meines Mannes kennen Sie schon aus frühern Schilderungen. – Ihr Mann ist nicht ohne Bildung – und in seiner engen Späh Sphäre unbescholten und brav. Eine Schwieger Mutter – die Mutter des Mannes – lebt mit ihnen, und ist mir eine rührende Erinnerung meiner verstorbenen Mutter, von welcher sie in tausend kleinern Zügen, viel Ähnliches hat. Ich ka muß sie darum lieben, und ich möchte durch tausend kleine Aufmerksamkeiten die ich ihr zu erzeigen suche den Schatten meiner Mutter ehren. Drey Kinder, von denen das Kleinste eben erst drey Wochen alt ist, mehrenerhöhen das Glück, dieser in Beschränktheit, zufriednen Menschen. Die beyden Ältern sind liebliche Wesen. Ein Knabe von 6 Jahren und ein Mädchen von 4 J:. Der Knabe gehört zum Geschlecht der Mahlmänner. Wenigstens hat er in den Zügen seines Gesichts |4 viel von meinem Manne – und wenn es nicht kindisch ist, von Kindern zu prophezeihen was sie einst seyn werden – so möchte ich es von diesen vorher sagen – daß wenn er alt wird, er kein gewöhnlicher Mensch werden wird. Jetzt ist er leyder körperlich schwach – aber eigen – eben so wie mein Mann in der frühsten Kindheit es ebenfalls gewesen seyn soll. –

Nun, guter liebster Vater, muß ich enden. Ich habe Ihnen so viel vorgeschwazt. Haben Sie Nachsicht und Geduld mit meinen Plaudereien – und – geben Sie mir, wo möglich recht bald wieder ein Zeichen Ihres Andenkens. –

Ihren Brief habe ich nach Leipzig geschickt, damit mein Mann nicht ganz um die Freude komt, Nachrichten von Ihnen zu empfangen. –

Leben Sie wohl, mein geliebter Vater

Ewig Ihre

Ernestine

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Freiberg, 28. Juni 1802, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0320


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.