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Heidelberg den 27.sten
Nov. 1815.

Verehrteste Frau Legationsräthin!

Ihnen nun wieder einmal zu schreiben, ist ein Vergnügen, welches ich durch das in Ihrer lieben Antwort auf meinem Brief , ertheilte Recht dazu, als ein wahres Fest genieße. Gleich hätte ich Ihnen wiederschreiben mögen, wenn nicht der eigennützige Gedanke mich zurückgehalten hätte, so, sicherer in Ihrem Andenken empfohlen bleiben zu können, als wenn ich mich in den Schein einer zudringlichen Correspondentin wagte, denn wenn Jedes, welches das längst ersehnte Vergnügen genoßen, den lieben Jean Paul kennen zu lernen und durch Ihre Bekanntschaft, jenes Vergnügen, mit neuem Reiz vermehrt zu sehen, Sie nun sogleich auch mit einem Briefwechsel behelligte; wies unausstehlich müßte dies für Sie werden, wie ungünstig den neuen Bekannten! also suchte ich meinen Vortheil beßer zu verwahren, indem ich mir vornahm, die mir so gütig in Ihrem Brief angedeutete Erlaubnis, nicht zu misbrauchen, jedoch dann und wann Sie an dieselbe zu erinnern. Ich möchte gar zu gern wieder einmal ein Wörtchen an mich, von Ihnen ver- |2 nehmen und hören, wie es Ihnen beyderseits und Ihren lieben Kindern geht; ich hoffe daß Sie mir so gute Nachrichten zu ertheilen haben werden, als ich es wünsche und als ich von meinen Sohn und mir, Ihrer wohlwollenden Theilnahme, Gott Lob, geben kann. Die Vorzüge und Freuden, in Heidelberg einheimisch zu seyn, ließen wir auch mehrere Male, mit denen abwechseln, die eigentlich auch dazu gehören, mit intereßanten Reisen, welche die Lage Heidelbergs, in den Ferienzeiten zu machen verstattet; zu Ostern waren wir in der Schweiz, durch das herrlichste Frühlingswetter begünstigt, und zu Michael in Holland; beyde Reisen haben uns mit höchst angenehmen, obgleich ganz verschiedenen Erinnerungen bereichert, unter denen jedoch bey mir, die Freude das Meer gesehen zu haben, auf welchen wir von Schevelingen aus, sogar eine Spazierfarth machten, überwiegend bleibt; die Alpen, der Genfer-See und so vieles in der Schweiz, ist entzückend schön, aber höhere, umfaßendere Freude, machte mir das Meer; ich möchte Ihnen stundenlang davon erzählen, wenn wir uns sähen, aber schriftlich wäre es lächerlich von mir, Ihnen und den lieben Jean Paul, im Fall er einen Blick |3 auf meinen Brief würfe, anzubieten, was Ihr beyderseitiger Sinn, gewiß schon beßer besitzt, als meine Feder ausdrücken würde.In Amsterdam blieben wir acht Tage; der mit Schiffen so vieler Nationen besetzte Hafen, machte uns viel Freude, wir besuchten ein Griechisches Schiff und wenige Wochen zuvor, war auch ein chinesisches da gewesen; wir waren auch in Nordholland, um das berühmte Broeck zu sehen, auf den Weg dahin, fanden wir an denen den Häusern zunächst stehenden Bäumen, die Stämme weiß angestrichen; die Uebertreibung der Reinlichkeit findet es nöthig dadurch die Natur zu corrigiren, dieser Anblick ist äußerst comisch. Nachdem wir die meisten bedeutenden Städte Hollands besucht hatten, nahmen wir unsern Rückweg über Antwerpen, Brüssel, Lüttich, Mastricht und kamen nach einer fünfwöchentlichen Abwesenheit, glücklich wieder in Heidelberg an. Mein Sohn empfielt sich Ihnen beyden angelegentlichst.

Ehe ich diesen Brief schließe, befragte ich für denselben den vortrefflichen Schwarz, um einen Auftrag; er versichert Sie seiner Hochachtung, grüßt herzlich Ihren Herrn Gemal, läßt ihm sagen, wie sehr er sich sehnte, wieder einmal etwas von ihm zu hören, ferner, daß er ihm |4 seine Vorrede zur zweyten Ausgabe der Rudolphischen Erziehungsgemälde gern geschickt, wenn eine andere Gelegenheit als die Post, sich dazu gefunden hätte und daß er noch vor wenig Tagen, details über eine Somnambule, welche diesen Sommer in Wisbaden war, und worüber er die Belege in den Händen gehabt, erhalten, welche die Ansichten des lieben Jean Paul vom Magnetismus (die ich auch mit inniger Freude las) sehr bestätigen, und endlich daß das Pathchen Caroline sich wohl befände und das lebhafteste und gescheuteste seiner Kinder wäre; die Ihrigen umarme ich in Gedanken und hätte nun auch noch an Ihren Herr Gemal Empfehlungen von mir beyzufügen, wenn mir dieses Wort, nicht so unbedeutend vorkäme, wenn es die Gesinnungen gelten soll, welche die Freude Jean Paul zu kennen und gar zu gern in guten Andenken bey ihm bleiben zu wollen, ausdrücken soll. Daß die Hoffnung Sie allerseits in Heidelberg zu sehen , nicht erfüllt werden konnte, ist eine große Lücke für den Cirkel aller derer, die es so lebhaft fühlen, wie schön es wäre, Sie hier zu besitzen.Hätten Sie doch manchmal Zeit, mich mit einem Brief zu erfreuen! zwey eigentlich nicht zu einander gehörenden Gefühle, Stolz und herzliche Zuneigung, erregen und unterhalten lebhaft bey mir diesen Wunsch.

mit

inniger Ergebenheit

die Ihrige Henriette B v. Ende
geborene v Globig.

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Heidelberg, 27. November 1815, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0412


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 4 S.