Von Ernestine Mahlmann an Caroline Richter. Leipzig, 29. bis 31. Januar 1804, Sonntag bis Dienstag

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Sonntags. den 29 ten Januar 1803.

Meine geliebte einzige Caroline, es liegt mir eine wahre Angst auf dem Herzen, da ich zwey Wochen keine Briefe von Dir bekommen. Zwar kann ich es vernünftigerweise gar nicht verlangen, daß Du mir so sehr oft schreibst, aber Du hattest mich verwöhnt – und der Inhalt Deines Lezten Briefes ist doch von der Art, daß ich alle Ursache habe für Dich zu [...] fürchten. Die Idee – daß Du irgend ein Ungemach haben magst, überfällt mich manchmal so mächtig, daß ich mich mit Gewalt zerstreuen muß. – Freylich habe ich jetzt so nicht viel Zeit, Empfindung nachzuhängen. Die beyden Kinder sind noch immer bey mir, und ich bin recht oft ungeduldig über den enormen Grad von Lebendigkeit, durch den sie im allem beherrscht werden, was sie vornehmen. – Aber ich kann Dir die angenehme Nachricht geben, daß heut am Beschluß der dritten Woche der Krankheits-Periode, Julius sich so wohl befindet, als es nur die Umstände erlauben – und auch Minna mit dem Kleinsten so wie Spazier – von üb lich en unangenehmen Folgen welche diese Krankheit, und die allgemeine Noth hätten nach sich ziehn können, verschont geblieben sind. Minnas Kleiner, soll, wie sie mir schreibt, alle Tage schöner und stärcker werden – sie selbst aber dann doch in dieser kritischen Periode etwas abgenommen haben. |2 Von mir selbst weiß ich Dir nicht viel zu sagen, als daß ich im meinem Hause manchen Wirrwarr gehabt habe. Verwandte von meinem Manne kehrten auf ihrer Durchreise bey uns ein – und, ob es gleich nur auf eine Nacht war, so erforderte diese doch dieselben kleinen Einrichtungen als wenn es für eine Woche gewesen; zumal sich ein weibliches Wesen. dabey befand – daß ich Tante nennen muß, und das übrigens von so unangenehmer Art ist – daß – sollten einmal die Stamm-Linien der Mayers, und Mahlmanns entworfen werden – diese Tante, unsrer Cousine [...] in Berlin – liebenswürdigen Andenkens – gegenübergestellt werden müßte. Der 20ste Januar war der merckwürdige Tag an welchem ich die Bekanntschaft feyerte. Aus mehreren Gründen hatten wir eine kleine Gesellschaft zusammengeladen – theils um mir die Unterhaltung mit dieser Frau zu erleichtern, theils einem außerordentlichen Kopfe zu scheren! Dieser Kopf war nichts mehr oder weniger als ein wilder Schweinskopf den Spaziers von Deßau her geschickt bekamen. Diese wußten in ihrer Noth nicht damit anzufangen, und übergaben ihn uns. Da man aber solch eine Maschine unmöglich unter vier Augen verzehren kann, so wußten wir die Arrière dieses Schweinskopf nicht würdiger, als auf einer festlich geschmückten und vom von muntren |3 Gästen umringten Tafel zu beschließen. – Morgen Abend habe ich die angenehme Außsicht, dieselben Menschen auf ihrer Rückreise – wieder aufnehmen und einen Tag zu zwei Nächte, behalten zu müßen! –

Mein Mann kränkelt nur noch immerfort – und es hat sich ergeben, daß dieser laue Winter seinen Zustand weit schlimmer macht. Bey Frost und hellem Wetter befindet er sich ungleich wohler. Dein Mann mag hier seinen Grundsaz rechtfertigen daß die gelinden Winter gesünder sind als die kalten. Auch mag er mir vergeben, daß wenn er den Himmel um Gelindigkeit anfleht – ich das schärfste Gegentheil, Rauheit von ihm erbitte. –

An meinem Geburtstage hast Du Dich gewiß meiner recht lebendig erinert, meine liebste Seele, und ich weiß schon vorher daß ich Dir einen großen Gefallen erzeige wenn ich Dir von der Feyer deßelben, und von den schönen Sachen erzähle, womit ich beschenkt wurde! – Ich kann nicht sagen, daß ich grade besonders froh gewesen wäre! – Nach meinem Herzen sind diese Ablieferungen gar nicht – anders nenne ich die Geschenke gar nicht, die mir von fremden Menschen – zu theil werden. – Einmal macht es Freude, aber sobald es zur Regel wird, verschwindet die einzig wohlthuende Idee des freywilligen Gebens. Ich muß sagen der Morgens Morgen eines solchen Tages liegt allemal Centnerschwer auf mir. Doch nun will ich Dir erzählen |4 Mein Mann gab mir früh so wie wir aufgestanden waren, einen schönen Spazier-Schleyer, und ein auf einem Bande geschriebenes Gedicht von seiner Schwester daß sie für mich an ihn gesandt hatte. Das Beydes machte mir große Freude. Da mein Mann nicht gewußt daß ich schon einen Spazier-Schleyer hatte, freute ich mich noch mehr über seinen guten Willen, mir diese Freude machen zu wollen als über den Schleyer selbst. Er erlaubte mir hernach ihn umzutauschen, und ich nahm an der Stelle des Schleyers ein Halstuch in gesticktem Petinet . –

Gegen elf Uhr kam die Ludwig mit allen ihren Kindern , davon jedes eine Gabe brachte. Unter diesen gehort 1) eine Sandtorte. 2.) Schwarzer Sammt zu einem Spenzer. 3.) ein Strickbeutel. 4.) ein Geldbeutel. 5tens ) ein Fächer. 6.) ein P. Handschu. 7.tens ein P. Strumpfbänder. Als ich das alles in Empfang genommen und mich gehörig bedanckt hatte, [...] kochte ich einen großen Topf Chokolade, und sezte diesen davon nebst etwas Geback meinen Gästen vor. Meine Marie, die bey solchen Gelegenheiten sich auch immer aufmerksam bezeigt – doch wie man denken kann nur darum weil ihr das reichliche Intereßen bringt, sollte absichtlich nichs von meinem Geburtstag erfahren – weil sie ohnehin seit einiger Zeit einen großen Theil meines Zutrauens eingebüßt hat – war sehr betreten, und stellte sich noch als wir bei Tische waren |5 mit einem Kuchen und Blumen ein. Gleich am andern Morgen früh kaufte ich ihr ein kattunes Halstuch zur Revange. Die Ursache meines Widerwillens gegen Marie zu erzählen, wäre hier so weitläuftig. Ich habe aber beinah dieselben Erfahrungen an mir gemacht, wie Du mit der Lore. Mir ist nicht wohl wenn sie in meinem Zimmer kommt, und es wird mir schwer ihr ein freundliches Wort zu geben. Aber auch die Erfahrung habe ich gemacht daß die Männer sich nie an unsre Stelle sezen. Mein Mann ober er gleich mit mir darüber eins ist, daß sie nicht viel taugt, tadelt mich dennoch oft, in meiner Bitterkeit gegen sie. — Ich kann keine beßre Partei ergreifen, als nie darüber mit ihm zu streiten denn mit mir selbst bin ich eins über das was sie werth ist, und über die Art meiner Empfindungen gegen sie. Aber Also wenn er das geringste für sie sagt schweige ich stock still Und wo es darauf ankomt, in Beobachtung gewißer Formen meines Mannes Zorn nicht zu reizen, oder meinen Wiederwillen gegen diese Person nicht zu bekämpfen, da thue ich alles für den ersten Zweck schweigend – ohne je zu streiten. – Mit mir selbst bin ich demohngeachtet eins und fest!

|6 So wie die guten Männer, glaube ich, immer die Schwächen der Frauen schonen, so müßen die klugen Weiber die Irthümer der Männer – wenn es möglich ist daß auch sie welche haben! – durch Handlungen ehren und schweigend verachten! –

Montags früh.

Der Fuhrmann ist immer noch nicht angekommen – und es ist mir recht leyd, daß Du für den Winter wohl nicht darauf rechnen kannst, noch Dein atlas Kleid zu bringen. Mein Mann meynt die schlechten Wege hielten ihn ab, jetzt nach Leipzig zu fahren. Du hast doch die Sachen noch besonders an den Facktor Junker addreßirt, damit sie ja nicht verloren gehn können, und durch diesen guten Mann auf jeden Fall ordentlich besorgt werden? – Schreib mirs doch!

Hier erfolgen auch eine Menge Berliner Briefe : Vom Vater von der Merzdorfen; Deinen von der Merzdorf bin ich so unartig gewesen – auf zu machen. Um Dich zu versöhnen schicke ich Dir dafür alle die Meinigen – auch den des Vaters an Minna – über welchen ich besonders Deine Meinung zu wißen wünschte ! — |7 Von Emanuel habe ich einen Brief bekomen, den ich Dir auch beilege – aber gelegentlich mir zurück erbitte.

Lebe nun wohl, meine Seele, und sey gesund und froh wie ihr es wünsche. Gott gebe daß ich bald die Bestätigung davon erfahre, ehe werde ich nicht ruhig. Grüße herzlich Deinen lieben Mann. Ich lege die Maske hiebey zu eurer Ergözung wo möglich! Adieu Adieu Ewig

Deine Tine.

Gestern meine liebste Caroline, bekam ich noch spät AbendsDeinen Brief und die Kiste , und bin nun wieder ruhig! Tausend tausend Dank meine liebste Seele für die Zwiebäcke; sie wahrlich das ihre dazu beigetragen mich noch lebhafter zu Dir zu versezen! —

Deinen Brief ordentlich zu beantworten dazu fehlt es mir jetzt an Zeit – denn meine Gäste sind angekommen, – und ich stehle ihnen diesen Augenblick. – Nur über Deine Intention mir etwas schicken zu wollen zu m. Geburtstag, bin muß ich etwas sagen – nemlich tadeln muß ich sie. Wie |8 kannst Du wohl das wollen! – Sobald du so seyn willst, wie alle die gewöhnlichen Menschen erreichst, Du am sichersten den Zweck mir die Freude zu rauben, daß ich zuweilen meinen Überfluß mit Dir theile – Es ist mir sehr angenehm, daß ich kein Geld in der Kiste ich schreibe es Dir damit du weißt woran du bist. Denn ich würde das Geld für die Spize ohnfehlbar wieder zurückschicken. Du hast meine Ironie für Ernst genomen! Eben so schicke ich den Strickbeutel wieder. Es ist Schade, daß er so hin und her reisen muß. Er wird ja ganz und gar dadurch verdorben. Schickst Du ihn wieder, so reist er noch einmal, das versichere ich Dir. Du weißt doch daß ich fest seyn kann wenn ich will.

Nun lebe wohl meine Seele. Das Pröbchen von der Stickwolle war auch nicht im Kistchen zu finden. Ich freue mich sehr wenn der Schleyer göttlich wird — verstehe aber nicht was Du unter französischer und englischer Arbeit meinst – wird er denn anders als das erste was ich gemacht? Adieu Adieu ich habe keinen Augenblick mehr Zeit!

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Caroline Richter. Leipzig, 29. bis 31. Januar 1804, Sonntag bis Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0450


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S.


Korrespondenz

Zur Datierung: Der Brief ist von 1804; Richard Otto Spazier, von dem die Rede ist ("Minnas Kleiner"), wurde am 30. Oktober 1803 geboren.