Von Richard Otto Spazier an Caroline Richter. Leipzig, 29. Oktober 1823, Mittwoch

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Liebe Tante!

Schon vorgestern Abend bin ich hier in Leipzig glücklich angekommen und befinde mich jetzt schon wohlbehalten nebst allen meinen Sachen, die meinem Fortkommen nicht das geringste Hinderniß in den Weg legte, sondern im Gegentheil zu meinem bequemen Sitzen im Wagen das Ihrige beitrugen, auf meinem Winterzimmerchen vor meinem Schreibpulte, von welchem aus dieser Brief, so Gott will, bald zu Ihnen gelangt. Ich wollte freilich lieber, ich könnte mich selbst in ein Couvert einsiegeln und selbst auf die Post geben, um statt des Briefs in Baireuth einzulaufen; der Herr Graf Sperling von Spazenberg will aber dem Herrn Stud. juris Richard Otto Spazier zu Leipzig , (welche beiden Chargen in bekanntlich bekleide) solches nicht erlauben, und da muß freilich der Student seiner Exellenz gehorchen. – Man kanns aber wahrlich dem Studenten nicht verdenken, daß er solche Wünsche hegt; denn anstatt, daß er vor wenig Tagen noch Abends der hinter den schönen Bergen untergehenden Sonne ins liebende Auge schaute, kukt er jetzt seinen Nachbarn gegenüber in die Öllampen und sehnt sich auf seinen Zimmer nach den herrlichen Menschen, die er zurückgelassen bei den Bergen und bei der Sonne; – hier hat er Niemand, der sich viel um ihn schert. – Aber warum verwöhnt |2 er sich auch gleich an Alles, Student, sagt der Graf; früher hat’s Ihm ja in Leipzig recht gut gefallen; – aber so gehts, wenn man Leuten von Seinem Lichte Gelichter Gutes geniesen läßt; – gleich wollen sie es immer haben; man muß sich zu deteriren wissen in seiner Sphäre." – der gute Graf; – man hörts ihm an, daß er vom Hofe ist. –

Ein Umstand ist’s besonders, liebe Tante, der mir beide Reisetage sehr trübte; die Sorge nämlich um die gute Emma ; – mein Kutscher erzählte mir nämlich, als wir schon 4 Stunden von Hof waren, erst, daß der Baireuther Kutscher erst den folgenden Tag zurückfahren und die Emma in Konradsreuth nicht abholen würde; – die Vorstellung von Ihnen Allen und besonders der Emma Angst, und das Gefühl, die Sache nicht mehr ändern zu können, drückte mich fürchterlich; ich hätte meinen Kutscher beinah prügeln können, als er seine Freude über meinen Ärger nicht verbarg; – Mich tröstete nur der Gedanke, daß Frau von Reizenstein vielleicht die Emma würde fahren lassen; ich bin sehr neugierig zu erfahren, wie Alles noch geworden ist. –

Von der Mutter fand ich bereits einen Brief und das Nöthige vor; – ihre Genesung geht vorwärts Gott bei Dank, wenn auch langsam; – Minona ist jetzt ganz bei ihr und von ihrer |3 Pflege erwartet sie Alles; so werden hoffentlich auch von dieser Seite unsre Besorgnisse bald aufhören; – mit den Geshäften des Uthe scheint es aber nicht nach Wünshen zu gehen; – die Mutter wird Ihnen wohl auch darüber schreiben. –

Mahlmann ist von seinem Gute noch nicht wieder zurück; ich habe daher zu ihm nicht zu gehen gebraucht, was mir höchst angenehm war. – Stieglitz und Grosse sind auch von ihrer Reise noch nicht zurück, mein Stubencammerad auch nicht, eben so die wenigsten von meinen Freunden; – ich entbehre daher allen nähern Umgang; – da mein Instrument auch noch nicht da ist, so sind mir die mitgenommenen Bücher doppelt werth, wofür ich Ihrer Güte, liebe Tante, nicht genug danken kann; – ich exerpire daraus schon nach des guten Onkels Rathe tüchtig; – mit dem Wassertrinken will es aber noch nicht recht gehn; aller Anfang ist ja aber schwer; es wird wohl werden. –

Mit dem unaussprechlichsten Dank für Ihre unendliche Liebe und Güte, mit der Sie mich während meines so glücklichen Aufenthalts bei Ihnen überhäuften, mit den herzlichsten Grüßen an den herrlichen Onkel und mit der innigsten Bitte um gütige Nachricht von Ihnen Allen

bleibe ich

Ihr Sie innig liebender
dankbarer Neffe
Richard Spazier

Leipzig den 29ten Octbr
1823.
Großes Joachimsthal
in d Hainstraße
2 Treppen hoch. –
Zitierhinweis

Von Richard Otto Spazier an Caroline Richter. Leipzig, 29. Oktober 1823, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0483


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 3 S. Auf S. 4 Federproben und Krakeleien.