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Meiningen den 30 ten May 1802

Theuerster Vater!

Ihren Brief mit derZeichnung habe ich vor zwei Tagen erhalten und ich danke Ihnen recht innig daß Sie meine Bitte erfüllt haben. Ob ich aber dem Zeichner nüzlich seyn kann, glaube ich nicht – denn die Erinnrung giebt mir nur ein schwankendes kein festes Bild, und nur dunkel fliegt das wahre vor meiner Seele vorüber. Ich habe sogleich einige Versuche gemacht, allein keines ist mir gelungen – es ist sonderbar, daß mir die überschikte Zeichnung so sehr von der Natur abzuweichen scheint – das Auge allein scheint mir ähnlich, aber die Einbiegung von der Stirn zur Nase zu tief – die übrigen Züge scheinen mir durchaus unähnlich, es müste denn die Krankheit die unentwikletern Züge herausgehoben haben. Es war aber nicht meine Absicht, liebster Vater eine künstlerische Hand unterstüzen zu wollen – ich meynte mit meinem Wunsch nur einen Genus für mich zu verbinden. Aber unendlich würde es mich freuen nur eine Spur der Wirklichkeit zu erhaschen.

Nichts kann Ihnen mehr Freude machen, als beiliegender Brief des alten ehrwürdigen Gleim an mich , mit dem er mir gestern wie Sie sehen werden das Bild unsrer Grosmutter zusandte. Die Grosmutter |2 in meinen Händen und mit ihr die Springfeder aller Familienbilder in meiner Seele!

Fast kann ich es selbst nicht begreifen, und die Überraschung des ersten Augenbliks kann ich Ihnen nicht beschreiben. Werden Sie, und noch mehr die Tante Merzdorf mich nicht beneiden? Ich fürchte sogar daß Sie oder diese mir es nehmen möchten, wenn Sie nicht Beide ein eignes Bild besäßen – aber nein freiwillig würde ich es Ihnen mein theurer Vater geben, wenn Sie keines hätten, oder auch sobald Sie es nur leise wünschen. Nach Leipzig bringe ich es mit, und Sie sollen darüber entscheiden.

In meinem Zimmer habe ich es aufgehängt und es schaut so sanft auf alles was ich thue – wenn wir eßen ist es gerade über uns – mir ist oft als wäre ihr Ausdruk des Wohlwollens ihrer jezigen Empfindung abgenommen wenn sie auf unser stilles glükliches Leben sieht. Mein Mann findet das Gesicht auch so schön und liebt es wahrhaft.

Mein lezter Brief war nur eine Nachschrift dem meines Mannes beigefügt – für die ich noch einmal um Entschuldigung bitte – ich war in der That jenen Tag zu beschäftigt als daß ich weitläufiger hätte seyn können. Die kleine Reise nach Hildburghausen, obwohl nur von 2 Tagen, hat uns sehr viel Vergnügen gegeben. |3 Das Wetter war so unendlich schön, so daß die eigentliche Reise die wieder an die vorjährigen erinnerte einen großen Genus gab – wir wurden zwar umgeworfen, allein ohne allen Schaden für uns – die erste Erfahrung dieser Art für mich. In Hildburgh. sahen wir nur die herzogliche Familie die so liebenswürdig einig häuslich ist als Sie Sich irgend eine gebildete privat famili denken können. Einen Nachmittag und Abend waren wir den ersten Tag dort – die Etiquette verlezt aber doch noch recht hart die Achtung für die Menschheit. Denn, denken Sie, daß man die Dreistigkeit hatte mich während der Tafel sehr fein von meinem Mann zu trennen, indem mich die Oberhofmeisterin auf eine partie fine mit ihr und der ältesten Prinzeßin (15 Jahr alt) eingeluden. Und wir waren beide zur Tafel geladen. Nach ihr kamen wir wieder im allgemeinen Zimmer zusammen und es war, als wären wir nicht getrent gewesen. – Am zweiten Tag waren wir zum Frühstük dort, und die Herzogin sang – und wie! Diese Stimme ist einzig, und ihre älteste Tochter wird ihr nachkommen. Aber schon jezt macht die Unschuld ihres Gesangs einen sehr rührenden Eindruck.

Die Herzogin beschämte mich im lezten Augenblik unsres Dortseyns durch ein Geschenk – Es war eine goldne kleine Leyer an einer langen feinen Kette die mir die Oberhofmeisterin umhängen muste – Sie selbst g nahm sich auf eine so schöne Art – als ein Andenken an sie sollte ich es tragen – |4 ich wurde so bewegt, daß ich nichts sagen konte.

Wie wird es doch mit unsrer Leipziger Reise werden . Tinchen hat mir seit unsrer Entscheidung des August noch nicht geantwortet, und ich fürchte fast, wir zerstören durch diese Wahl ihre Pläne.

Eine allgemeine Krankheit zieht hier umher von der wir beide, mein Mann und ich zwar doch befreit geblieben sind – Ein Fieber welches an sich nicht gefährlich ist. Doch nicht auch bei Ihnen?, und sind Sie wohl, geliebter Vater, Sie schreiben so wenig von Sich, daß ich wünschte ein treuer Copist Ihres Lebens gäbe mir eine Abschrift davon. Kürzlich war ein Herr von Türk der in Berlin mit der Fr. v Bassewiz umgegangen war bei uns, mein Mann der allein zu Haus war frug nach Ihnen, aber er wuste nur zu sagen, daß er Sie in einer großen Gesellschaft gesehen habe, und nach genauern Fragen verrieth er eine gewiße Allgemein Gefälligkeit u log sich daher nur in Bekantschaften hinein. Am Himmelfahrtstag feierten wir recht schön u still unsern 1jährigen Hochzeittag, und gestern war es ein Jahr, daß ich von Ihnen getrennt bin! – – –

O mein theurer Vater, wann werde ich Sie wiedersehen? – Wie oft begleite ich Sie auf Ihren Spaziergängen mit meiner Seele – wie lebhaft u schauerlich steht Ihr Dasein vor mir! – ach wären Sie doch glücklich, würden Sie es doch bald durch ein liebendes Herz!

Gott erhalte Sie mein ewig geliebter Vater, schreiben Sie uns bald u lieben Sie ferner.

Ihre treuste Caroline

mein Mann grüßt Sie voll heißer Liebe, haben Sie den 3ten Titan, von Mazdorf bekommen? Lesen Sie ihn ja, und auch das Campaner Thal ich las es kürzlich und dachte daß Sie es [...]
Den Brief von Gleim schiken Sie mir bald wieder? Heute habe ich dem ehrwürdigen Greis geantwortet – diese Güte gegen mich Unbedeutende, hat mich an sich schon unendlich gerührt.
Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 30. Mai 1802, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0492


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Unterstreichungen vfrH mit blauem Stift.