Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Dresden, 18. Juni 1823, Mittwoch

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Dresden d. 18.ten Jun. 1823.

Mit Freuden benutze ich, werthe Frau, die Gelegenheit, Ihnen für Ihren lieben Brief vom 10.ten März d. J. herzlich zu danken und Ihnen Allerseits in schwarz auf weiß, bunt auf weiß und bunt auf bunt, (es gilt ja überhaupt viele Farben, bey einem reichhaltigen Stoff, wenn man ihn im Geiste vor sich hat, wenn sie gleich sich im Ganzen in eine Grundfarbe vereinigen) zu sagen, mit welchem Vergnügen ich in Gedanken jetzt in Ihren lieben Familienkreis eintrete. Ich freue mich daß der vortreffliche Ammon mit seiner liebenswürdigen Gefährthin, die ich zwar noch nicht persönlich, aber schon sehr viel, durch die so seltene Uebereinstimmung aller Urtheile über ihren Werth, kenne, mit Ihnen seyn wird. Zur Genesung der lieben Ottilie, statte ich Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch ab; Gott gebe, |2 daß beyde liebe Kinder, mit beyden Eltern, recht gesund und so glücklich als möglich seyn mögen!

Der Tod der Gräfin Schönburg, hat gewiß unter den Freunden, welche diese Frau durch ihre Liebenswürdigkeit, sich leicht zu erwerben wußte, einen schmerzlichen Eindruck gemacht, in ihren letzten Wohnort. Frau von der Recke und Tiedge, welche beyde mich vor Kurzem besuchten und Gott Lob recht munter sind, gedenken Ihrer und Ihres lieben Mannes mit steter Liebe; beyde freuten sich zu hören, daß der Aufsatz der ersten , über den Tod ihrer Schwester, Ihr Herz so angesprochen hat.

Von meinem lieben Sohn, kann ich Ihnen heute keine Grüße, außer denen in seinem Herzen stets bestehenden ausrichten, denn er hat den angenehmen Plan wieder nach England und Schottland zurückzukehren, diesen Sommer in Ausführung begonnen; zu Ende April reisete er ab und im Spätherbst gedachte er, so Gott will, wiederzukommen; er nahm dieses Mal den Weg über Hamburg; schon erfeuten mich 6. Briefe von ihm, der letzte vom 24. May von Cuxhafen, wo er schon seit mehrern Tagen eingeschifft, einen günstigen Wind zur Ueberfahrth erwartete; die Nachricht daß sie glücklich zurückgelegt ist, fehlt meinem Herzen, schon seit mehrern Tagen, wo ich sie erwartete doch beherrscht diese Sehnsucht der feste Glaube, daß er bey dieser Ueberfarth, nicht weniger leicht von Gott behütet werden konnte, wenn es sein heiliger Wille war, als wenn ich ihn wie sonst, in diesem Augenblick auf dem Weg nach meinen Garten wüßte; |3 der Abschied wurde uns beyden schwer; ich fand aber seinen Plan so unschuldig, so vernünftig in seiner Lage, daß ich selbst ihm noch zuredete, ihn nicht aufzugeben, als er sich beym Wahrnehmen, wie leid mir seine lange Entfernung in einem so fernen Lande thät, sich fast verpflichtet glaubte, sie aufzugeben, dies war wirklich noch der Fall am Abschieds-Abend, wo ich durch Gottes Beystand aber mit hinlänglicher Standhaftigkeit selbst, durch den Ausdruck meiner Zustimmung und meines Segens zu dieser Reise, ihm wieder beruhigte und so reisete er nach dem rührendsten Abschied ab und hat auch nicht erfahren, daß ich noch in der nehmlichen Nacht, ein heftiges Bluterbrechen bekam, wobey mir die Brust wie zum zerspringen wehe that; da das Uebel von einer moralischen Ursache, welcher ein schwacher Theil des Körpers erlag herkam, hütete ich mich vor Allem, eine Krankheit daraus bilden zu laßen und ganz in der Stille, nahm ich nur ein einfaches beruhigendes Mittel und durch Gottes Hülfe bekam das Gemüth wieder den Schwung der Heiterkeit, der den Körper gleich wieder ins Gleichgewicht brachte; meine Gesundheit würde vielleicht nicht am Ende untergelegen haben, wenn ich nicht noch beym innern Kampfe, den äußeren hätte zu bestehen gehabt, gegen mehrere gute Bekannte, welche mir Vorwürfe machten, wie ich zu dieser Reise meine Einwilligung geben könnte, da mein Glück bey derselben so gefährdet seyn könnte. ich bekämpfte dies nun muthig, durch den wahren mütterlichen Egoismus, welcher die gerechte Freude der Kinder, weit über die eigene ohne ihr, setzt, aber dies griff mich doch auch an; wer kann mich in allem diesen beßer verstehen, als so zärtliche Eltern |4 wie die sind an denen mein Brief gerichtet ist!

Nun muß ich Ihnen sagen, was die beyfolgende kleine Rolle enthält; für Sie eine Ihnen liebe Stadt, für Ihren lieben Mann ein Stückchen Wachsleinwand aus Dresdner Fabrick, welches ich ihn dringend bitte, auf seinen Schreibetisch zu befestigen; es soll ja denselben schonen, denn es fängt jeden möglichen Fleck auf, ohne ihn zu behalten; die Einsiedeley am Waßer, in einer Gegend wie ich deren unzählige in der Schweiz und in Tyrol sah, soll den lieben äußern Augen einen freundlichen Ruhepunkt darbieten, während die innern in ganz andern Höhen sind. Dem Wachsblatt zur weichen Unterlage, so wie jenes dieser der gewöhnliche Schutz wiederum ist, befinden sich zwey Flohrtüchel zur jetzigen Jahreszeit, für die beyden lieben Töchter; nur beym Bestand so freundschaftlich freundlicher Verhältniße wie unter uns, können solche Kleinigkeiten mit Werthgefühl sich auf den Weg machen; ja ich gestehe daß ich mich sogar im Voraus daran weide, daß Ihre allerseitigen Gesinnungen gegen mich, Ihnen dieselben lieb machen werden und so habe ich während des Schreibens sie wohlgefällig vor den Augen.

Dankbar werde ich noch mehr Details über den guten Heinrich Voss empfangen. Nun leben Sie Allerseits wohl, recht wohl und erhalten Sie Ihre Liebe Ihrer Ihnen herzlich ergebenen

HEnde

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Dresden, 18. Juni 1823, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0565


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 4 S. Auf S. 4 Text über und unter der Adr. (um 90° gedreht): An | Frau Legations-Räthin | Richter | geborene Mayer | zu Baireuth | d. G. | Nebst einer Rolle | in grauem Papier | unter gleicher Adresse.


Korrespondenz

Der Brief nebst Rolle wurde durch Christoph Friedrich von Ammon bestellt, der mit seiner zweiten Ehefrau Marianne Jean Paul besucht hat.