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O daß Du diese Zeilen, meine einzige unvergeßliche Freundin, nie erhalten kannst, aber ich will mir einbilden du lebst, einmal wirst du sie lesen, wenn auch nach langer Zeit so will ich glauben du wärst verreist und fändest bei Deiner Zurükkunft dieses Blatt, du errietest meine Liebe zu Dir – Uberspannug, der Glauben an deinen hohen Werth Schwärmerei ich mußte mich mäßigen um dir nicht lächerlich zu scheinenjezt o da hemmt keine Rüksicht meinen Ausdruck, jezt darf ich es äußern, daß ich dich unaussprechlich liebe dich liebe wie ich nie kein Geschöpf lieben kann, nicht umdeines Mannes willen, nein weil ich Dich verehre, deine Güte deine Erhabenheit anerkenne. O wie schmerzlich sind mir deine Zweifel an die Wahrheit meiner Empfindungen. Du hattest keinen Begriff von d einer reinen moralischen Anhänglichkeit von einer Anbetung wie ich sie für dich empfand. Du hast mir die höchsten entzückendsten Genüße meines Lebens gegeben. Wie gern wäre ich für dich gestorben, du geliebtes großes Weib, wie gern stärb ich jezt, um mit dir zu seyn. Deine Freundschaft war ein so großes Geschenk, daß dadurch jedes Opfer tausendfach belohnt wäre, Alles, Alles hätt ich für dich gethan. Hörte doch hier mein Daseyn auf – die Zukunft ermüdet mich. –

Kanst du mir vergeben, daß ich Dich so oft gekränkt habe? Vergeben hast Du, aber wie habe ich bei dir verloren! Dis Gefühl, dir nicht gleich an Güte gewesen zu seyn, macht mich unglücklich. Aber Du mein Ideal sollst ewig vor mir schweben – von dir will ich lernen groß, gut erhaben seyn. Welch ein Unterschied ist zwischen uns beiden! Du ohne durch eine fremde Weisung, auf die edelste Pflichterfüllung geleitet zu seyn, erfüllst sie alle nothwendige und freiwillige in der besten Ausdehnung mit einer Selbstverleugung, die das strengste Moralprincip nur vorschreiben kann. und ich, am Leitbande der Philosophie geführt, mit der reinsten Erkenntnis des Großen, mit einen warmen Gefühl, das oft an Enthousiasmus grenzt, für moralische Würde habe dennoch nur hie und da Kraft etwas Gutes zu thun und erliege der Gewöhnlichkeit in den meisten kleinen Verbindlichkeiten des häuslichen Lebens, die grade der Prüfstein des menschlichen u besonders des weiblichen Werths sind.

O hätte ich doch die Kraft, dem Versprechen an deinem Grabe treu zu seyn, und bei der kleinsten Handlung, meiner beßern Überzeugung, u nie der Versuchung zum unrechten, unedlen, und gemeinen zu nachzugeben. Du einfaches Geschöpf wie folgtest du deinem Instinkt möcht ich sagen – und warst immer edel und gut.

|2 ich fürchte, nie deine Höhe errreichen zu können. Aber denken werd' ich deiner, dem zu folgen suchen, was ich glaube, daß Du gethan hättest. So treu, wahr u offen zu seyn mich bemühen wie Du warst.

Nichts bereue ich mehr, als Dir nicht durch eine einzelne wahre Aufopferung durch eine freiwillige bewiesen zu haben, daß ich Dich grenzenlos liebte. Diese Überzeugung bei dir bewirkt, würde mich beruhigt haben – aber mir fehlte die Gelegenheit. So ein armes unbedeutendes Geschöpf konnte nichts thun.

Wenn es wahr ist, was eine Ahnung mir sagt, daß die Todten in den Herzen der Menschen lesen, wirst aber auch Du, ohne die Handlung den Willen erkennen, und diesen Du Unsterbliche eben so hoch anrechnen.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an eine verstorbene Freundin, ohne Datum. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0602


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Bl. 4°, 1⅓ S.


Korrespondenz

Möglicherweise handelt es sich um den Abschiedsbrief Caroline Richters an die Ende 1807 verstorbene Anna Henriette (Nanette) Gentz geborene Hainchelin, den Johann Siegfried Mayer in seinem Brief an Caroline Richter am 29. Februar 1808 erwähnt.