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Leipzig den 7. Febr. 1820.

Wie erfreut wäre ich gewesen, Sie, liebe Freundin, zu sehen, so nahe waren Sie mir und keine Stunde wäre mir zu spät gewesen, um noch zu Ihnen zu eilen, wenn ich Sie hier gewußt hätte; ich hätte mich auch mit dem Vergnügen des Sehen und Gesehenhabens begnügen wollen, um die auf Reisen so nöthigen Augenblicke der Ruhe Ihnen nicht abzukürzen; je lieber man die Leute hat, je mehr, Geist und Herz sich gegenseitig einander bekannt sind und sich darin behagen, je reichhaltiger ist der Genuß des Wiedersehens wenn auch nur auf einen Augenblick; man braucht sich da nicht, wie es bey vielen Bekanntschaften der Fall ist, erst wieder durch dazu nöthiges Zeitmaaß, zusammen einzureden, |2 man blieb beysammen. Das allerliebste Bild, daß mir Ihre Güte zudachte und daß Ihre lieben Zeilen begleitete, hat mich gerührt und erfreut; ich danke Ihnen herzlich für diesen Beweis Ihres lieben Andenkens; es bedurfte keinesweges als solcher, seiner Schönheit und Künstlichkeit, denn ob ich gleich beyde sehr daran schätze, kann ich Ihnen doch versichern, daß ich oft sogar die Brief-Couverts von Personen die mir lieb sind mit Wohlgefallen zu allen möglichen angenehmen Gebrauch, statt dazu bestimmter anderer Sachen, sehr oft nehme und das Bändchen womit Sie das Bild umbunden hatten, ist sorgfältig aufgehoben und geht irgend einer mir intereßanten Bestimmung entgegen. Daß das Bild, ein Ihrem lieben Herrn Vater li angenehmes Geschenk von seiner guten Tochter war und ich es nun erhalte, giebt demselben einen Werth für mein Herz, den das Ihrige gewiß nicht bezweifelt.Nun komme ich auf Ihren lieben Brief, den Sie mir von Berlin aus, schrieben ; ohne daß |3 Sie irgend Antwort noch darauf von mir erhielten, können Sie wohl glauben, daß er nicht bis jetzt unbeantwortet blieb, in Rücksicht deßen, was Ihre lieben Br Nichten betrift; erst vorgestern habe ich abermals einen langen Brief deshalb geschrieben und auch früher mündlich und schriftlich, sehr natürlicherweise, mich bestrebt, Ihrem Wunsche Gnüge zu leisten; bis jetzt hat sich aber noch nichts deshalb bestimmen wollen. einige Hoffnung habe ich, vielleicht eine, in und bey Breslau in vortreffliche Hände kommen zu sehen; eine Jugendfreundin von mir, die auch in jener Gegend ist hat mich so eben gebeten, für eine ihrer dortigen Freundinnen, eine Gräfin Henkel, die sie sehr genau kennt, schätzt und liebt, eine Gouvernante zu empfehlen, freylich trafen einige Forderungen, die gemacht werden, nicht ganz überein, mit dem, was von so ganz jungen Personen, zu diesem Behuf, verlangt werden kann; allein es |4 kann doch seyn, daß der Gesichtspunkt, den ich aufgestellt habe, angenommen wird; binnen hier und 14. Tagen, ist wahrscheinlich wieder eine Antwort da, wenn meine Worte anschlugen, und da wäre es dann sehr gut, liebe Freundin, wenn ich von Ihnen Nachricht hätte, wo nun das Hin und her schreiben darüber, am einfachsten aus und ein zu gehen hat, ob in Baireuth oder in Dresden; denn man würde an Zeit-Ersparnis denken müßen, da, bey Gelegenheit der Meße, die verlangte Gouvernante die Reise auf irgend eine anständige Art, machen soll; so wie sich die Sache zum Gelingen gestaltet, schreibe ich Ihnen, nicht nur wovon die Rede seyn würde, sondern auch wie viel Vortheilhaftes meine Freundin mir von der Gr. Henkel geschr ei ie ben hat.

Wie lebhaft theile ich die Freude, die Sie beym Wiedersehn, Ihrer lieben Familien-Kreises, bey Ihrer Zurückkunft empfunden haben werden! Ihre lieben Töchter, werden gewiß recht gute Hausmütterchen, als Töchter und Schwestern in Ihrer Abwesenheit gewesen seyn und auch darin das Vorbild der lieben Mutter treu bewahrt |5 haben; ich grüße sie recht herzlich, so wie auch meinen lieben Max und erst gleichfalls und dann doppelt, den lieben Vater und Mann. Mein Sohn empfielt sich Ihnen beyderseits aufs Angelegentlichste. Wir waren zu Weynachten auf 14. Tage in Dresden und hatten uns dort vieles Wiedersehns zu erfreuen, bey Verwandten und Freunden, zu denen sich auch unsere Prinzen und Prinzeßinnen gern zählen laßen; die junge Gemalin des Pr. Friedrich, Tochter des Oestr. Kaisers, ist durch ihre große Schüchternheit und eben so große Freundlichkeit, sehr intereßant, so wie durch die Liebe, die das junge Ehepaar zu einander hat; die junge Königin von Spanien, die freylich jetzt in äußerlich beunruhigter Lage ist, ist aber übrigens, was wichtiger noch ist, häuslich glücklich, was alle Briefe von ihr, deren jede Woche mehrere in Dresden ankommen, aufs unbefangendste bezeugen; auch berückt sie gar nicht die Spanische Etiquette, sie hat im Gegentheil, einer ihrer gleich jungen Freundinnen, einer Nicée von mir , geschrieben, sie |6 solle ja künftig in ihren Briefen, die Ceremonien weglaßen und nicht an die Königin von Spanien, sondern an ihre sie liebende Josephe, denken; die vielen kindlichen, heitern Details, die sie schreibt, ergötzen bey den Gedanken, an den Contrast mit den äußern Schein, über den innerer Gehalt, siegend genießt; denn der König, ihren Werth anerkennend, liebt sie sehr, eben wie sie ist und hat dem unsrigen, eigends in einem Brief gedankt, für den Schatz den er ihn anvertraute. Fr. v. Reck habe ich auch in Dresden gesehn, sie und Tiedge hatten sich sehr gefreut, Sie gesehen zu haben.

Jetzt beschäftigt sich mein Sohn, auf das nun gegen Ostern, zu bestehende Examen , nach dem Schluß seines academischen Lebens, dann gehen wir, so Gott will, auf kurze Zeit auf seine Güter und dann zum Sommeraufenthalt auf meinen recht angenehmen Garten in Dresden und zum Herbst — vielleicht wieder nach Italien, was mein Sohn sehr wünscht; wir giengen dann nach Genua, wo wir noch nicht |7 waren und schifften uns dort ein, nach Neapel um daselbst den Winter zuzubringen und von wo aus mein Sohn weitere Excursionen nach Sicilien & c. vor hat; diese Aussicht umschwebt uns anmuthig, ohne daß wir jedoch, schon im Voraus, den Plan in jene Unbiegsamkeit des Willens faßten, welche die freye Einsicht in die Gestaltung [...] des Lebens, wie sie nach und nach Umstände herbeyführen, hindert und dadurch den Genuß entrückt; man befindet sich gar wohl bey dieser Art zu seyn und zu unternehmen; Vorsicht und eben so, religiöses Gefühl, walten da so befriedigend; in diesem Sinne haben wir, Gott sey Dank, schon so viel Gutes, recht genoßen.

Mit der Ehe der Herz. von Sagan, mit dem Graf Schulenburg , geht es so gut, als ich es immer gehofft; er gieng durch Dresden durch, zu einen kurzen längst versprochenen Besuch bey seinen Verwandten , besuchte |8 mich und überbrachte mir einen langen lieben Brief seiner Frau, der mir ihr Glück, daß sie nicht in einzelnen Ausspruch mir versichert, aber um so deutlicher aus Allem hervorgehen läßt, verkündet.

Nun sage ich Ihnen ein recht herzliches Lebewohl und freue mich sehr, bald wieder einen lieben Brief von Ihnen zu erhalten. Ganz die Ihrige

HvEnde geborene v. Globig.

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Leipzig, 7. Februar 1820, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0625


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 7½ S.