Von Caroline Richter an Heinrich Voß. Bayreuth, 11. September 1819, Sonnabend
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Sie haben es errathen, Jean Paul ist nicht in Bayreuth , und nun öffne ich den Brief auf den die ganze Familie so begierig ist, und finde ihn halb an mich gerichtet! – ich muß dem lieben Manne antworten, dem zu schreiben schon lange mein Wunsch war. Ihr und mein geliebtester Mensch ist bei der Herz. v. Kurland. Nicht in dem freundlichen Rudolstadt wohin ihn Ihre Liebe ziehen wollte und wohin er sicher gegangen wäre, wenn nicht die Herz. fast Gewalt gebraucht hätte um ihn zu bekommen. Als mein Mann in Stuttgart war , wurde er schon von einer Gräfin Chahsepot dringend in Erfüllung eines hier im Gasthofe leicht hin gegebenen Versprechens nach Löbichau zu kommen, gemahnt . Er antworte erst in Baireuth, und zwar mit einem entschiedenen „Nein„ . Da der Reiz des Heimischen ihm noch so lieb war. Allein dieses ‚Nein‚ gab zur Veranlassung zu einer dringenderen Bitte die in den reizendsten |2 und witzigsten Worten, die ich je gelesen eingekleidet war. Genug, ich redete ihm selbst zu – er gab als Antwort, nur, Hoffnung – allein nun gab man ihm keine Frist . Ein Fußbote von Altenburg meldete den Wagen der von Hof aus, ihn in Gesellschaft des Hr. von Ende , und eines Kurländers, von Vines abholen würde, und er mußte nachgeben. Am 28 ten Aug: fuhr mein Mann nach Hof, und die Herren empfingen ihn . Am 29ten erwarteten ihn Damen aus Löbichau in Gera, worunter gewis die freundliche Fr. v Ende war . Dies ist die Geschichte meines Mannes, die ich Ihnen etwas umständlich erzählt habe, weil Sie so liebenden Antheil an allen kleinen Umständen seines Lebens nehmen, und nun laßen Sie mich Ihnen danken für Alles was Sie Theilnehmendes an denen Menschen für die ich mich innig intereßire in Ihrem Briefe gesagt haben . Meine herrliche Fr. v Welden hat ihre Tochter verloren – ist mir doch als hätte ich es Ihnen gemeldet, da ich wenigstens lebhaft mit dem Vorsatz umgegangen |3 bin. Ihr aber, der gemüthvollen Frau, die an Allem was nur durch Freundschaft und Theilnahme Glückliches vom Schicksal gegeben wird, so wahrhaften Antheil nimmt. ihr zeigte ich jenen Ihrer schönen Briefe, worin Sie von der Bettenburg aus, nach der Tochter fragen – und es rührte sie ungemein. Doch lesen Sie Selbst ihre Worte. Nächst der Liebe meines Mannes ist mir die Freundschaft dieser vollendeten Frau das höchste Lebensglück. Wie gern spreche ich davon, und wie selten darf ich es, da alle meine übrigen Freunde, indem sie nicht Gelegenheit haben so wie ich, ihren vollen Werth zu erkennen, in meiner Liebe und Bewunderung für sie, nur Eitelkeit und Glanzsucht erblicken, da sie bürgerlich so hoch steht als geistig. Allein eine solche Verkennung kann mich nicht abhalten, in diesem schönen Charakter, der eine Mischung von Hoheit und Einfachheit enthält, der in jedem bürgerlichen Verhältnis das Rechte erfüllen würde, das höchste Vorbild alles Guten und Schönen zu bewundern, und diese Stimmung wird durch ihren Kindern immer neu erregt. Ich rechne es zu |4 den wohlthätigsten Einwirkungen des Schicksals daß meine Kinder, durch den vertrautesten innigsten Umgang mit den jüngeren Töchtern erwärmt und gebildet werden. Sie können denken, wie die Trauer um ihre geliebte Tochter diese Frau ergriffen hatte. Sie mußte sie entfernt in Lebensgefahr wissen, als Sie, lieber Voß, hier waren , befand sie sich auf dem Wege nach München; hörte unterwegs tröstende Nachrichten – und in einem Gemisch von Hoffnung und Furcht, kömmt sie in München an. Es war Morgens fünf Uhr, sie steigt bei der Gräfin Lerchenfeld, ihrer Freundinn ab – Ein Thürsteher öffnet das Haus – sie frägt "was macht das Fräulein Welden" – "o, die ist gestern gestorben" – – – – – –
Sie kann sich nicht aufrecht erhalten, und sinkt auf die untersten Stufen der Treppe zusammen – endlich rafft sie sich auf, und geht ohne ihre Freundin zu begrüßen, zu den Pflegerinnen ihrer Tochter um die Verklärte zu sehen – sie findet sie nicht mehr, denn schon hatte man die |5 geliebte Leiche in ein Leichenhaus gebracht, wie dies in München üblich ist. Wenn Sie eine Idee von dem Engel haben wollen, so lesen Sie im Cotta’schen Almanach Jahr 1817 , die Elegie von Ruckehr Rückert am Grabe einer "Agnés" es sind an die 70 Verse – aber dieses mich in Begeisterung versetzende Gedicht, das mich damals so ergriff, hat nachdem ich es kürzlich zum zweitenmale wieder meiner Mutter vorlas, seinen Gegenstand in diesem schönen Wesen gefunden. – Ein Bruder, der einzige Sohn von Fr. v. Welden, ein achtzehnjähriger Jüngling, der in München die Schwester das letzte Jahr ihres Lebens oft sah, besingt, und betrauert sie fast eben so. Dies ist der Trost der Mutter so viele solche Engel – Kinder nennen zu können.
Ihre Gesundheit litt sehr. Schmerzen in der Leber und auf der Brust martern oft die gute Frau, die ganz Selbstbeherrschung, ganz Aufopferung für die Freude ihrer Familie ist. Nach dem Charakter eines Jeden weiß sie diese zu modifizieren, und wenn sie mit ihren Kindern |6 ganz Herz und Geist ist, so ist sie mit ihrem etwas Weltlicheren Gemahl, ganz Regentin – so weit sein Kreis geht; und mit den Gesellschafs Menschen, ganz Weltfrau; mit ihrem Hauswesen ganz Ökonomin; mit ihren Freunden für die ihr Herz sich intereßirt, ganz theilnehmende in ihre Verhältniße eingehende Freundinn. O Seegen über diese Frau und ihre Kinder, warum mußte gerade Sie, die Vortreflichste so hart vom Schicksal getprüft werden!
Seit ich diesen Brief anfing, habe ich zwei Briefe von meinem Mann aus Löbichau erhalten wo er nun schon 14 Tage ist. Sie können es errathen wie glücklich er dort ist, vor Güte mit Geist vereint, ihm alle Genüße zu bereiten strebt die Geschmack nur erfinden kann. Er sagt mir " man könne ein Jahr dort bleiben , so wohlig würde Einem. Doch jetzt soll ich den Wagen schicken, die Herzogin geht am 20 ten nach Paris. Wie viel möchte ich Ihnen noch über die lieben theueren Tage sagen, da Sie nur so freundlich erscheinen, lieber Voß! Nur die Kürze Ihres |7 Aufenthaltes bei uns , und Ihr krankes Auge waren das Einzige Schmerzliche, und meine Kränklichkeit. Wie wenig konnten wir für Ihre Freuden thun! Sie sind in der That recht gütig, wenn Sie zufrieden waren. Möchten Sie uns nur bald wiederkehren, wie glücklich würden wir alle sein! Max ist jetzt auf einer Reise nach München – bald kommt die Zeit da er seine Schule verlassen muß . Das Schicksal der Familie Paulus ist wirklich erschütternd – doch wie gütig war Gott, den Sohn für dessen irdische Existenz die Eltern so zittern mußten, zu sich zu nehmen . Gewis grüßt mein Mann die armen Menschen herzlich – möchte auch meine innigste Theilnahme für Sie einigen Werth haben – wie gern möchte ich sie kennen!
Ihrer theuren Mutter danke ich herzlich für den Gruß , den Sie ja erwiedern mögen. Möchte das Schicksal Sie Ihnen lange in Ihrer ganzen Kraft erhalten – denn so eine Mutter ist eine Quelle des Seegens. Ich fühle das lebhaft |8 da ich um meines theuern Vaters willen so besorgt bin, an den meine ganze Seele hängt. Er war hier , wie Sie wissen, und seine Zärtlichkeit gegen uns übertrifft alles, was man sich nur liebendes denken kann. Ach hätten Sie den guten lieben Mann gesehen und wie liebend mein Mann gegen ihn war.
Nun leben Sie wohl – wenn mein langes Schreiben Ihnen nur eine kleine Entschädigung für meines Mannes Schweigen sein könnte – allein so wie im Gespräch ich schweige wenn er gegenwärtig ist, weil doch alles was ich sagen könnte gegen seine Worte so trivial ist; so werde ich auch dann wieder in die stumme Rolle übergehen die mir geziemend ist. wenn er schreibt. Leben Sie wohl! innigen Dank für Ihr liebendes Gedenken der – Seinen, dem Sie so viel Lieb widmen.
Caroline
Zitierhinweis
Von Caroline Richter an Heinrich Voß. Bayreuth, 11. September 1819, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0738