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Leipzig. den 23ten July

Meine liebste Caroline, was wirst Du nur von mir deiner Sünderinn denke! Sey ja nicht böse, meine liebste Seele, denn noch immer nicht bin ich zur Ruhe gelangt! Meine Schwägerinn ist zwar schon 14 Tage von hier abgereißt – und zwey Tage darauf auch mein Mann – der wie ich Dir schrieb in ein Bad gehen wollte, und auch diesen vernünftigen Entschluß ausgeführt hat. Nun, wirst Du denken, hätte ich um so mehr Zeit haben müßen Dir zu schreiben. Aber so ist es nicht, denn die Auflösung meines ganzen Haus-Wesens, die durch den Aufenhalt der Schwester entstanden war – große Wäsche und die tausend Besorgungen für die Ankunft des Vaters – haben mich in so tausend erbärmlichen Beschäftigungen zerstückelt – daß mein ganzes Wesen recht abgespannt war. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll dir zu erzählen da Du sogar noch von der Zeit her da die Schwester hier war etwas zu hören wünschst. Aber von |2 der Zeit kann und mag ich Dir gar nicht sprechen denn es war keine angenehme Zeit wenigstens in so fern sie für mich eine Zeit ewiger Überwindungen und Selbstverleugnungen seyn mußte! – Ich kann dir das gar nicht begreiflich machen, weil Du sdie Schwester nicht kennst, die eine sehr brave achtungswerthe Person ist, aber bey alle dem so unleitbar, daß man sie bey vor aller Achtung nicht lieben kann, und doch wegen ihres unglücklichen Schicksals das höchste Mitleid für sie empfinden, und um deßweilen jedes Opfer nicht zu klein finden muß. Bey dem allen habe ich nun das Glück oder das Unglück, vor allen Menschen, in ihrer Liebe und ihrem Vertrauen ausgezeichnet zu werden eines Vertrauens, das fast keine Gränzen hat – und mir eine Last ist – da ich fühle daß ich es ihr nicht erwiedre – eines Vertrauens, deßen Ergießungen ewig dauern und ewig wiederholt werden, denn Du mußt We wißen, daß dies sonderbare Wesen immerfort spricht – und alles schlechterdings alles, was als |3 Gedanken ih in ihrer Seele, und als Empfindung in ihrem Gemüth entsteht, schlechterdings in Worte bringen muß. Sie muß es ist nicht anders möglich! Aber welche Qual für jemand der immer fort hören muß dem da er daßelbe so oft hört, am Ende nur noch mit halber Seele zuhört und endlich, über eigene nähre Angelegenheit, diese fremderen dennoch vergißt.

Ich weiß nicht ob meine Worte hinreichen Dir eine anschauliches Bild von diesem höchst originellen Wesen zu geben. Und ob Du es mir verzeihen kannst, daß ich eine Liebe, die sie im Grunde verdient, nicht in meinem Herzen aufbringen kann, und demohngeachtet alles den Schein dieser Liebe haben muß – da sie mir so gut ist. Ach, es ist recht schwer! Ich glaube ich würde verrückt, wenn ich immerfort sollte mit ihr leben – da ich wenn sie abwesend ist gern alles mit ihr theilen will, und kein Opfer mir zu klein soll, sie zu unterstüzen. |4 Wie leicht es mir wurde, da der Reisewagen vor der Thür stand, nach vier vollen Wochen, das kannst Du Dir denken.

Ein paar Tage darauf reißte mein Mann, wie ich Dir schon schrieb . Kaum war er eine halbe Stunde fort, so gieng eine neue Noth über mir auf. Denke Dir nur, von Berlin kam die Frau Hamann, Mariens Mutter, mit der jüngsten Tochter nach L. gewandert, verläßt ihren Mann, und will sich hier in L. etabliren. Auf was war es andres abgesehen, als auf meine Unterstüzung? – Wo war nun gleich eine Wohnung und Arbeit für die Mutter, und ein Dienst für die Tochter zu thun finden? Was blieb nun anders übrig als sie bey mir aufzunehmen so lange bis sich das alles fand. Welche neue Kosten da mich der Aufenthalt der Schwester, so schon erschöpft hatte, welche Plage, da das ganze Haus in der größten Unordnung und Schmuz war! Na, ich hätte ver- |5 zweifeln mögen! — Nun war ein Ge Hin und Herlaufen von meiner Marie, wie Du denken kannst, anstatt, daß sie anfangen sollte mit dem reinmachen! —

Endlich wurde die Noth auch überstanden, es fand sich Wohnung und Arbeit nach mancher Mühe.

Nun hatte ich wieder die Wäsche – Sofas mußten aufgepolstert werden Haare gepflückt, Meeubles gebohnt, kurz das gieng immer so fort! Die Hamann war mir noch nüzlich daß sie mir, die ganz abgerißen war, nähen helfen konnte. Viele alte Kleider mußten reformirt werden, denn wenn der Vater komt, muß doch alles ordentlich seyn.

Jetzt, endlich, kann ich sagen ich bin fertig!

Mein Mann ist schon 17 Tage fort und Ende dieser Woche oder Anfang |6 künftiger Woche erwarte ich ihn zurück, denn er wollte in Allem nur drey Wochen wegbleiben und kann auch nicht länger da wir alsdann den Vater erwarten. Es hat das nächste und wohlfeilste Bad gewählt, das es giebt, Schandau bey Dresden. Für seinen Zustand ist es höchst zweckmäßig, und wie er mir schreibt wird er recht sehr die gute Wirkung des Bades gewahr. Er lebt sehr einsam dort, denn es sind nur wenig und ganz ordinäre Menschen dort; arbeitet viel – denn es war mit sein Hauptzweck f recht viel fertig zu schaffen, das ihm auf der Seele liegt. Bey seiner fürchterlichen Hypochondrie, war er nicht im Stande das geringste zu arbeiten das ihm selbst genügt hätte. |7 Gott gebe doch nur, daß es nunmehr beßer wird, und ich einer frohen Zeit entgegensehen darf! –

Du schreibst daß Du an unsrer Liebe gezweifelt haben würdest, wenn wir den Vater nicht nach Rudolstadt begleitet hätten. Ja, und ich kann Dir versichern, daß mit aller Liebe es dennoch nicht würde geschehen haben können. Wir, glaube ich, müßten noch, amEndeam Ende zum Thore herauslaufen. Du weißt gar nicht was der Sommer uns kostet. Es sind eimal schlechte Zeiten. Dieverwünschte Buchhandlung kostet so viel, und bringt nichts ein – als das zwey Familien nothdürftig – wie wir davon leben! Muß denn nicht jedes Jahr davon abgezahlt werden? |8 und werden nicht hernach alle neue Unternehmungen aus dem fond der Handlungen unter bestritten? Wo soll es denn herkommen, ohne anstatt weiter zu kommen, rückwärts zu gehen! Weißt Du nicht daß alle Kaufleute, die ihre Handlung in einen gewißen Flor bringen wollen, grade am sparsamsten leben müßen? Und muß nicht mein Mann jede Ostermeße das schöne Geld an die alte Junius hintragen – und das dauert so noch sechs Jahre ehe er sie abgefunden haben wird! Also sprich nur nicht so, und denke nicht daß wir Crösus Schäze haben.

Nun meine Seele, lebe recht wohl hast du Dein Bild dem Vater geschickt. Minna und ich wir haben dem Vater jeder eine schöne Tasse gegeben.

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Caroline Richter. Leipzig, 23. Juli 1804, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0775


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S.


Korrespondenz

Wie aus Siegfried August Mahlmanns Brief an Johannes Daniel Falk vom 19. August 1804 hervorgeht, weilte er im Sommer 1804 zur Kur in Bad Schandau.