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Hildburghausen am 28ten März.

Mein Bruder! Nur meine äußeren drückenden Verhältnisse konten mich zu einem so ungewöhnlichen langen Stilschweigen verdammen; weil ich mir einmal vorgenommen hatte, Dir nur dan zu schreiben, wenn ich es entschieden thun könnte. – Man ist mir indessen mit der Schilderung meiner Lage zuvorgekommen (obwohl sehr einseitig) wie ich aus Deinem Brief an Heinrich ersah; und es bliebe mir eigentl. nichts übrig, als Dir zu sagen, daß ich verlobt bin. Mit diesen Worten könt’ ich nun auch dieses Blat schließen, wenn ich Dich weniger liebte. Aber ich wil auch vor Deinen Augen mit der Farbe der Wahrheit und den Worten der Vernunft meine Lage mahlen und jenes Gemählde copiren, das ich schon seit ½ Jahre tausendmal mir und andern zeigte.

Daß ich Richtern liebe und lange schon von ihm geliebt werde, weist Du, daß er als Originalgenie nicht blos unseren, sondern allen Zeiten bekannt ist – must Du meinem Worte glauben, weil ich die Zeugen nicht nach Pohlen schicken, sondern blos nennen kann, z. B. HerderWielandSchillerGöthe – geben ihm das Zeugnis – und gestehen zugleich, daß sein Herz größer ist als sein Geist.

Sein Karakter, der über jedes Lob erhaben ist und dem der Unpartheiischeste Gerechtigkeit widerfahren läßt, verbürgt und versichert mir daher das höchste innere Glück, das eine Ehe geben kann. Diese Überzeugung, die unerschütterlich in mir steht, kann ich freilich nicht mittheilen und nicht aufdringen, weil sie sich nur fühlen läßt. Seine äußeren Verhältnisse sind weniger reizend, aber dennoch nicht zurückschreckend.

Da Du mehr vom Buchhandel verstehst als meine hiesigen Verwandten, so wirst Du selbst am besten urtheilen können und ich brauche Dir also nur den Preis zu nennen, den man auf seine Schriften legt, um Dir zu beweisen, daß er nicht wenig erwirbt – er bekommt für jeden Bogen 5 6 Louisd’or schwer Geld, was nach unserem ohngefähr 32 Rthlr beträgt und er schreibt bey der größten Muse wöchentl. 1 Bogen – Kapital hat er jetzt nur 2100 Rthlr, etwas mehr also als ich. Rechne nun selbst. Sein Stand und seine Unabhängigkeit machen ihn von allen Anforderungen des leeren, aber theuern Lebens frey – und wir können uns nach Willkühr einschränken, ohnerachtet die Madam Richter reicher sein wird, als das Fräulein von Feuchtersleben. – Man wendet ein, daß er mir kein Wittum geben könne. dagegen hab’ ich das Versprechen des edeln wahrhaften Mannes, daß mir einst diese traurige Unterstützung von einer Summe zukommen, die er in 5-6 Jahren für die sämtl. Ausgabe seiner Werke erhalten wird und welche sich auf 12-16000 Rchthlr beläuft.

Was meine hiesigen und adelichen Verhältnisse betrifft, wurde durch den Beifal der Fürstin entschieden. – Sie kennt so wie die gewiß kluge Wolzogen Richters Lage und Karakter – sie kennt meine Familien-Verhältnisse und bleibt ihrem ersten Ausspruch treu. Die Billigung des Hofes schüzt mich gegen jede fremde Kritik und es herrscht nun in der ganzen Gegend nur Eine Stimme darüber: man rechtfertigt meine Wahl. –

Die Einwilligung des Hofes konnte jetzt weniger als je ein Nebeninteresse haben (was Du auch zu ahnen scheinst) da die neue Hofdame schon seit einem Jahre hier ist – da ich nach meiner langen Erfahrung und Überzeugung nie an Hof kommen konnte da sie mit der jezigen Hofdame nicht ganz zufrieden sind

den Tadel gegen die neue Hofdame streiche ich aus, wegen Heinrich, der sie liebt.
– und ich wöchentlich 2-3 mal hinein beordert werde. – Da sie nun der Schwester Louise den kleinen Beitrag zugesichert haben, den ich bisher genos (50 fl jährlich) und da es hier an Fräuleins fehlt, deren Circel sie größer wünschen und da die Herzogin und Wolzogen mich liebt und mich ungern mißt. – Der Widerwille unserer guten Mutter hat mich nicht gekränkt und nicht frapiert; ein Weib von ihren Jahren hängt noch am Vorurtheil, ich stand schon auf dem Puncte, das Glück meines ganzen Lebens zu opfern – aber Richters Ruhe und Seligkeit durft’ ich nicht hingeben – die ganze Welt, die ihn achtet, mußte mich verdammen. Ich gab kindlich nach, wo ich konte – aber mein Entschluß stand fest, wie ein Mann, ich lit für einen edeln Mann – endlich siegte die Tugend und die Liebe! – Unsere Mutter ist beruhigt izt – der Onkel in Heldburg ist unversöhnlich, doch ich achte diese Kleinigkeit nicht – und Heinrich? – war nicht edel. Er forderte, daß ich Richtern entsagen solle, weil sein bürgerlicher Stand dem adelichen Bruder in seiner hiesigen Carriere schaden könne. Darauf wendete ich mich zuerst an den Hof und erhielt die Versicherung, daß es nicht den kleinsten Einfluß auf seine Laufbahn haben solte. Er schlug nun andere Wege ein, um meine Festigkeit zu erschüttern und man folterte mich ½ Jahr lang auf die empfindlichste Art – da ich aber die Einwilligung und das Herz der theuren Mutter gewonnen hatte, achte ich den eigennüzzigen Zorn des Onkels und den nidrigen Stolz des Bruders nicht. – O Deine Schwester liebt wie eine Spanierin und vergibt wie ein Römer! – Bey dem Ewigen Gott ich habe Recht gehandelt. Ich habe die Mutter geschont – Beleidigungen vergeben – das Vorurtheil verachtet, die Tugend mit Liebe belohnt und werde nun den Mann beglücken.

Unsere gute liebe Mutter ist gesund – ruhig – und liebt mich und um armt Dich und Dein Weib. Der Onkel von Würzburg und der Bruder Carl haben mir Glück gewünscht – ich sehe nun der seligsten Zukunft entgegen; wahrscheinlich gehe ich im April nach Weimar zu Herders, wo Auguste Beck ist – im Sommer mit Mutter und Schwester nach Würzburg und dann – auf immer weit von hier. –

Doch leider muß ich auch zugl Abschied nehmen von Dir mein Ernst – von Dir und Deinem Weibe und Deinem Eduard. – Euch Lieben seh’ ich wol nie wieder – lebt glücklich, selig, wie ich mit Richter leben werde. – Lebe froh, mein Ernst! denk’ an mich – richte mich, – aber liebe mich auch, wie ich Dich. – O gewiß wenn Du meinen Richter und er Dich kente, ihr würdet euch lieben!

Ich umarme Dein Weib und küße Deinen Eduard! Bleibt mir gut und liebt die Legationsräthin, wie ihr bisher die Schwester liebtet – die Schwester bleibt Euch immer und Caroline ist immer dieselbe. Adieu!

P. S. Schreibe mir bald mein Ernst; die Zufriedenheit und Theilnahme wird der Mutter und der Schwester freude machen.

Zitierhinweis

Von Caroline von Feuchtersleben an Ernst von Feuchtersleben. Hildburghausen, 28. März 1800, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0801


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Textgrundlage

D: Ilwof, S. 500–502.