Von Friedrich Arnold Brockhaus an Ernst Karl Friedrich Ludwig. Altenburg, 14. oder 21. Dezember 1810, Freitag

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Freitag Morgen.

Hierbei, lieber Ludwig, der Brief vom Vater zurück. Ich leugne nicht, daß mich derselbe sehr afficirt hat, und daß ich wünschte, ihn nicht gelesen zu haben. Wenn es vom Vater darin als etwas unbedingt Ausgemachtes angenommen wird, daß der Zustand von Minna nur und alleine aus ihrer Exaltation über meine persönlichen Angelegenheiten könne entstanden sein , so setzt er mich auf einen Standpunkt zu unserer Freundin, der mein ganzes Innere in Anspruch nimmt, und mich – ich muß es nur heraussagen – wirklich empört.

Es ist auch für den psychologischen Arzt, und wäre es ein zweiter Willis, wol immer eine der schwersten Aufgaben, auch bei der vollständigsten Kenntniß aller Verhältnisse und der sorgfältigsten Beobachtung bei Kranken dieser Art, die Ursachen positiv anzugeben, die die Entfernung des gesunden Denkvermögens bewirkt haben, und es erfordert unendliche Zartheit, sich über solche mögliche Ursachen auszusprechen. Der Vater handelt also sehr übereilt, wenn er bei seiner mangelhaften Kenntniß aller Verhältnisse dennoch ein so absprechendes und mich auch mit sehr verletzendes Urtheil wagt.

Ich für mich glaube überzeugt sein zu dürfen, daß allerdings jene äußern Ursachen auch etwas zur physischen Krankheit – dem rheumatischen Nervenfieber und den Krämpfen – können beigetragen haben, daß aber im Innersten von Minna's Seele der Keim zu der eingetretenen Desorganisation ihres Seelenzustandes längst gelegen hat und daß dieser früher oder später ausbrechen mußte. Die Ursachen zu diesen Keimen gehören aber zu den unaussprechlichen Dingen und sind also auch dem Vater, der in seiner Arglosigkeit nichts von ihnen ahndet, nicht mitzutheilen.

Ebenso unrichtig ist es, wenn der Vater annimmt, daß durch geistige Anstrengung bei ihren literarischen Arbeiten Minna sich sehr könne überspannt haben. In diesem ganzen Jahre hat Minna sich nur so unbedeutend mit eigenen literarischen Arbeiten beschäftigt, daß es gar nicht nennenswerth ist und, den gegebenen Stoff mitgerechnet, der blos überarbeitet zu werden brauchte, gedruckt kaum fünf bis sechs Bogen betragen würde.

Zitierhinweis

Von Friedrich Arnold Brockhaus an Ernst Karl Friedrich Ludwig. Altenburg, 14. oder 21. Dezember 1810, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0940


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Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 205–206 (unvollständig).


Korrespondenz

Zur Datierung: Geschrieben an einem Freitag nach dem 8. Dezember 1810, also am 14. oder 21. Dezember.