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M. 29n Jan. 1811.

Allerbester!

Anton findet heute Nachmittags bey der Ausarbeitung meines geliebten Bildes so viel Unglück an Striemen und Nähten in seinem Stück Pergament, daß er auch morgen noch viel daran herzustellen hat, ehe die letzte Sitzung mit Nutzen geschehen kann. (Ich betrachte diese Nähte immer mit doppeltem Jammer, weil erstlich der arme Teufel stundenlang mit Bimsstein sie rauh kratzen muß, und dann weil jede solche Naht eine neue Grausamkeit des Menschen dokumentirt, die auch hier die Kunst erst heilen muß, so wie am Ende alle andern Härten der verderbten Menschheit. Denn die oben beschriebenen Striemen und Nähte sind leider nichts anders, als Spuren jener erbärmlichen Hiebe und Prügel, die der arme Esel, auf dessen Haut der Künstler nun malen soll, einst empfieng, als er seinen geplagten Leib mit Zubehör über die Erde schleppen musste, welche er (ihrer Grausamkeit ungeachtet) oft vor Angst noch düngte!) Also soll der Kleine Sie, göttlicher Freund, morgen frühe nicht beschweren, sondern da will er erst das Bild gehörig ver- und zerarbeiten, die Seitenhiebe bösartiger Menschen zuheilen u. s. w. – und, da den morgenden Nachmittag Herkules das zu halten versprochen hat, was er versprach, so will A. dann dem Bilde, was schon sehr gewonnen hat, die letzten Drucker geben. – Da wir Ihnen nun, o mehr als guter Mann, hierdurch den grössten Theil des Vormittages frey machen, so hoffe ich auf einen desto reichlichern Erbtheil von dem reichen Nachmittage – besonders da Sie doch unabänderlich durch das allzufrühe Scheiden auch dann meinem Herzen die letzten Drucker geben wollen! – Sie gehen zu frühe! –

Innigsten Dank für die Mittheilung Ihres ganz herrlichen, wahrhaft gerechten Sinngedichts über Wernern , das in der höchsten Einfachheit und kräftigsten Wahrheit gedacht ist! Wie sehr es mich entzückt, will ich Ihnen morgen noch zu beschreiben versuchen . Aber untergehen darf es nicht. Haug muß es bekommen, damit er doch einmal sieht, wie ein Sinngedicht aussehen soll , was er nach meiner Meynung erst noch von einem kräftigen Männerherzen, welches strafend liebt, lernen muß. – Für mich ist die Lockung (nemlich zum Morgenblatte hin) sehr stark – aber Werners Person hat mir Freundschaft zugesichert – daher möchte ich ihn doch nicht öffentlich anspiessen. Aber, heraus muß es irgendwo! – Die Einkleidung in ein Versmaaß wird leicht seyn.

Gute Nacht, göttliche Seele! Morpheus giesse ein heiliges Füllhorn voll alter schöner Heldenbilder und rosiger Phantasieen über das schlummernde Antlitz, das ich liebe! — Bis jenseits – und dann erst!!!

ganz Ihr JEWagner.

Zitierhinweis

Von Johann Ernst Wagner an Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen. Meiningen, 29. Januar 1811, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0947


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

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Textgrundlage

H: Faksimile Baumbachhaus Meiningen (ehemals Slg. König),
1 Bl. 4°, 1 S. Auf S. 2 Adr.: Sr | des Herrn Major von Truchseß | Hochfreiherrlichen Gnaden | allhier.

Überlieferung

D: Briefe über den Dichter Ernst Wagner, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 2, Schmalkalden: Varnhagen 1826, S. 143-145 (ungenau, unvollständig,).

D: Ernst Wagner’s sämmtliche Schriften, hg. von Friedrich Mosengeil, Bd. 12, Leipzig: Fischer 1828, S. 247-248 (ungenau, unvollständig).