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Den Eindruck zu schildern, den das unerwartete Wiedersehen unserer Freundin auf mich hervorgebracht hat, vermag dies ohnmächtige Wort nicht, o mein theuerer Freund! Ich hatte mich am Freitag auf wenige Minuten aus meiner Wohnung entfernt, die eben von rüstigen Händen festtäglich gesäubert wurde, als ich beim Wiedereröffnen der Thür eine Gestalt erblickte, über die mein Herz auch nicht einen Augenblick zweifelhaft blieb. Es war Frau von Ehrenberg! Ich schloß sie in meine Arme als eine theuere Bürgschaft Ihrer – als eine Bürgschaft der Gesinnungen so manches mir ewig unvergeßlichen Wesens aus Ihrer Mitte. Ich fühlte es, daß ihr Kommen mir die Gewähr leiste, wie ich Sie Alle früher oder später doch gewiß einmal wiedersehen und mit unbewölktem, freiem, leidenschaftslosem Sinne mich an Ihre Brust werfen werde.

Sie wollen von meinem Leben und Weben, von der Rückkehr meiner moralischen und physischen Kraft ein deutliches Bild haben? Ich bin wieder völlig wohl, und wenn mein voriges Sein wirklich etwas gewesen wäre, wovon man eine freudige Selbstanschauung haben könnte, so dürfte ich mich freuen, dieselbe wieder geworden zu sein, die ich war.

Dagegen sind die von Außen auf mich einstürmenden Uebel noch immer im lebhaftesten Wettstreit miteinander, welchem von ihnen es gelingen möchte, in meinem Gefühl als das vornehmste zu gelten.

Für meinen armen, noch immer in völliger Kraftlosigkeit hinschwindenden Julius sind vor acht Tagen zwei Krücken vom Tischler geliefert worden – die er aber, als sie ankamen, als für jetzt noch unbrauchbar auf die Seite stellen ließ. Und als ich am zweiten Pfingstmorgen mich anschickte, mit unserer lieben Angekommenen die Frische nach einem erquicklichen Regen in den schönsten Frühstunden auf einem Gange durch den Thiergarten zu genießen, fand ich meinen Richard in seinem Bette ächzend und in Fieberglut, und seit gestern hat er das Scharlachfieber. So bin ich denn außer den wenigen Stunden, die unsere Freundin uns hier auf meinem Zimmer gönnen konnte, zu keinem vollständigen Genusse ihrer lieben Gegenwart gekommen.

Mit welchem Antheil ich dagegen nach allen Einzelnheiten des schönen Verhältnisses fragte, das zwischen ihr und Ihrem lieben Hause obwalte, wie freudig ich den Beschreibungen Ihrer Kunstgenüsse, Ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen, Ihres Stilllebens mich hingab – das mag Frau von Ehrenberg's eigene seelenvolle Rede Ihnen sagen.

Ich hatte mich auf einen recht langen Brief an Sie gefreut, mein verehrter Freund, aber ich sehe nun doch, daß es anders kommt, als ich dachte, und ich eilen muß, wenn ich der Unruhe meines kranken Richard, an dessen Bett ich dies schreibe, die paar ruhigen Augenblicke noch abgewinnen will, die ich dem leidigen Geschäftsinhalt unserer Correspondenz noch zu widmen habe.

Meine Antwort auf Hempel's Brief , mein letztes Schreiben an Brockhaus werden Sie gelesen haben. Nichts also mehr über meine allgemeine Ansicht, über die Entschließung, welche ich gefaßt haben würde, wenn ich freie Hand gehabt hätte. Mir däucht's, daß Sie Ihrem Sinne nach mit beiden Briefen zufrieden sein müßten. Diejenigen jedoch, an welche diese Briefe gerichtet waren, scheinen dies nicht; warum sollten sie mir nicht schon längst geantwortet haben? Denn auch den Brief von Brockhaus , worauf Sie mich als auf eine Bestätigung der frohen Hoffnung zur endlichen Ausgleichung verweisen, habe ich bis heute noch nicht erhalten. [...]

Frau von Ehrenberg übernimmt es, mündlich hinzuzufügen, was meinen Worten versagt ist: den vollen, wahren Ausdruck der Liebe, des sehnsuchtsvollen Antheils, mit welchem ich ewig sein werde

Ihre M. Spazier, geb. Mayer.

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Ernst Karl Friedrich Ludwig. Berlin, 3. Juni 1811, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0964


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Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 219-220 (unvollständig).