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Heute endlich die Beantwortung Ihrer mehrmals geäußerten Wünsche, mein jetziges inneres Leben zu kennen, meine Verhältnisse hier zur Welt, zu meinen Freunden. Je wichtigere Nachrichten ich Ihnen über das Höchste im Leben mitzutheilen habe, je mehr haben Sie Recht, darüber etwas zu wissen, da Sie mit seltener Freundschaft mein Schicksal theilen. Es hat sich in diesen Tagen viel entschieden.

Uebrigens ist die Hofräthin auf das vollkommenste hergestellt, und ihr Geist blüht schöner als je. Zwischen uns ist ein rein und innig freundschaftliches Verhältniß geblieben. Ich erhalte oft die herrlichsten Briefe , worin sich ihr reiches und tiefes Gemüth auf die außerordentlichste und mannichfaltigste Weise entwickelt. Auch schön und edel, und ich zweifle nicht, daß bei bürgerlich ganz geordneten Verhältnissen und wenn es möglich wäre, die Pfade der Vergangenheit aus dem zerrissenen Herzen zu reißen, sie nach dieser Katastrophe ein gutes und herrliches Weib sein würde. Offenbar sucht sie auf mich lebhaft wieder einzuwirken und mich aufs neue zu fesseln. So sagte sie in ihrem letzten Briefe :

"Zuweilen bilde ich mir ein, daß Du mich liebst wie sonst, daß in Dir dasselbe vorgeht, was meine geheimsten Gedanken beschäftigt, und daß unsere Wiedervereinigung uns Beiden unbewußt das entfernte Ziel unsers Hoffens und Ausharrens ist!"

Da aber der Verstand, beleidigte Ehre, Pflichtgefühl und auch zarte und edle Neigung für ein anderes weibliches Wesen mich stärken und schützen, so werde ich der Sirenenstimme, die von der Spree her zu mir herüberschallt, nicht folgen.

Ich würde gewiß außerordentlich zu kämpfen haben, wenn wir zusammen wären. [...]

Mein Verhältniß hier zur Welt ist im ganzen noch dasselbe, wie ich es Ihnen geschildert. Innige Freundschaft mit allen Gliedern des Ludwig'schen Hauses ist jedoch das, was mich allein sehr anzieht. Sie sind es auch allein, die mich ganz verstehen und würdigen. Ich habe hier nämlich wieder das Schicksal, daß viele Menschen gegen mich sind, daß mich diese für stolz, üppig, eingebildet und Gott weiß wofür Alles halten, wozu ich freilich durch mein schneidendes, auch oft sonst nie vorsichtiges Betragen Veranlassung gegeben habe. Ich bin über die Ursachen und die einzelnen Gravamina lange in Unsicherheit gewesen, da ich nur die Spuren in den Folgen entdeckte, ohne die Ursachen errathen zu können, da die Winke, die ich von einer Seite erhielt, nicht hinreichten, mir die nöthige Aufklärung zu geben. Jetzt kenne ich aber alle Fäden der geheimsten Verhandlungen darüber und auch alle Intriguen, die dabei stattgefunden und -finden.

Mein Genius, der mir jene Winke und jetzt alle Offenbarungen gegeben hat; der mein Interesse vom ersten Augenblicke, daß ich hier vor einem Jahre aufgetreten bin, zum eigensten gemacht hat; dem ich und die Hofräthin alles Gute und Liebe verdanken, das wir hier genossen; der mich und sie mit gleicher Energie verfochten und vertreten; der durch einen wunderbar sympathetischen Zug sich zu mir wie ich mich zu ihm hinneigte, als auch noch nicht die allerentfernteste Möglichkeit da war, daß je ein näheres Verhältniß eintreten könnte – dieser Genius ist jenes herrliche Mädchen, Ludwig's Schwägerin, Fräulein Jeannette von Zschock – seit einer Woche meine still Verlobte! Sie wird mir fürs Leben angehören, wenn ich es vermag, mein bürgerliches Schicksal ganz zu ordnen, die Einwilligung Ludwig's und ihrer Schwester, die noch nicht von Teplitz zurück sind, zu erhalten und die Welt ganz mit mir zu versöhnen. Wir werden aber Vieles zu kämpfen haben, ehe wir ans Ziel kommen.

Unsere Wahlverwandtschaft hat um so weniger unbeobachtet bleiben können, da durch die Eifersucht der Hofräthin, die zu einer Zeit, als der Gedanke daran zu den Märchen aus dem Monde gehörte, mich und die arme Jeannette aufs Blut damit verfolgte, dies unser Verhältniß die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, da es psychologisch allerdings höchst interessant war und jetzt von neuem die Behauptung Schubert's und Anderer gewissermaßen bestätigt, wie diese Art Nervenkranker die Gabe der Voraussehung und Voraussagung haben. Außerordentlich ist's, daß sie im Wahnsinn ihres Fiebers prophetisch Alles ausgesprochen hat. "Ich bin", sagte sie, indem sie unsere Hände zusammenlegte, "Donna Elvira , mein Fräulein; ich werde nun gehen". [...]

Meinerseits bin ich überzeugt, daß meine Kinder eine vortreffliche Mutter und Erzieherin, ich eine edle Freundin und treue Genossin fürs Leben errungen habe, wenn es mir gelingt, unsere Verbindung zu vollenden. Sie wissen, wie verarmt mein Leben war und wie es das außerordentlichste Glück ist, wenn ich es auf diese Weise neu und schön ordnen kann. Ich gedeihe nur in einem edeln Familienkreise, und ohne solchen bin ich nichts. Und was wird und kann aus meinen Kindern werden, wenn sie nicht wieder eine edle Mutter finden? Es ist der lebhafteste Wunsch meiner Freundin, die kleine Sophie von Amsterdam herüberzuhaben, und es werden daher ernste Ueberlegungen stattfinden müssen, wenn Sie herüberkommen, wie dies zu bewerkstelligen.

Ich würde Ihnen diesen Brief schon vor acht Tagen geschrieben haben, wo er freilich noch nicht so klar und bestimmt hätte melden können, was er jetzt enthält, wenn nicht in dieser Zeit gerade das hiesige große Vogelschießen stattgefunden, das jede geregelte Arbeit beinahe unmöglich macht. Sie können sich keinen Begriff davon bilden, mit welchem Pompe, mit welchen Feierlichkeiten es begleitet ist, und wie sich Geschmack und alle schönen Künste vereinigen, die Belustigungen dabei zu veredeln und zu verschönern. Dies Jahr war noch eine neue Loge erbaut worden, in der sich nun die Elite der Gesellschaft versammelte, wo des Morgens Déjeuner dansant , dann Dîner, Abend Bal paré, Spiel und Souper unter den Colonnaden des Saals und in den Nebenzimmern war. An einem Tage in den Zwischenzeiten war noch Lotterie für Damen, an einem andern Tage Concert. Jeannette gewann auf zwei von mir geschenkte Lose zwei Ringe! Sie können denken, wie glücklich uns dieser Zufall oder diese Schicksalsdeutung machte. Blos in dieser Loge speisten gewöhnlich 4-500 Personen. Ich glaube nicht, daß es irgendwo brillantere oder angenehmere Bälle und Partien geben könnte, als es die hier waren. Aus der ganzen Gegend bis von Dresden her hatten sich lebenslustige Fremde in außerordentlicher Zahl eingefunden, die täglich ab- und zuwogten. Dazu die zahlreichen Buden auf der an einer sanften Anhöhe gelegenen Vogelwiese, von der man eine wunderschöne Aussicht hat; die herrliche Witterung, die schönen mondhellen Nächte, der Jubel der Volksmengen, denen diese Woche das ist, was den Römern ihr Carneval; das Werfen der Schwärmer, der Raketen, womit sich Jung und Alt amusirt; das ewige Musiciren von zwanzig Orten her, das Trommeln bei jedem Schusse, der den Vogel verwundet; die militärische Haltung aller Freunde und Bekannten, die sämmtlich in ihren ebenso geschmackvollen als wohlkleidenden Uniformen (dunkelgrün aufs brillanteste mit Silber gestickt, französischer Offiziersschnitt) mit großen russischen Hüten und rothen Schwungfedern erscheinen; die geputzten Weiber und Mädchen, von denen es wimmelt.

Sie wissen, wie arm man in Holland an allem ist, was Vergnügen heißt, und Sie können daher denken, wie sehr es auf mich einwirken mußte.

Ich war dazu doppelt glücklich, aber auch doppelt mäßig in jedem Genusse, da am Vorabend des Festes meine edle Freundin mir mit ihrem Herzen auch ihre Hand zugesagt hatte. Das geheimnißvolle Glück, das eine ausgesprochene edle Liebe begleitet, deren Höhe von keinem Aber geahndet wurde, goß einen besondern Reiz über unsere beiderseitige Haltung und Wesen, die von unsern nähern Freunden nicht übersehen wurde.

Ich komme nochmal auf unsere Widersacher. Niemand ahndet zwar, daß zwischen uns eine Erklärung stattgefunden und wir uns Beide vollkommen verstehen; allein Jeder bemerkt leicht unsere gegenseitige Neigung, und da ich in allen öffentlichen Orten ihr den Arm gebe, bei Tisch ihr immer zur Seite bin, jeden ersten Tanz mit ihr tanze, mich par préférence mit ihr unterhalte, sie beständig nach Hause führe, so hat man natürlich unsere gegenseitige Neigung nicht übersehen können, davon abgesehen, daß da, wo ich nicht bin, sie mich hebt oder nöthigenfalls vertheidigt, wie ich schon oben gedacht habe.

Zitierhinweis

Von Friedrich Arnold Brockhaus an Friedrich Bornträger. Altenburg, 30. August 1811, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0968


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Textgrundlage

D: Brockhaus, Leben 1, S. 221, S. 260-263 (unvollständig).