Von Johann Jakob Griesbach an Johann Ernst Wagner. Jena, 18. August 1810, Sonnabend

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Wohlgebohrner Herr,
Hochgeschätztester Freund,

Sehr rührend war mir das freundliche Andenken und das gütige liebevolle Zutrauen eines Mannes, den ich nicht nur als nützlichen ehrenwerthen vaterländischen Schriftsteller hochschätze, sondern mit dessen liebenswürdigen Charakter und leider! vieljährigen Leiden ich durch Frau von Schiller näher bekannt worden war. Ihre höchst interessante Zuschrift nebst der hierbey zurückkommenden Beylage vollendeten meine hohe Achtung für Sie, indem ich daraus Ihren ächtreligiösen Sinn und Ihr rühmliches Vorhaben, Ihre Talente zur Beförderung christlicher Religiosität anwenden zu wollen, ersah.

Einen gewissermaßen dem Ihrigen änlichen Zweck setzte sich vor 40 Jahren der würdige Heß in Zürich vor, als er seine Geschichte der 3 letzten LebensJahre Jesu schrieb, welche er nachher zur Geschichte des Lebens Jesu erweiterte, und an dieser bey den vielen Ausgaben, die sie erlebte , mit unermüdetem Fleiße zu bessern suchte. Auch er wollte die herrliche Geschichte Jesu lesbarer darstellen, und sie dadurch in einem größeren Kreise, als der der fleißigen Bibelleser noch ist, in mehreren Umlauf bringen. Aus dem großen Nutzen, den dieses Werk stiftete, augurire ich einen nicht geringeren für das Ihrige. |2 Heßens Schrift, obgleich vor wenig Jahren nochmals aufgelegt , ist doch zu alt, als daß sie jezt noch bey der feineren Lesewelt, zumal bey dem schöneren Theil derselben, viel Eingang finden sollte; dagegen Ihr Name dem neuen Werke bey diesem Publikum schon zur Empfehlung gereicht und zum Lesen reizt. Und ist nur dies erreicht, so vollendet der Inhalt und Ihre Darstellung das Übrige; zumal da Sie Ihr Publikum bestimmt ins Auge faßen, Heß hingegen selbst auch Religionslehrern nützen wollte. Wie groß wird der [...] S egen seyn, wenn Sie Müttern die von Ihnen erzählte Geschichte interessant machen, und jene dann auch ihren Kindern Interesse dafür einprägen. Fahren Sie also fort, Verehrter Freund, in Ihrer nützlichen Arbeit. Gott schenke Ihnen dazu heitere, leidenlose Tage, und stärcke Sie zur Vollendung des Werks.

Sie haben mich aufgefordert , über den Anfang Ihrer Arbeit meine Bemerkungen Ihnen mitzutheilen. Ich lege einige hier bey , blos um Ihren Willen nicht unerfüllt zu laßen. Zwar gestehe ich offenherzig, daß ich auch noch einige andere Stellen nicht so erklären würde, wie Sie gethan haben. Es wäre aber eine lächerliche Präsumtion, wenn ich verlangen wollte, daß ein andrer Gelehrter in Stellen, die eine verschiedene Auslegung zulaßen, grade diejenige wählen solle, welche ich vorzuziehen zu müßen glaube. Von einer solchen egoistischen Eitelkeit bin ich weit entfernt. Ich schränkte mich daher billig auf solche Stellen ein, wo es mir schien, der gebrauchte Ausdruck könne nicht unbedeutende Mißdeutungen oder auch Zweifel veranlaßen. Nur hierauf wollte ich Ihre Aufmerksamkeit lenken, keinesweges aber etwas vorschreiben. Ich bitte daher inständigst, in meinen ganz unmaßgeblichen Bemerkungen den absprechend scheinenden Ton, nicht dafür zu |3 nehmen, sondern versichert zu seyn, daß ich ohne alle Anmaßung Ihnen meine Meinung nur auf die möglich kürzeste Art vorlegen wollte. Denn der möglichsten Kürze mußte ich mich bedienen, da die Menge verschiedenartiger Geschäfte, welche Amtspflichten mir auflegen, oft den Überrest meiner Kräfte übersteigt, und wenigstens nur selten einzelne Mußestunden mir gestattet, von welchen ich überdieß manche, wegen Erschöpfung, unbenutzt vorbeystreichen laßen muß. Und eben dieses muß ich auch zur Entschuldigung anführen, daß ich, bey dem besten Willen, doch nicht eher als jetzt Gegenwärtiges absenden konnte. Zu andern Hindernißen und Abhaltungen kommt seit einiger Zeit der Böse Umstand hinzu, daß meine durch die Jahre und Gicht schwehr gewordene Hand fast dreymal so viel Zeit als ehedem zum Schreiben braucht.

Doch meine wenigen Gedanken über Ihr interessantes Werk werden immer noch früh genug kommen, wenn Sie sie nur nicht ganz unnütz finden. Auf jeden Fall nehmen Sie sie für das an, was sie seyn solten, für einen Beweis der hohen Achtung und herzlichen Ergebenheit, mit welcher ich bin

Ew. Wohlgeboren

gehorsamster
JJGriesbach

Jena
d. 18 Aug. 1810.
Zitierhinweis

Von Johann Jakob Griesbach an Johann Ernst Wagner. Jena, 18. August 1810, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1086


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 3 S.