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|1 Bettenburg den 14 August 1824.

Troz dem wenigen Brennstof, den mein inners Licht von außen erhält, lodert es doch noch fort, und mitunter gar gewaltig hellauf. Mein wackrer Schmidt ist zwar auf der Wiedergenesung, aber fürchten muß ich, daß er zu der ehemahligen vollen Thätigkeit, nicht wieder zurückkehren wird. Welche Folgen dieß für mich hat, begreifen Sie. Wollen Sie mir hierauf antworten, so geschieht es auf einen besondern Zettel. Wegen meiner so sehr gesunkenen Sehkraft muß ich mich blos mit den obern Sendgängen behelfen, und ist es nicht Abendszeit, so bedarf ich da eines Führers, und das gute Klärchen läßt sich dieß nicht nehmen. Auch geht es nicht so recht in den Fortschreiten der Lectüre. Dieß schadet aber gar nichts, denn mein Licht lodert hoch empor, wenn es Brennstoff findet.

Nun einen Dank dem Mann unsers Ernst Wagners! Er sandte sandte mir vor vielen Iahren den jetzigen Kanzler Müller aus Weimar. 1810 war er zulezt bei mir, am lezten Mittwochen morgens 9 Uhr trat er wieder bei mir ein. Nach dieser langen, mitunter schweren Zeit erkannten wir uns noch mehr und wurden innigst vertraut. Meine Anlagen verwünschte ich oft, wenn ich der Verhältniße wegen Strohköpfe und Gänschen darinen her auf um führen mußte, jetzt verwünschte ich sie, weil Müller diesen Genuß nicht lassen wollte und mir zu lange ausblieb. Der Meininger, vorzüglich Könitz, wurde von uns sehr gedacht. Müller wollte schon um 1 wieder abreisen es wurde aber doch 3 Uhr daraus, und ich schwelgte während dieser Zeit so recht in Freundes Reichthum.

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d. 17 Septbr. d. J.

Ich dictirte dieß meinem vorigen Diener ins Concept, und weil ich eben heute Lust zum Dictiren fühle, so fahre ich fort und mein neuer Diener wird Muße zum Abschreiben finden. In der Zwischenzeit lagen mehrere Abhaltungen und auch Mißstimmungen in mir. Eine sehr schlimme war, daß ein sehr arger Rephmatismus sich auf mein Gehör warf, welcher mich zwang von meinen 20 fast 30jährigen Grundsatz abzugehen, gar nichts mehr für, noch gegen zu brauchen, denn das Gesauß in den sogenannten guten Ohr ging fast bis zum Unerträglichen. Die zuerst angewandten Mittel verschlimmerten fast, so, daß ich Taubheit fürchtete, doch verlohr mein dicker Arzt seine Besonnenheit nicht blieb im Hoffen, und ich hoffe jetzo mit ihm. Meine körperlichen Kräfte haben sich während der Zeit so gebessert, und mein Appetit ist so wieder da, daß ich gar keine Arzeneymittel mehr brauche, doch nehmen die Einsprützungen in mein Ohr meine Gedult noch täglich einigemal in Anspruch.

Sagen Sie meinem Freund Könitz, oder besser Sie lassen ihm das Ganze lesen, denn ich erspare mir in meinem Brief an ihm, der nächstens erfolgen soll, das leidige über mich selbsprechen. Des Kanzler Müllers Sohn kam vorgestern Nachmittag von Würzburg hier an, um seinen Vater, zu erwarten, dieser kam erst Nachts 11 Uhr; seine Geschäfte hat er durch Lerchenfelds kräftige Einwirkung, glücklich zum Schluß gefördert, er war sehr freudig darüber, und wir verlebten gestern, bis Nachmittags 4 Uhr herrliche Stunden zusammen, wo er noch nach Hildburghausen abfuhr, weil er sehr eilte.

|3 Der Sohn hofft sein Eisengeschmeide gegen Ostern abzulegen und bleibt bis dorthin Ackademiker zu Würzburg und nimmt seinen Rückweg über Northeim

Nun dictire ich gleich für den Brief. Aus den obigen geht hervor, daß ich schwer ans Dictiren komme und selbst dann schwerfällig dictire. Als Ubergang zu meinem Ernst Wagner: Müller sagte mir noch, Göthe sey deßwegen nicht nach Carlsbad gegangen, um in der Herausgabe von Schillers Briefen an ihn u seinen Antworten, nicht gestört zu werden. Welchen Reichthum sehn wir da nicht entgegen! Noch Eins müssen Sie und Könitzens wissen. Göthe ließ mich grüßen und da eine seiner neusten Liebhabereien ist, Handschriften zu sammeln, und diese zur Erkennung des Menschen anzuwenden, so ließ er auch mich auffordern, und o Wunder! ich brachte vier oder fünf Zeilen hervor, welches ich fast für unmöglich hielt. Und Lerchenfeld, mit welchen Müller sehr vertraut wurde, äußerte in seinen Brief an mich , welchen mir Müller brachte: "nur die Rückwirkung Goethens Geist haben mir dieß möglich machen können". Diese Stelle war von Lerchenfeld sehr schön gesagt, ich kann sie aber jetzo in den Drang, da ich etwa nur noch eine Stunde habe, nicht aufsuchen und abschreiben lassen, welches für Göthe geschah.

Jezt höre ich die Stelle aus Ihrem Brief von 4 März , Wagner betreffend wieder. Herrlich, schön, daß Sie unsern Wagner ein Denkmal setzen wollen , u setzen werden. Von seinen literarischen Nachlaß, werden Sie aber dabei keinen |4 Gebrauch machen dürfen, da er dieß strenge verbot, wie ich durch die Worte der Antonette Mütschefall, die bis zu seinem lezten Lebenshauch bei ihm war, bestimmt weiß, und mir, wenn ich nicht irre auch einige seiner lezten Papiere, welche ich mit Voß ordnen mußte, dieß bestätigten. Wie unser Wagner über die Bekanntmachung, ja selbst über die Mittheilung von Briefen, ja gar vertrauten Briefen dachte, darüber giebt sein A,B,C. eines Henneberger Fibelschützen Aufschluß , welches Sie jetzo recht genau durchgehen müssen. Doch muß ich Ihnen bekennen, daß ich von Ihrer ersten Aufforderung enthusiasmirt, sogleich durch Lotte Hahnstein welche hier war, an die Bergnern in Coburg schreiben, und um ihre Briefe bitten ließ. Die Bergnern sandte mir diese, Lotte Hahnstein las [...] sie mir alle vor; aber keiner davon eignet sich davon zum Druck. Die Ursachen anzuführen, ist mir zu weitläuftigtig. Aufgeregt, wie ich jenes mal war, dictirte ich durch die Lotte Hahnstein ein langes darüber an unsers Wagners ersten Freund den Director Keßler zu Frankfurt a. d. O. , der allerdings ein Recht darüber mitzusprechen, erhielt aber darauf noch keine Antwort. Sie werden daher wohlthun, was Sie auch wohl gerne thun, sich bald selbst an Keßler zu wenden. Auch möchten Wagners Louise, jetzo zu Wasunngen und Karl Wagner, und vorzüglich die jetzo verwithwete Antonette v S. Fischer zu Breslau , welche Wagners engste Vertraute war, um Rath zu fragen seyen, in wiefern von Wagners Nachlaß und von seinen Briefen an Freunden, bei dem Denkmal, welches [...] Sie ihm setzen wollen und sollen Gebrauch zu machen sey. Daß ich Ihnen Wagners Briefe sende, ist es wohl Beweis, daß ich es nicht so strenge nehme, nur muß die äußerste höchste Discretion dabei obwalten. Auch denkt der Kanzler Müller wie ich |5 und will Ihnen Wagners Briefe, wenn Sie ihn dazu auffordern, senden ; denn er meint: es wäre doch ewig schade, wenn das Beste von Wagner, was doch in seinen Briefen steckt, untergehen sollte. Müller hatt hier warlich Recht, denn Sie werden in Ws Briefen an mich, Stellen finden, wo feinsinnigster Dank gegen unsere Herzogin, dieser erhabnen einfachen Frau erst so recht charackterisirt. Sprechen Sie auch mit unsern scharf und richtig blickenden Könitz-Paar darüber, und heben diesen Brief ja auf, oder noch besser, Sie lassen von einen ihrer Kinder eine Abschrift der Stellen, welche Wagner betreffen nehmen, und senden mir diese zu.

Nun zur flüchtigen Beantwortung ihres reichhaltigen Briefs von 14 Jul. d. J. und Dank für Ihren leztes Geschenk. Ei, ei! ich literarischer Laie, sollte ich nicht durch nähere Freunde zu ersetzen seyn? ich denke hier an Vierling , und würde Könitz nennen, hätte er Zeit. Bedenken Sie meine Calamitäten, so werden Sie mir es nicht so [...] sehr verübeln, daß ich noch gar nicht an Ihr Übungsbuch kam, worauf mich das Wiederhören Ihres Briefs, nun noch aufmerksamer machte; doch spare ich mir dieses Hören, bis im tiefen Winter. Voß Antisymbolick habe ich hier, und mein Schuler, der mich in ein paar Wochen besuchen wird, soll mir die saugröbsten Stellen vortragen. Schade, daß die edle Ernestine Voß und die Söhne Voß, sich so über die Derbheit u Grobheit des a A lten erfreuen können, und dieselbe sie selbst als Verdienst darstellen. Aus diesen Grund wurde mir der Briefwechsel mit Heinrich früher schwer, jetzo noch schwerer, da die Mutter an des Sohnes Stelle trat.

|6 Ihr neues Arkadien hörte ich in abgewichenen Winter schon einmal mit Vergnügen; doch auch eine vergnügte Stunde kann der Erinnerung entschlüpfen. Jezt hörte ich es wieder, und wünsche fast der Geschichtsfaden wäre weiter ausgeführt.

W. Scott bleibt [...] doch ewig reich; obgleich nicht immer in gleichen Maaß. Von Tschirner haben Sie doch alles gelesen? und von Weiler in München müssen Sie alles lesen. Es giebt warlich mehrere solcher Katholiken, und ihre Zahl wird wachsen, muß wachsen; daher sind mir die T m M achinationen des Pabstes weniger ängstlich.

Sagen Sie noch Könitz und freuen Sie sich selbst darüber, daß meine Kräftigkeit zunimt, und ich am Freitag einen großen Theil meiner Anlagen zum erstenmal in diesen Jahr durchschritt; aber daß sich mein Gehör sich wirklich etwas verschlimmert hat. Nun was ist zu machen? – ich gewinne vielleicht gar, wenn ich zu einer Hörmaschine greife.

Gruß der guten alten Mutter, der lieben wackern Frau und Kindern , und mehreren meiner Freunden, wenn Sie diesen begegnen. Und nun Gott befohlen. Mit Achtung u Treue der

Ihre
Truchsesz

Zitierhinweis

Vom Christian Freiherr Truchseß von Wetzhausen an Friedrich Mosengeil. Bettenburg, 14. August bis 19. September 1824, Sonnabend bis Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1144


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Textgrundlage

H: Baumbachhaus Meiningen, IN XIV-3/-6539
2 Dbl. 4°, 6 S.