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d. 14 Dezember 96

So oft ich allein bin, und Ihr himmlisches Bild mir erscheint und belebt von der reinen, edeln Seele sanft sich vor mir bewegt, von jungfräulicher Huld überstrahlt, Liebe und Treue in dem klaren Auge, so oft dann dieses Bild in meiner Fantasie einen heimischen Boden findet, auf dem es gern verweilet, tröstend sich zu mir neigt, und in der Sprache der Geister mir sagt – dir bleibet nun ewig, o Freund, was von mir dein gehört – o, dann füllet mich ja immer eine Namenlose, eine unendliche Wonne und ich fühle mich außer der Zeit und dem Raume, fühle diese Wonne in mir so ewig wie die Liebe und die Tugend.

Aber kömmt nun gar ein Brief von der Theuern, von der Zwillingsschwester meines Ichs, seh' ich diese Züge der geliebten Hand, saug' ich wie die Blume den Perlentropfen des Thaus, diese hohen Gesinnungen, diese erhabnen Idéen, diese lautern Gefühle, lauter wie der Aetherquell, aus dem sie sich ergießen, saug' ich erquickt, beruhigt, seelig sie in mich, o dann löst sich ja mein ganzes Wesen in ein einziges Entzücken auf, und das Entzücken stehet in mir wie eine grose, stille, helle Thräne, in der sich nur Himmel und Engel spiegeln.

So glaubt der Mensch, in deßen Brust die reine Liebe wohnt, die vollendete, die ewige, die unendliche, die Wonne, die sie in jedem Momente ihm giebt, sei die höchste, und keinen Zuwachs derselben kann er sich möglich denken.

Er ist auch nicht möglich in der Wahrheit, denn über die Zeit erhaben kann weder diese Liebe steigen noch ihre Wonne, aber der Mensch, der von einem Körper umbaute, von Sinnen verhüllte, von Zeit und Raum begränzte, täuscht sich und meynt, sie sei es die zunehme, da es doch ihre Vorstellung nur ist, die ihm lebendiger wird.

Ja dort, dort wird unsre Seeligkeit die eine seyn, die gleiche, die unwandelbare, hier ist sie einer beständigen Vergröserung fähig.

Ihr gestriger Brief, unendlich Theure, schuf mich zu einem Geist, zu einem Gott. Alles irrdische Organ war von mir gesondert, ich griff nicht mehr nach Aussen hin, alles hatt' ich, hielt ich, umarmt' ich in mir, kein Bedürfniß, keine Errinnerung an die Endlichkeit hemmte mein freies, trunknes Ich, das wie eine Psyché lauter Nektar trank aus unverwelklichen Blumenkelchen.

Wir sind Eins! wir können einander nichts mehr geben, wir haben uns eins das andre in uns selbst, mit allem was es besitzt und vermag. Keine Empfindung in Ihnen, der die meinige nicht ankläng, kein Gedanke in mir, der der Ihrigen nicht antwortete. Was wir durch einander gewonnen, ist eine Verdopplung, ist eine Ausdehnung, ist ein erhöhetes, bestätigtes, geheiligtes Selbstbewußtseyn, sind endlich neue Formen für denselben Innhalt, die wir uns zu bringen.

|2 Wir können einander nichts mehr verbergen, wir dürfen es nicht, wir bedürfen‘s auch nicht. Die Wahrheit, die Tugend selbst sind herabgestiegen und sind die Erlöser geworden unsrer Seelen, die Erlöser von dem ewigen Fluch, von der Verdammniß aller Selbstsucht, aller Unlauterkeit. Die Erde, das Leben sind nur was uns trennen, nicht was uns vereinigen kann, wir verschmähen sie, wir verschmähen ihre elenden Fallstricke, wir entsagen mit lebendiger und immer lebendigerer Erkenntniß den trügenden Lockungen, womit sie Seelen irreführt und mordet, die unsrigen schweben vereint in der Luftzone der Idéale, die der Thiermensch als Wahn verlacht, und ausser der keine Wahrheit, keine Seeligkeit, keine Unsterblichkeit ist.

Gott! wie gros, wie mächtig, wie überirrdisch fühlt sich mein Ich in diesen Augenblicken! wie fest ist mein Auge hinweggekehrt von der Zeit und von der Wirklichkeit zu dir, o unsterbliche, nie verlöschende Sonne, deren Strahlen die Schwingen meiner Psyche trockneten, daß sie leicht und frei sich entfalten und sie immer höher, immer näher dir tragen möchten. Ein Gebet ist die Stimme meines Innern, ein Gebet daß Du, o mein Gott! dieß mein Gemüth immer mehr läutern, immer würdiger machen mögest, der Freuden die Du allein ihm schenkest; Du und der Geist, den Du uns herabsendest! Du allein, Unendlicher! Du weißt es, Du allein bist es, der meine Seele magnetisch anzieht in Liebe, dem sie zueilt, zufliegt, in dem sie versinken möchte, aber du der Du keinen Geistern zu dieser unserblichen Liebe die Selbstheit gabst, der Du nicht wolltest, daß selbst in Dich sich einer verlieren sollte, Du stehest ewig verschleiert in dem Allerheiligsten, deßen Vorhang kein Geschaffnes aufhebt, dort stehest Du und waltest, und nur das ewige Licht und die ewige Wärme dieses Vaterherzens dringt durch den Vorhang, und Seelen und Engel schweben einander sichtbar in dem rosenfarbnen Glanze. Die Seelen, und die Engel erkennen sich in dem Aetherstrome, der Deinen verhüllten Thron umwallt, und ihre Kindesliebe wird Liebe der Brüder und Schwestern, ihre Seeligkeit ein vereinter immer erhöhter, wie geendigter Flug, ihre Anbetung eine Hymne des Danks und des Entzückens.

Ihnen sei jezt wie mir, Geliebte! Ihnen sei immer so, wie mir jezt ist! Ihr Herz sei ein Eden, Ihr Athem ein Seufzer der Wonne, Ihre Brust eine Harfe, aus der ein Engel Melodieen lockt, und was Sie umgiebt und worinn Sie wirken, sei das Echo dieser Melodieen! –

d. 15ten

Unedle Naturen offenbaren sich durch das was sie verstecken, die edelsten durch das, was sie zeigen.

Ich kann nichts an Ihnen entdecken, Amöne, was ich nicht lobe, auch Ihren Selbsttadel lob' ich. Indem ich die Erscheinungen in Ihrem Innern, die Sie befremden, Ihnen wahr und frei erkläre, beweis' ich Ihnen, daß ich nicht schmeichle, |3 wenn ich durch jedes Ihrer Geständniße meine hohe Meynung von Ihnen nur erhöht und in den Mängeln, deren Sie Sich vielleicht anklagen möchten, nur den Schatten sehe, der die Züge Ihres lichtvollen Ichs hervorhebt.

Der Schein von Inkonsequenz oder gar von Selbstsucht in dem Anspruche auf eine ausschließende Liebe des Herzens, das wir doch nicht ausschliessend lieben, ja zu dem die Liebe nur die allgemeine und die für jedes nahe Individuum in uns schärft und stärkt, verschwindet leicht nach folgender Betrachtung.

Die eigne Liebe fühlen wir immer in uns, die fremde stellen wir uns nur vor, außer in den seltnen, einzelnen Momenten des Entzückens, wo, wir wißen nicht wie? in unerforschlichem Geheimniß die Seelen das Fest der Vereinigung feiern, und die Ichs einander umarmt halten.

Außer diesen Momenten also ist die fremde Liebe nur das, was wir ahnen, woran wir glauben, und nur je zuversichtlicher unser Glaube ist, je gröser ist die Wonne, die sie uns giebt. Aber der Glaube, auch wenn er die ganze Brust erwärmt und einnimmt, unterscheidet sich noch immer von der Gewißheit, die auch unsern Kopf befriedigt, durch die wir uns Rechenschaft ablegen, durch die wir zur Evidenz gelangen.

Diese Evidenz nun (immer jene einzelnen Momente abgerechnet) ist es, die wir nur von der eignen Liebe haben, die von der fremden uns fehlt.

Die Evidenz steht gegen alle Wahrnehmungen fest, die wir von der Theilbarkeit der eignen Liebe machen. Wir fühlen, wir wißen, daß der Quell von dieser nie versieget, daß ihr Strahl nicht schwächer springt, ob er sich auch in noch so viel Kanäle vertheile, ja, daß so wenig wir's begreifen, ihr flüßiges Kristall nicht stärker in den einen geleitet werden könne, ohne daß die andre zugleich mit anschwellen. Es befremdet uns also nicht, wir klagen uns keiner Untreue an, wenn ein neues Bett sich für einen neuen Strom zeigt, denn unerschöpflich ist die Urne der himmlischen Nayade.

Anders ist es und muß es seyn mit der Wahrnehmung der Theilbarkeit einer fremden Liebe. Außer in den erwähnten Momenten, wo sie wie die eigne uns zur Evidenz wird, kann unser Glaube an sie blos durch ihre Vergleichung mit unsrer eignen und durch die beseeligende Wahrheit, ihre Natur müße dieselbe seyn wie die der leztern, erhaben und gestärkt werden.

Jede reine Liebe nehmlich muß eine allgemeine seyn, weil das Geistig gute, schöne, edle, erhabne, dem sie gehört, keinem Menschen ausschließlich eigen ist, weil sie sich jedem zuwendet, der sie verdient, der Stoff allein ist's, der sie erweckt und anzieht, die Form ist nur das, was ihr Charakter und Festigkeit giebt.

Für das, was sie dem Stoffe dankt, zahlt sie keinen Tribut, immer erweitert und doch immer verstärkt behauptet sie sich bei ihrer Fülle, bei ihrer Unsterblich- |4 keit und Unermeßlichkeit, für das, was ihr die Form giebt, zahlt sie einen schweren Zoll in ihrer Beschränkung.

Diese Form, die Bedingung unsrer Sinnlichkeit, sie, ohne die wir den Stoff weder ordnen noch uns vorstellen können, die den abgezognen, fernen Gedanken, der ohne alle Wirkung auf unser Herz, auf unsre Kraft zu lieben ist, erst in ein Bild, in einen Umriß kleidet, wodurch sie ihn zum Gefühle umschafft und uns nahe bringt, diese Form ist's, die in die Liebe das Ausschliessende legt.

Der Stoff veranlaßt uns zu lieben, aber die Form allein macht es uns möglich, so zu lieben. Dort fühlen wir uns unbestimmt angezogen, aber wir müßen erst eine Form erhaschen, ehe wir Anhänglichkeit gewinnen.

Die allgemeine Menschenliebe kann uns daher nicht von der Tugend allein, (und daher war sie so selten selbst bei den edelsten Völkern des Alterthums) sie muß uns von der Religion gegeben werden. Wir müßen uns einen Gott, einen Allvater vorstellen, um in den Menschen nichts zu sehen, als seine, eine grose Familie. Dieß Bild einer Familie ist die Form, deren wir nicht entbehren können, so wie jenes Bild eines guten Vaters, hier um Gott, dort um die Menschen warm zu lieben.

Das Ausschliesende der Liebe, das unsre sinnlichen Naturen nothwendig machen, hebt ihre Allgemeinheit nicht auf, und das ist der Hauptpunkt, auf den ich komme. Die Schöpfung der Formen wird durch nichts in uns beschränkt, es giebt keinen Stoff, den wir nicht unter einen ordnen und bringen könnten; eine gesunde Fantasie geht mit der Vernunft gleichen Schritt, und es ist Wahnwitz, es ist eine fixe Idée, wenn ein einzelnes Geschöpf uns vor Gott, vor die Menschen und vor andre Geliebte tritt und sie uns alle nehmen will.

Einmal, scheint es, haben Menschen von mächtigem Gefühl diesen Wahnwitz zu überstehn; er fällt in die brennende Zone des Lebens, wo die Empfindung zur Leidenschaft wird, wo der Körper sich in Seele zu verwandeln scheint, und doch die Seele sich wirklich nur in den Körper verwandelt. Dieß ist eine Krise, die für das Leben entscheidet. Wehe dem, der nicht gesund daraus erwacht! –

Wir lieben außerdem alle Menschen, die das Edle und Grose in sich haben, das unsre Liebe verdient, und deren liebenswerthe Eigenschaften sich unter eine unsern Herzen nahe Form ordnet. Aber wir lieben auch jeden ausschließlich, wie uns nun diese Form bestimmt, und so bleibt die Liebe durch das eine rein, durch das andre aber warm.

Man kann gar nicht zwei Menschen auf dieselbe Weise lieben, so wenig, wie sie in derselben Form sich uns geben können. Je mehr diese Form uns entspricht, je schöner, höher, holder sie ist, je mehr, je individueller lieben wir ihn.

Darf ich bei uns beiden hier verweilen? Darf ich Ihnen sagen, wie ich Sie sehe? wie Sie mir erscheinen? was ich für Sie fühle?

Gedenken Sie meines ersten Billets aus Hoff. Das sind Sie mir, so sind Sie mir erschienen.

Und so müßen Sie mir immer erscheinen, außer wenn Sie wanken könnten. Sie müßen alles so lieben, wie Sie jezt thun, und mich so neben Allem. Wär‘s möglich, daß Sie je (ich setze nicht dazu, daß ich ehr an mir selbst zweifeln wür |5 de als an Ihnen) ohne äußre Veranlaßung und ohne innre gerechte Ihre Vorstellung von irgend einem Gegenstand Ihrer Liebe änderten, so würde ich Sie nicht mehr lieben, aber ewig als das liebenswertheste Wesen beweinen.

Wie ich Sie liebe wißen Sie nun für ewig! Auch für mich kann es kein Verhältnis geben, das mich von der einzigen Schwester meiner Seele losriß. Selbst noch eine Ihnen geben zu können, hab' ich keinen Schatten von Hoffnung, denn ich sehe nicht mehr wie ich einst sah, und nur für die Ewigkeit, für die Wahrheit, nicht für die Täuschung von Augenblicken, Monaten und Jahren, könnt' ich hinfort meiner Amöne eine Gespielin in meinem Herzen geben. Aber auch dieß würde uns nicht trennen, nein, nein, die ältere, die frühere, die inniger mir verbundne blieben Sie immer; ganz gleich nicht, nur ähnlich würd' ich beide lieben können, Sie würden das Charakteristische, auch in seinen kleinsten Nüanzen, selbst in seinen Verfließungen nicht erkennen.

Außer diesem Falle aber was hätten da andre Verbinungen mit der unsrigen gemein? wodurch könnten sie diese durchkreuzen? Ja, lieben, herzlich lieben könnt' ich, giebt es doch z. B. Eigenschaften, die meine Wahl einer solchen Gefährtin für das Leben bestimmen könnten, wünsch' ich doch sogar sehnlich, diese zu finden, aber die ich wählte, o sie könnte nicht so engherzig seyn, (o ich würde sie ja verachten) um zu glauben, ich könne engherzig genug seyn, ihr aufzuopfern, was sie nicht bereichere, was sie selbst ärmer machen würde. Nie, nie wird ein weibliches Wesen mir werth seyn können, das nicht das Beste an mir zu schätzen weiß, und dieses Beste was ist es als mein glühend Gefühl für jeden Werth, und das glühendste für den Ihrigen?

17ten Dezember.

Mein Urtheil über Meister in dem Absatze eines ältern Briefes war im ersten Enthusiasmus über das Feuer und die Wahrheit der Darstellung und (wenn ich mich recht entsinne) vor Endigung der ganzen Lektüre hingeworfen. Sie werden danach die Unvollkommenheit desselben entschuldigen.

Außer Ihren Bemerkungen über diese Schrift, die ich sehr richtig und treffend finde, hab' ich vorzüglich noch zwei gemacht, die: daß so viele Menschen, denen Wilhelm ganz fremd ist und deren Intereße an ihm aus gar keinen Gründen hergeleitet wird, einen so äußerst thätigen Antheil an ihm nehmen, einen Antheil, der sogar unerlaubt ist, weil sie ein fremdes Schicksal willkührlich bestimmen und ihn behandeln, wie gewißenlose Aerzte einen Kranken, an dem sie eine Arznei versuchen; und dann die: daß der Vf. indem er wiederholt und unnöthig (weil jedermann darüber einig ist) die Beabsichtigung eines moralischen Zwecks bei einem Kunstwerke lächerlich macht, sogar die nothwendig Folge desselben aus dem Kunstwerke zu haßen scheint. Es haben nehmlich mehrere schlechte und noch mehr mittelmäßige Schriftsteller (unter die ich vormals gehört habe) genug zu thun geglaubt, wenn sie eine moralische Lehre in einem Roman durchführten, und die Begebenheiten und Charaktere desselben ihr anpaßten.

|6 Solche in Handlung gesetzte moralische Abhandlungen können nun durchaus nicht als Kunstwerke gelten, denn die besten beschäftigen nur den Verstand und laßen das Herz kalt, auf das sie wirken sollten. Die sogenannte poätische Gerechtigkeit in der Bestrafung des Bösen und in der Belohnung des Guten macht sie nicht allein unwahrscheinlich (nach den Gesetzen der wirklichen Welt sondern auch sogar unmoralisch, weil sie der Tugend Motive geben, die sie nicht haben darf, und einige hin und wieder verstreute Sittensprüche und Gemeinplätze vermehren alle diese Fehler, statt sie gut zu machen, weil sie Worte sind ohne innern Geist und Leben.

Ächte Kenner ereiferten sich billig gegen diese Zwittergeburten einer matten Fantasie, und ihr Unwerth ward eben so gründlich bewiesen als geglaubt.

Wenn aber noch jezt ein Mann von Genie dawider zu Felde zieht und sich, so wie Göthe, gegen ein schon in Luft zerstiebtes Gesindel, mit der schweren Rüstung des Spottes waffnet, wenn er diesen Gegenstand nicht blos obenhin abfertigt, sondern auf den todten Gegner öfter zurückkömmt, um ihm noch mehrere, unnütze Wunden beizutragen, so fällt man leicht auf den Verdacht (und noch leichter wenn ein solcher Mann öffentlich libertinisch lebt und in zwei Almanachen, in dem einen Verachtung aller öffentlichen Ehrbarkeit, in dem andern Mangel an Menschenliebe offenbart) daß er nicht sowohl der längst verdammten und überflüssigen Beabsichtigung eines moralischen Zwecks in dem Kunstwerk, sondern der nothwendigen moralischen Folge desselben den Krieg erkläre.

Es ist aber, meyn' ich, mit der Kunst wie mit der Liebe. Es giebt eine himmlische und eine irrdische, eine Venus Urania und eine gemeine, einen Amor und einen Kupido, wie in der Mahlerei eine italiänische und niederländische Schule, wie in der Musik eine mozartische und dittersdorfische Komposition. Um dem Sprachgebrauch zu folgen nennen wir freilich die irrdische Liebe auch Liebe, die doch nur Begierde ist, und so nennen wir die irrdische Kunst auch Kunst, die doch nur Mechanismus der Fantasie ist, aber wie die eine Liebe mit der andern nichts gemein hat als die Sehnsucht nach dem Gegenstand, so hat auch die eine Kunst nichts gemein mit der andern, als die Vereinigung des Mannigfaltigen und die Darstellungsgabe.

Was den Künstler begeistert und was er außer sich wieder darstellen will, wie es in ihm steht, ist die Schönheit. Aber alle eigentliche Schönheit ist nur die Form der Wahrheit und der Güte und muß sich metaphysisch darinn auflösen, so wie diese sich materiell damit bekleiden. Daß die Schönheit weiter nichts sei, sehen wir unter anderm daraus, daß wir nicht im Stande sind an Menschen, an Thiere, ja sogar an unbelebten Gegenständen die Schönheit anders als durch moralische Eigenschaften zu beschreiben, deren Ausdruck sie ist, und die mir den Menschen als unmittelbar , den andern aber mittelbar durch Analogie beilegen. Einen Menschen beschreiben wir nicht nach Zollen und Proportionen, sondern nach den Empfindungen, die sein Anblick in uns erregt. Wir legen seinem Wuchse Kraft bei oder Anmuth oder |7 Adel oder Würde, seiner Stirn Majestät, seinen Augen Seele, seiner Nase Scharfsinn seinem Munde Lieblichkeit. Den Bau eines schönen Pferdes nennen wir edel, unsre Zimmer, unsre Meubel sind schön, blos durch den Eindruck, den sie auf uns machen, und wir haben bis jezt in der Aesthetik nur unvollkommne Versuche über die Beschaffenheit der Objekte selbst, welche ihre Ansprüche auf Schönheit rechtfertigen.

Der Künstler der nicht von der Schönheit begeistert wird, den wir also eigentlich mit Unrecht so nennen, ist ein Mensch von feiner Empfänglichkeit, leicht beweglichen Organen, der die Gabe hat was er empfangen wieder zu geben, aber ohne daß er es unter ein höhres Ideal zu ordnen und es für uns in die Form desselben zu gießen vermöchte. Treu wie Denner oder Ostade mahlt er die Natur, aber was er uns giebt hatten wir schon ohne ihn.

Außer diesen beiden Arten von Künstlern giebt es noch eine dritte, und das ist die, welche nicht von der Schönheit sondern vom Reitze gerührt wird, welche egoistisch sich bestrebt, einer Idee, die nur für sie individuel Wichtigkeit und Bedeutung hat, aber nicht für die Menschheit, in einer Form sich zu versinnlichen, welche das schaffen will, was kein andrer Schöpfer ihr gab, blos damit es für sie nun da sei. Unter diese zähl' ich Thümmel, den Verfaßer des Ardinghello, die meisten erotischen Dichter und unter vielen auch Göthe als Vf. des Meister.

Das leidenschaftliche Handeln edler Menschen wollte Göthe, dünkt mich, darinn entschuldigen und schmeichelhaft darstellen. In dem anziehendsten Charakter des ganzen Buchs, in dem der Mignon scheint mir dieser Gedanke (der ihm selbst vielleicht nur dunkel vorschwebte) am stärksten ausgedrückt.

Wie gefährlich und unmoralisch aber dieser Gedanke sei, darf ich meiner Amöne, der Freundin des edelsten der Menschen und des ersten der Schriftsteller, nicht erst sagen.

Ja wohl, las ich noch eben als ich Ihren unschätzbaren Brief erhielt die lezten Bände der Blumenstücke, oder vielmehr ich hatte sie eben vom Buchbinder erhalten und fieng an sie zu lesen. Eine erste Lektüre von einer Schrift des einzigen Pauls wirft mich immer in ein Fieber. Ich vergeße jeden Zustand, sogar den seiner Helden, um ganz in dem seinigen zu seyn, und ich fühle dann nur alles Heroische, alles Uebermenschliche, Göttliche, was Gott in des Menschen Natur gelegt hat und in meine.

tugendhafte Volmar in der rousseauischen Häloise kann nicht als Vorbild dienen) und glaube, dieser Unterschied zwischen ihm und Siebenkäs sei blos eingeschaltet als Unterschied – so seh' ich doch, da ich nun das Werk geendigt habe, alles milder und rechtfertige alles, weil das unendliche schöne Ganze blos aus diesen einzelnen Bestimmungen hervorgeht.

Paul ist ein Prophet, ein Apostel, und ich bin dem schon gram, der ihn auch nur kunstmäßig loben will. Lest! um Gottes willen lest! Das sollte seine einzige Rezension seyn.

Und die ihn vollends tadeln, die ihm unter andern (und ich kenne mehrere) Mangel an Geschmack vorwerfen, – o daß ich's doch wenigstens so weit brächte, mich nicht über sie zu ärgern, so wie er sich nicht darüber ärgern würde; aber ich tröste mich mit dem Schmeichelhaften Glaube, ich thue es blos darum, daß ich so viel bornirte Köpfe und matte Herzen in der Welt sehe.

O lesen Sie doch, Liebe, "Leben und Thaten des Freiherrn Quintius Heymeran an Flaming“! einer der vortrefflichsten Romane, die je geschrieben wurden. Im dritten Band ist ein weiblicher Charakter, die Negerin Iglou, die Ihnen den größten Genuß geben wird, wie sie ihn mir gab.

Auch Agnes von Lilien hat Ihnen doch gefallen in den Horen? Nichts kann einen bewegen, die Fortsetzung dieses so früh verrunzelten Journals noch kommendes Jahr mitzuhalten, als diese Geschichte.

18 Dezember.

In diesen dunkeln Tagen ist es das Licht der Fantasie, das meine Pfade erhellt. In meine innere Welt flücht' ich mich vor der äußern und lebe wie in einem gläsernen Pallaste mitten im Meere.

In diesen schimmernden Spiegelwänden um mich her erblick' ich lebendige, bewegliche Szenen aus meiner Kindheit, in ihrer ersten warmen Farbenpracht. Ach! welche Reitze müßen jene Jahre haben, oder wie unglücklich muß meine Jugend und mein reifers Alter dagegen gewesen seyn, da selbst die meinigen mir so süß und zauberisch erscheinen, sie, die mir doch schon weit weniger Genuß geben, als sie geben konnten! –

Wie viel glücklichere Kinder giebt es als ich es war, ich, von mürrischen Tyrannen umgeben, meistens in Zimmer versperrt, im Exil der Bücher, selten, und auch dann nur nach dem Takt, den eigenthümlichen Freunden jenes |9 Alters überlaßen! Und doch verlöschen in der Erinnerung alle schwärzeren Tinten jenes Gemähldes, und ein rosenfarbner Schein verbreitet sich darüber.

Diese Zeit der allgemeinen Erstarrung, der Begräbnißnacht, in welche die Natur sich hüllet, sie ist es, die den Kindern den Kerzenglanz giebt statt der Sonne, und den starren Taxus mit Goldflittern und Obst behangen statt der frischbelaubten Wälder. Dunkle, grose Ahnungen von Freuden erfüllen da die Brust der Kleinen, in ihnen ist es so weit, um sie ist es so enge, so häuslich, so heimlich. O Ihr Guten, daß es doch so mit Euch bliebe.

Ich wünsche immer mit Rousseau, daß man die Kinderjahre verlängere. Sie sind ein verkleinertes Paradieß, das einzige Abbild des alten. Die Geschichte jedes Menschen in unsrer heutigen Welt ist die Adams. O so verschiebt denn den unglücklichen Zeitpunkt, wo die weite wüste Erde den Verjagten aufnimmt, der dann nur in seinem Fluche, in dem Fluche des Todes, seine Rettung sieht.

Mit inniger Freude bemerk' ich die Veränderungen, die man im Ganzen jezt in der Erziehung der Kinder getroffen hat. Man will ihnen doch wenigstens eine glückliche Epoche ihres Lebens sichern, man beschleunigt nicht mehr ihr Ende, sie sollen wenigstens einmal gelebt haben.

Eine gute Mutter, die meine Freundin ist, befolgt dieß System, worinn ich sie unterstütze. "Zwar muß ich fürchten, sagte sie neulich, daß das glückliche Loos meiner Kinder sie den Kontrast eines andern, das sie vielleicht einst erwartet, um so schärfer fühlen laße, aber wer steht mir dafür, daß sie jene Zeit erleben, und sollte ich ihnen darum die jetzige verbittern?"

Ich beruhigte sie auch darüber, indem ich ihr sagte "eine glücklich verlebte Kindheit werfe einen magischen Schimmer auf das ganze Leben. Das dort erworbne Bewußtseyn daß man geliebt worden und der Liebe werth gewesen sei, gebe jenes Selbstvertrauen, mit dem man nie dem Unglücke so erliege wie andre. Man behalte dann einen sichern Part, immer bereit das bestürmte Boot aufzunehmen. Für die moralische Gesinnung sei dieß aber noch auf ganz andre Art wichtig. Denn die Menschenliebe sei eine Frucht, welche nur in dem lockern Boden der frühsten Jugend glücklich ihre Säfte an sich ziehe und gewinne. Da müße das Kind in lauter warmen weichen Armen gehalten, und an einen zärtlichen Busen gedrückt und mit Thränen der Liebe beschauet werden, wenn es einst als gebildeter Mensch unveränderlich, aus innerm Bedürfniß, ohne sich durch Erfahrungen irre machen zu laßen, lieben solle. Freilich laßen sich alle Schmerzen einem so erweichten und gewöhnten Herzen vorhersagen, aber der Mensch sei ja überhaupt nicht auf der Erde, um glücklich, sondern um des Glückes würdig zu werden, und wo ein sittlicher Zweck zu erreichen stehe, dürfe kein sinnlicher davon abwendig machen."

Sehn Sie, so misch' ich mich in fremde Erziehung und suche in andern Familien die Traurigkeit meines Herzens zu täuschen, das so wenig seiner natürlichen Wärme und Sehnsucht genug thun kann. Ich liebe die Kinder schwärmerisch und ob ich ihnen gleich zu ernsthaft bin, so lieben sie mich doch meistens auch. Sie haben einen |10 physiognomischen Sinn, der aus allen Falten und Runzeln heraus sie das Gemüth eines Menschen herausfinden läßt, und wenn einst alle meine Freunde an mir irre würden und ein Trübsinn, der in manchen Minuten und bei manchen Vorstellungen nur zu mächtig in mir wird, scheuten, so würd' ich zu den Kleinen flüchten und sie würden mich nicht verstoßen.

Ja, meine Theure! ich läugne es nicht, ich bin mir gar nicht gleich, und schon in meinen Freuden selbst liegt der Keim meiner Leiden. Denn wenn ich mich nun von so vielen, von so verschiednen mich so geliebt fühle, und mein Herz darüber sich in Wonne emporhebt, ach so wird dieses seelige, dieses volle Herz ja auch weich und schwach und will dann ein anders, das ihm eigner, dem es eigner gehöre, das alles mit ihm theile, dem es sich nicht blos auf den Flügeln der Fantasie nähere, deßen Wärme es nicht blos in der Idée anwehe, es will beglückt seyn und machen nach den Gesetzen unsrer irrdischen unsrer bürgerlichen Verhältnisse, in die sich die ewigen, die der Natur nun einmal verhüllen, einen fühlbaren, sichtbaren Kreis will es um sich, der es berühre, ausfülle, eine Heymath, in der es endlich seelig ruhe.

In diese Stimmung dringt ein äußrer Eindruck schauderhaft tief in mich, ich vergeße alle meine bittern Erfahrungen, und meine Resignation in ruhigern Stunden, die ich dort für die der Tugend hielt, erscheint mir nun als die der Verzweiflung. Kein durch Vernunft begründetes System beschwichtigt die Forderungen, ja die rechtmässigen Forderungen der Gefühle; ich, selbst kein bloses Gedankending, kein bloses Idéenwesen, kann dann mit Idéenwesen mich nicht begnügen, ein menschliches Wesen will ich für mich in menschlichen Beziehungen, und ich erbebe vor dem Geisterkreise, in den ich mich gebannt, auf den ich mich verwiesen sehe.

O einem Wesen, das ein Herz hätte wie meines, mit eben diesen Wünschen, mit eben diesem Verlangen, das keine bürgerlichen Bande, keine andern Verbindungen von mir trennten, das sich mir geben wollte wie ich ihm mich, einem solchen Wesen wollt' ich alles seyn, alles leisten, alles danken, und ewig, ewig es nicht von mir laßen. —

19ten Dezember.

Ich schließe sehr schnell und abgebrochen, Theuerste, weil ich eine Innlage an Paul abzusenden habe, die ich lieber nach Hoff hauchen als der Post geben möchte. Verzeihen Sie meine Hast und beurtheilen Sie mild meinen lezten, vielleicht zu stürmischen Abschnitt. Ich habe kein Gesetz gegen Sie als das der Aufrichtigkeit, ich darf es, denn nichts ist in meiner Seele, das ich Ihrem Auge verbergen müßte. Selbst meine Aufwallungen müßen Sie wißen, wißen Sie doch auch schon, daß und wie ich die Wogen in mir besänftige und ebne.

Leben Sie wohl Geliebteste und mögen Sie nur mit einem Lächeln der Freude jeden Morgen begrüßen und von jedem Abend scheiden. Mögen Sie nie den schönen Traum verlaßen, ohne eine schönere Wirklichkeit dafür zu finden!

O.

Zitierhinweis

Von Friedrich Benedikt von Oertel an Amöne Herold. Leipzig, 14. bis 19. Dezember 1796, Mittwoch bis Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1173


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Textgrundlage

H: Kunstsammlungen der Veste Coburg, A.IV,699,(1),8I31
2 Dbl., 1 Bl. 8°, 10 S. Nummerierung der Blätter mit Großbuchstaben.