Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 27. Oktober 1801, Dienstag

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Bayreuth, Dienst. 27. Oct. 1

Thieriot! Wenigstens der erste Theil des ersten Briefs nach mündlichem Genuß , ist gewöhnlich erst eine Abschiedssvisiten-Karte und mit dem 2ten Theil oder Brief beginnt erst der schriftliche Besuch.

Da ich nun vieles was Karte heißt, worunter nicht nur obige, auch die Spiel- u MusterKarten gehoeren nicht leiden mag: so bring' ich die meinige etwas spat.

Ich glaube überhaupt, mein Thieriot, unsere persoenliche Trennung war eine sehr schlechte und sie war viel mehr – wie es oft bei Eheleuthen die schon auf dem Consistorio sind, um sich scheiden zu lassen (das mir gewöhnlich vorkomt, wie der nicht mehr schmerzende Zahn den man sich in der Stube des Wundartztes heraus nehmen lassen wollte) eine nicht üble Vereinigung.

|2 Noch entsprach kein Menschenwesen so mehr als ganz meiner Erwartung, wie das Ihrige; noch lebt ich, seit dem ich Ihr blaues Auge, das letzte mal mit meinem schwarzen sah, keine wachende Stunde ohne Sie und dieses siehet noch beständig in jenes.

Ich kam zu Ihnen, um Sie von meiner Achtung, v. meiner Verehrung mündlich zu überzeugen; aber ich erwartete Ihre maechtige Liebe, diese zu mir nicht.

Erwartet hab' ich den hellen, leichten reichen Kopf und nicht das reiche, reine Herz, das ich in Dir fand, Du Guter!

Kurz, mein Thieriot, warum sollt' ich Ihnen nicht noch ein mal Ihnen sagen, was ich mir so immerwährend sage: ich erwartete viel von Ihnen, aber nicht so viel – als Sie mir gaben.

Mein armes warmes härmendes Herz wird Ihnen vergüten was Ihnen mein |3 Kopf schuldig bleibt und was Sie in meinen "Klingelbeutel" einspielten und einlegten und als Pfand uns. ewigen Liebe einsetzten.

Gestern war ich auf uns. Berge u dachte mich zu Ihnen, wünschte Sie zu mir, um Ihnen doch einen schoenern Erdentheil zu zeigen, als der, den der KR. Müller so viel verschoenerte und ich war sehnend und hoffend seelig.

Wie vieles wollten wir über Vieles noch sprechen und wie wenig gegen dieses haben wir gesprochen?

Unserm Kuppler, uns. Richter hab' ich seinen Pelz – der ihn gewiß eben so sehr erwärmt, als der praechtige, den ihm die Gräfin gab – meinen Dank für Sie – nicht statt Ihrer – für Sie geschickt.

Soll ich auch Ihnen danken, mein |4 geliebter Thieriot?

Das kann ich nicht eher als nach dem Genuß und also nicht eher als nach der Ewigkeit, denn so lange hab' ich gewiß an Ihrer Liebe.

Aber nichts entgehet meinem Andenken, nichts vom "Guten Morgen" bis zum Adio, gewiß nichts u dieß sei mein Dank auf Abschlag.

Kommen Sie bald Thieriot zu mir, recht bald! nicht nur der Emanuel, Alles was ihn und er liebt erwartet Sie mit oder ohne Geige. Kommen Sie bald!

Ihre gute Schwester u Ihren guten Bruder grüss' ich und küss' ich dankend und heiß.

Ihre freiwillige Schwester , Apel und Rochlitz und die heitere Seele Platner auch Ihren Herrmann grüssen Sie mir recht oft wenn Sie wollen.

Lebe wohl, Du Guter! Vergiß mich nicht, ich denke auch stets mit Liebe an Dich.

Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 27. Oktober 1801, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1230


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

Hk: Slg. Apelt,
1 Bl., 2 S.

D: Abend-Zeitung, Nr. 1, 2. Januar 1843, Sp. 3-4 (ungenau).


Korrespondenz

A: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Leipzig, 29. Oktober und 6. November 1801