Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 28. November bis 1. Dezember 1801, Sonnabend bis Dienstag

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Bayreuth, 28. Nov. 1801.

Mein Thieriot! Nicht nur die letzte richtige: auch die erste weitschweifige Addresse hat mich froh, aber doch nicht so froh gefunden, wie sie mich zu machen Kraft hatten.

Gesprungen bin ich nicht , das war meine Sache nie, so wie die Ihrige, wahrscheinlich ein langsames, ruhiges Fort- und Weiterrücken.

Sagen Sie mir Thieriot, über Ihr Herz so viel oder so wenig und was Sie wollen, Sie bringen das meinige doch nicht mehr von ihm.

Ist's Ihnen auch nicht Herz genug: so würden doch andere Tausende, so gut wie ich, damit zufrieden seyn und ihrem Schöpfer dafür Dank wissen.

Haben Sie – das verdammte Sie!

In der ganzen Christenheit hab' ich |2 nur sie; aber Keines unter allen, das mich so hindert wie das Sie an Sie!

Haben Sie Danck, Thieriot, für Ihr Nichtverschweigen, ich verdien' es und erwiedere es gewiß.

Du hast Liebe im Überfluß mein Thieriot! gieb mir nur genug davon!

Was nützen des Menschen GeistesKraefte und Saefte, wenn sie ihm Unruhe verschaffen?

Warum muß diese Frage auf Sie anwendbar seyn?

Des guten Apels Gespraech mit Ihnen, ergrief mich so, daß ich's seit dem ich's las, nichts that wobei ich nicht an Euch dachte.

Es wiederholte und wiederhallte mir mehrere Stellen in uns. Richters Briefe an Sie und macht es mir dadurch wichtiger.

|3 Wie es meinem Geist ergehen wird, wenn mein Koerper fault, das kann mir kein Mensch sagen, eben so wenig als wie es ihm gegangen hat, ehe ich sein oder er mein oder wir unser waren; daß er aber einst seyn wird, das glauben Sie und Apel und ich.

Ich – so wie ich bin – bin in der Zeit, diese in der Ewigkeit und diese in Gott und dessen Göttlichkeit in mir!

Daß von meinem Daseyn dem Manne meiner Mutter und dem Weibe meines Vaters so viel gehoert; und daß ich als Kind geboren und ich, wenn d [...] as recht lange – und ich Mann war, als Kind wieder sterbe, das sind mir fürchterliche Steine, die ich mir selbst in meinen ewgen Garten werfe; allein wenn sie mir auch manche |4 Pflanze nieder schmettern: so wachsen der guten und heilsamen doch noch genug in ihm.

Glauben Sie nicht, mein Thieriot, daß ich's wage, Ihnen einen kleinen von meinem groeßten Gedanken oder einen Augenblick von meiner Ewigkeit zu zeigen, als koennten Sie für sich Gebrauch davon machen.

Nein, Lieber, Sie brauchen mich nicht und wir sind so Eins und bleiben Eins: Ihr Gott ist, mein Gott und Ihre Ewigkeit, meine!

Aber das Mittheilen unsers GottesBild ist, hier, durchaus nicht moeglich.

Wir behalten nur unser Original und geben nur eine Copie und so ists auch im Nehmen.

Meine Lage ist noch eigener! |5 ich kann zu der Gelehrten Gott nicht hinauf und mag zu de r m der Leeren nicht wieder hinunter.

Für das Daseyn eines Gottes brauchts so wenig mehr Beweiße, als alle Beweiße wider dieß Daseyn aus uns, also von ihm, dem Daseyn selbst kommen.

Dem lieben Gott gehts wie einem Fürsten / Landesherrn, der seinen Unterthanen zu viel Freiheit giebt und diese sie gegen den Guten selbsten mißbrauchen und ihm die Herrschaft streitig machen.

Dem lieben Gott gehts noch schlimmer.

Zum Fürsten sagen die freien Unterthanen "was Du bist, das sind auch wir"; aber die freien GottesKinder sagen: "Wir sind, |6 Du bist nicht!"

Doch, Thieriot, ich will heute diesen Gedanken nicht weiter Ihnen denken und lieber Ihre Frage "was denkt Ihr? mir nächstes mal weiter beantworten.


Aus Versehen hab' ich den Brief a. d. Goldschmidt offen gesandt; Dank Ihnen für die Besorgung.

Zu Richter – dem ich Ihren Brief nicht senden kann – weil ich mich nicht von ihm entfernen will – will ich in diesem Winter und erst im Frühling nach Berlin.

R. unten und Meiningen oben schreibt Richter jetzt an seinen Briefen, alles Andere laeßt er seiner himmlischen Caroline hineinschreiben.

Kommen Sie ja bald, d. h. so bald |7 wie es seyn kann zu mir: ich hole Sie ab von wo Sie wollen.

Grüssen Sie mir eigenmaechtig keinen Menschen , ich thu' es auch nicht; aber wer nach mir in Lpzg fragt, dem koennen Sie mit gutem Gewissen sagen, daß ich mit Liebe seiner gedenke.

Mein Otto grüßt Sie "dichtig". Wenn ich darf / darf / soll schreib' ich Ihnen bald wieder mein Thieriot.

"A Dio." "A Dio". A Dio!

Emanuel

Geendigt am 1t im letzten im Ersten.

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 28. November bis 1. Dezember 1801, Sonnabend bis Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1233


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 243
2 Dbl. 8°, 6⅞ S. Auf S. 5 aoR vfrH mit Bleistift: 28 XI 1801.

Überlieferung

Hk: Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 3¾ S.

D: Abend-Zeitung, Nr. 1, 2. Januar 1843, Sp. 6–8 (unvollständig).


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Leipzig, 29. Oktober und 6. November 1801
A: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Leipzig, 20. Dezember 1801