Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 17. Februar bis 11. März 1803, Donnerstag bis Freitag
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|1 Pariser Wochenblatt für helldenkende Juden
Heute ist Jeudi gras u. mein Geburtstag – da muß ich wohl an Dich denken, Emanuel! – Ich gedenke ihn sehr zu feiern, ich will, welches für einen ersten Kirchgänger viel ist
, den ganzen Abend zu Hause bei meinem Paul bleiben.Um den Vormittag bin ich gekommen: man hat mich vom Conservatoire zum Examen (für die continuirfähigen Schüler) gefodert, ich hatte mich auch diesmal gut genug zu dem Improviso vorbereitet, das ich ihnen vorspielen wollte, wenn ich müßte – da ich aber vorher (beim Eintreten mit der Geige in der Hand) sagte: Messieurs, j'ai été malade pendant 15 jours, je n'ai presque pas eu encore de leçons
war, wie alle Jours gras , ziemlich mager für mich. Masken genug liefen u fuhren und ritten in den letzten 3 Tagen auf in dem Gassenkoth herum, aber doch noch mehr gaffendes Volk hinterdrein – u. so ist das hier eine sehr zahme u. kothige Lustbarkeit.
Schlaf wohler in Baireuth – jetzt um 12 – als mich der Opern u Ballkutschenlärm, der mein Zimmer in einer beständigen Vibration erhält, hier schlafen läßt.
sollte ein Bußtag für Dich seyn, weil Du mir nicht geschrieben
Hier ist – das muß ich Dir noch erzählen – der völlige Teufel mit Charaden und Enigmen los, seit einigen Wochen.Nur sind sie selten so witzig wie Banqueroute . Den Anfang machte ein vorzüglich dummes Preisräthsel, das ein Redakteur |3 eines kleinen Journals aufgegeben, u. worüber er vom 19. nivose bis 24. pluviose , dem Termin, über 8773 Briefe aus allen Ecken Frankreichs bekommen hatte.Die endliche Auflösung u Erklärung, die ich für 6 sous vor mir habe, befriedigte aber wenige, außer den 60 Errathern ("Oedipes")Die Aufgabe ist sehr lang u aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt, wie:
Et quoique je marche toujours,
Je n'ai fait un pas de ma vie
und das Ganze soll Contraste seyn.
Einen lateinischen Logogryph hab ich selber nicht umhin gekonnt zu errathen u. das Wort an die Adreße zu schiken. Dafür [...] glänzt mein Name, wie mir die Schlegel eben schadenfroh schreibt, bereits neben 21 in den Zeitungen
Gestern Abend endlich kam mir das Glük im Schlafe. Ich stekte schon unter dem Bett-kouvert, als Du im papiernen zu mir kamst. Du kannst Dir denken, daß ich beide zugleich erbrach.
Es ist mir ganz recht, daß Du meinen noch nicht hattest – das zieht mir nun nothwendig noch einen zu, den ich mit Seelenruhe abwarten will.
Eben kriegt' ich ihn , u. will ihn als den dringendsten, zuerst beantworten.
|4 Mein Februar dauerte gar bis in den März hinein. Seit 14 Tagen bis heute (exclusive) hatt' ich wieder Stubenarrest. Aber in den letzten war nur das Wetter Schuld u. der Doktor, dem ich es dafür auf den Hals wünschte.
Für Deinen Bischoff gebrauch' ich vielerlei Surrogate. Danke Gott, daß ich meinen Convaleszenten-Appetit hier noch stille.
Nichts, mein Freund! (Ich habe den Vorschußvorschlag im Sinn.)
Es thut mir leid, aber ich muß Extrapost nehmen, in Beantwortung Deiner Briefe, wenn dieser hier morgen früh auf die ordinäre soll.
Den süßesten süßesten Dank für die Auszüge aus Richter.
Verdammt jung muß ich Dich gezeugt haben – geistig – wenn man es Dir auch hingehn laßen mag, einen 23jährigen Bengel / so heist ein berühmter Theolog (körperlich) zu haben.
Brennen thu ich auf den Titan – Du nicht auch? – mehr auf das schildernde als auf das erzählende (entwikelnde).
Die Genlis möcht' ich wohl sehen, aber ich kann die Hastfer in der That nicht ausstehen riechen vertragen
Die Schlegel sah ich noch nicht wieder. Auch unser Briefwechsel stokt. Es freut mich, daß Dirs intereßant war
Freilich schneiden die Ausschneider dem Menschen den Stein aus der Gold-Harnblase – ich mache die Allegorie nur, weil ich es nun auch zu theuer (für mich) finde; und doch laß ich mir in dieser Stunde noch eine theure Redingotte u. Pantalons machen womit ich (hier geh ich wie ein Schlacht reinliches s S chwein) nur Deutschland blenden will.S. das Couvert
Hier im Couvert laß mich ruhig ausreden
Ich erkenne Dein Anerbieten ganz: aber ich bin schon bestimmt, nicht in Paris zu bleiben.Von der Frankfurter und Leipziger Virtuosenmeße darf ich aber kein Haar versäumen, weil es das goldne des Nisus seyn könnte. Hier muß ich wenigstens noch den März hinaus bleiben, weil ich mein Reisegeld, um das ich erst am Sonntag nach Leipzig geschrieben, nicht eher kriege.
Gern reis' ich mit Dir von Frkf. nach Baireuth, u. von Baireuth nach Leipzig nur, in Baireuth, wo ich am liebsten mit Dir herumreiste, könnt' ich, das seh ich voraus, wieder nicht lange rasten. – Entscheiden wir das, höre, in den ersten 7 Tagen meines Frankfurter Aufenthalts. – Von hier, das versteht sich, schreib ich Dir noch eh ich abgehe, mit Einschl. an Weisse.Willst Du mir noch einmal, aber auf der Stelle, schreiben, so adreßire an Perregaux p. Mr. Paul Bassenge p. pp
Später, erwarte meinen 2ten Brief .
In diesem ist ein Frost wie draußen.
Ich hatte kaum Zeit, recht an Dich zu denken, Emanuel. – Die arme Heinroth , die ich (von mir) von Dir gegrüßt, läßt Dich wieder grüßen. – Wenn ich Dir nicht gesund bleibe, so soll mich die Schwerenoth .....
Th.
Zitierhinweis
Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 17. Februar bis 11. März 1803, Donnerstag bis Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1265