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Guten Morgen, mein geliebter Emanuel! Sie schrieben mir vorgestern die doppelte gute Nacht und unterschrieben sich meinen Alten. Als ich gestern Abends nach Hause kam, konnte ich Ihr Billet nicht sogleich finden, stellte mir aber vor, daß Ihre Worte geheißen hätten: Ihr alter Getreuer, und da nannte ich mich einen Ungetreuen. Ich fand u las Ihr Billet und las, wahrlich! anstatt alter, getreuer, zu meiner Strafe. Ich muß alles widerrufen, sogar für dieses Jahr; wir wollen des gestrigen Tages schweigend gedenken, sobald wir uns, was recht bald geschehen soll, sehen und einander die Hand und die Lippen reichen.

Ich müßte eine ganze oder halbe Lebensgeschichte schreiben, um mich zu erklären, wo nicht zu rechtfertigen, wegen meines Wunsches, am Geburtstag nur mich des stillen Andenkens meiner Freunde zu erfreuen . Nach und nach entwickelte sich in mir eine Abneigung gegen die Art der Geburtstagsfeier durch Nehmen und Gratulazions-Visiten; ich verglich damit unsere ältere unschuldigere Weise, wobei dies die Nebensachen waren, die mir nun zu Hauptsachen geworden zu sein scheinen. Alles, was ich |2 anwendete, durch Anstalten, die ich Jahre lang vorausmachte – um auch einmal die Seligkeit des Gebens zu haben, schlug fehl. Im Dezember erlebte ich seit Jahren recht Unglückliches u es schnitt mir jeder, zumal [...] pers önliche Glückwunsch ins Herz u als war mir ein Widerspruch, weil ich der Meinung war, daß man nur Glück wünschen dürfe dem, der sich selber glücklich preise. Richter verletzte mich durch ausgleichendes Vorrechnen meiner armen Geschenke. Daher kam meine Aeußerung, die – Gott ist mein Zeuge! – nicht auf sie gemünzet war; aber mir zur mehr, als verdienten, Strafe wurde, weil ich mich an Dir – Du zu guter und unschuldiger Mensch – versündiget habe. Ich wollte hatte mir vorgenommen, bei Richter 8 Tage vor dem gestrigen Tage Alles zu verbitten; weil er aber gerade krank war: so konnte ich es nicht übers Herz bringen, es zu thun; u so geschah es, daß er gestern zur Rollwenzelin kam u mit mir aß u daß er mir einen Stuhl schickte, auf dem ich sitzen muß; u daß ich in Ihrem Billet den Getreuen la ß s u mich den Ungetreuen nannte. Man kann nur zu leicht Altes zerstören; aber die Stelle bleibt leer. Ich will mich wenigstens in diesem Punkte bekehren. Und da ich einmal auf Richters Stuhl |3 Stuhl sitzen muß, wenn ich ein gutes Gewißen haben will; u da ich mit gutem Gewißen nicht darin sitzen kann so lange der Unschuldige nicht in seine alten, heiligen Rechte eingesetzet ist: so bitte ich Dich, Du alter guter Mensch, daß Du mir etwas wegen des gestrigen Tages, u einen Hasen dazu , verehren möchtest. Du wirst sagen: es ist in dieser Bekehrung wie in der vorausgegangenen Sünde etwas Ungemäßigtes u Ungehöriges; das fühle ich wohl! Vergieb u entschuldige mich, so gut es gehen mag, bei der lieben Flora. Grüßen Sie sie u danken Sie ihr für Ihre Güte u Liebe! Glauben Sie dennoch an die Treue des ungetreuen!

Ihres

alten Otto.

Zu meiner Entschuldigung muß ich noch anführen, daß meine Aeußerung im Zusammenhang stehen mit meinen Ansichten über die großen Weltereigniße, von denen ich mich nicht loszumachen vermag, sondern zuweilen sogar auf den Wahn gerathe, dß sie festgehalten werden müssen.

Zitierhinweis

Von Georg Christian Otto an Emanuel Osmund. Bayreuth, 10. Dezember 1817, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1344


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Textgrundlage

H: ehemals Slg. Apelt,
2 Bl. 8°, 3 S. Auf S. 4 Adr.: Herrn E. Osmu.


Korrespondenz

Präsentat neben der Grußformel: 10 Dec. 1817