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Mein innig geliebtester Freund!

Unser kleiner Virtuose Tyriot wird Ih. schriftlich oder vielleicht gar mündlich, wie er sich mit der Hoffnung schmeichelte , gesagt haben, daß ich 2. Monden lang, nach einem wiederholten Rückfalle den Pforten des Todes ganz nahegewesen bin, u. – wie langsam geht bey einem 77jährigen Alten [...] die Genesung ! Nicht eher, als die Woche vor der Messe habe ich mich wieder im Lande der Lebendigen von Gottes schöner Frühlingssonne können bescheinen lassen u. nun zu Ende der selbigen hat mich mein Arzt aufs Land gejagt, wo die freye Luft unter den Meinigen meine Wiederherstellung vollenden soll.

In der That fühlt man erst bey den Unfällen des menschlichen Lebens im Schoose einer uns liebenden u. gelieb |2 ten Familie das Tröstliche derselben in der treuen Pflege seiner zärtlichen Gattin u. theilnehmender Kinder , obgleich meine Krankheit für diese keine gute Wirkung hatte: denn erst warf sie meine gute Frau auf's Lager, dann zog sie meinem zu empfindlichen Dorchen durch Anstrengung öfterer, ungefoderter Nachtwachen ein Nervenfieber zu, welches sich zwar durch den Genuß der freyen Luft gemindert hat, aber noch nicht ganz gehoben ist u. mich immer noch besorgt für sie macht. So ist das Gute in der Welt oft mit dem Übel verbunden: aber sollte mich die Furcht vo r diese s m von dem dankbaren Genusse des gegenwärtigen Guten abhalten? So fürchte ich auch nicht den Tod; ob ich gleich keine Ursache finde, ihn zu wünschen, da ich beym völligen Gebrauch meiner sinnlichen Werkzeuge noch mancher Glückseligkeit dieses irrdischen Lebens fähig bin. Eine der übelsten Folgen meiner Krankheit ist das zunehmende Zittern meiner Hand, das mir kaum |3 die Feder fest zu fassen u. selten erlaubt, mich mit meinen vertrauten Freunden zu unterhalten. Indessen verhindert es mich auch, manches unnütze zu schreiben. Schon Freude genug für mich, daß mir nach einer Langen Pause vergönnt war, demjenigen, der mir mit so vieler Herzlichkeit eine Stelle in seinem Herzen, neben seinem J. P. R. anbeut, zusagen, wie sehr ich ihn liebe u. immerdar lieben u. verehren werde!

Weisse.

Beynahe hätte ich den Dank vergessen, den ich Ihnen für Ihr Andencken schuldig bin, dessen Sie mich durch Ihren Herrn Bruder versichern lassen, da es mir zu dem Vergnügen, seine Bekanntschaft zu machen verholfen hat.

Zitierhinweis

Von Christian Felix Weiße an Emanuel. Stötteritz, 18. Juni 1802, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1438


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Textgrundlage

H: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 2¾ S. Auf S. 4 eigenhändige Abschrift Emanuels seiner Antwort vom 8. Oktober 1802.


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Christian Felix Weiße. Bayreuth, 31. Dezember 1801
A: Von Emanuel an Christian Felix Weiße. Bayreuth, 8. Oktober 1802

Präsentat: pr. 21 Juny 2. Zur Datierung: Wahrscheinlich zeitgleich mit Dorothea Weißes Brief an Emanuel vom 18. Juni 1802 verfasst und zusammen abgeschickt.