Von Jaques Henry Thieriot an Paul Emile Thieriot. Leipzig, 11. August 1802, Mittwoch
Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.
|1
Vorgestern erhielt ich deinen Brief vom 26t July . Ich wollte ich könnte dir noch etwas schreiben von den letzten Tagen und Augenblicken unsrer theuren Schwester, aber außer der Bestätigung dessen was ich Dir schon davon schrieb , weiß ich selbst nichts weiter.
Meine Briefe an Sie , und ihre eignen Pappiere erwarte ich erst zur Messe mit dem Onkel, vielleicht finde ich unter den letztern noch etwas, das auf das Vorspiel dieser Trauerform Bezug hat, dann theil ich Dirs ungesäumt mit. Unter ihren hiesigen Pappieren hab ich mit Rührung einige Belege ihrer freyen wohlwollenden, sich selbst bewußten Seele gefunden, in zerstreuten Bemerkungen über sich selbst, die von einer unendlichen anspruchslosen Güte zeugen. Doch ich bedurfte dies Zeugniß nicht, sie war mir ein nicht geringerer Theil meines innern Lebens als Dir, und die freundliche Erscheinung schuf auch um mich her ein stilles heitres Weben, daß ich kaum je etwas andres gewünscht hätte. Und wär es ja gekommen, hätte ich geheyrathet , was für ein wesentliches Bestandtheil meiner Glückseligkeit war es, sie in meinem Glücke glücklich und heiter würkend zu sehen. Sie selbst wünschte es sehnlich, der Inhalt ihres letzten Briefes , den ich Dir beyschließe (zurückzuschicken) beweißt es deutlich. Ach es ist vorbey und ich werde trübe wenn ich auf mein ganzes Leben hinabsehe und nur die Trümmer meiner Wünsche und die Gräber meiner Lieben erblicke! Ich wende mich wege und tröste mich, wenn ich etwa eines äußern Trostes bedarf, an dem ganz leidlichen Genuß des Augenblicks, und an den Luftbildern der Hoffnung, vielleicht auch nur trügend, doch
"vorwärts geht des Menschen Schritt, und nimmer
sey
ihm die holde Trösterin geschmäht!"
Schreibe der Heinroth nicht, ich mocht sie sogar noch nicht besuchen um sie und mich zu schonen.Ich lebe jetzt ganz |2 erträglich, doch fehlt mir eine Art von Genuß, die sich auf das eigentlich Herzliche, Spannungslose gründet, in dem eigentlich häuslichen Cirkel, wo man nur ist, nicht repräsentirt und welche allen andern, auch rein geistigen Genüssen zum Relief dient.Patience!
Am Sontage war ich mit Peßlern und Hilliger in Grimma. Die Gegend ist herrlich, ich habe sie aber nicht ganz genossen. Auf den Herbst will ich noch einmal hin, wenns auch kühler ist, denn seit 6 Tagen ist eine Hitze zum verbrennen. Morgen will ich nach Rothenburg weiter. – Ich benutze diese Tage wo wir noch einige Muße haben. – Auch der Connewitzer Aufenthalt vergnügt mich, vornemlich durch die immer genauere Verbindung mit Dufours, wo ich ganz ungenirt und in würklich freundschaftlichen Verhältnissen lebe. – Ich gehe oder vielmehr reite heute Abend noch hinaus, aber um wieder zukommen, denn morgenfrüh um 4 Uhr reit ich fort. (nach Rothenburg nemlich). Meine Zeit ist heute zugeschnitten. – Lebewohl und schreibe. –
Zitierhinweis
Von Jaques Henry Thieriot an Paul Emile Thieriot. Leipzig, 11. August 1802, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1446