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Paris 24. Dez. 1802
Abends um 9.

Mein Emanuel! Ich saß da, Abends um 8, in meinem mengen wohlgeheizten Stübchen, und strich mir den Arm, der sich müde gestrichen hatte – ich dachte an den heil. Abend heute, und war froh nicht ins Theater gegangen zu seyn wie ich erst gewollt, sondern ihn beßer feiern zu können – etwas unmuthig war ich, daß mir heuer niemand etwas bescheren würde noch von mir beschert bekommen (außer die Heinroth vielleicht einen Kropf-Brief, den ich der Verwaisten geschrieben) wie bisher alle Jahr – Da kam unverhofft, wie oft kommen möge, Dein zweiter Brief vom 9ten-15ten .

( Auf den ersten vor. Monats hab ich Dir vor 3 Tagen geschrieben .)

Du lieber Jude gabst mir allein einen heil. Christ, und den schönsten den ich mir wünschte. Eine Bescherung in einem Couvert! –

|2 Ich kann Dir, zum Neuen Jahr, so viel nicht geben – Du gabst mir im ganzen alten viel – selbst meinen Dank für alles dieses mußt Du mehr errathen, ob ich gleich aus Erfahrung weiß wie gern man sich erkannt und erwidert liest. Es ist mir einmal nicht gegeben (ich halte es aber wirklich für einen Mangel an mir) von meinem meinem Empfindungen auszu sprechen sagen . Die ächte Ächtheit hat auch die Furcht vor der Lüge nicht.

Wie schön ehrst Du meine Freiheit, in der Schreibefreiheit wie Du sie nennest!

Und doch wünscht' ich, Du hättest mir die Fragen geschrieben, und bitte Dich jetzt recht sehr darum für Deinen nächsten Brief.

Du giebst mir selber vielleicht Gelegenheit, manches genauer zu bemerken, und ersparst mir die Schande, in Baireuth noch schlechter zu bestehn im antworten.

|3 Mit Deiner kleinen Schrift gabst Du mir auch ein Meininger Brieffest.

26.

Die Hundssupplik muß Dir wohlgethan haben abzuschreiben. Noch erquiklicher war mir die Parentation , und der Todesfall selber . – Was setzte die Caroline weiter hinzu?

Dem Herzog hätt' ich das Billet nicht zugetraut. Was hat Richter darauf antworten können?

Ist es möglich? Der Titan ist fertig – also mit dem 5ten Bande geschloßen ? Wer hier nur den 4ten haben könnte! Und Du hast noch nicht den ersten im Leibe?

Aber es ist sicher ein Irrthum u. nur der 4te beim Verleger.

30.

Wie die Zeit rennt! besonders wenn man ihr zum Tanz aufspielt. Ich machte diese 8 Tage nichts als Versuche mit meinem Bogen u. Arm (dessen Führung ich ändern muß). Gestern kam ich endlich aufs Reine aber erst mit der Theorie.

|4 Ich zweifle, daß ich meinem Exschwiegervater hier mein Compliment mache. Man begegnet sich gar zu selten in Paris – zumal wenn man so auch noch selten ausgeht.

Das Bieraufbewahrungsrezept war gut, aber auch die Replik.

Wenn dieser verdammte Posten ihm (Otto'n) nur nicht alle seine Zeit einnimmt, so sollt' er zufrieden seyn. Aber es mag einem freilich auch den Kopf einnehmen, für die freigelaßnen Stunden, u. die beßre Arbeit. Wenigstens bis mans – denk' ich – mechanisch gewohnt wird.

Jede drückende Lage u Stellung des Lebens sobald als möglich gewohnt zu werden d.h. seine Gedanken davon abzuziehn – kurz, die Herrschaft über seine Gedanken, diese ersten im Boden aufbrechenden Keime aus dem Samen der Triebe u. Neigungen pp die da überall Unkraut sind wo das Feld eben anders bestellt ist – die Macht einen unnützen Schmerz z.B. an sich zu tilgen od. einen gerechten nothwenigen zu mäßigen – ehe die Zeit beides, aber langsamer u. nach ausgesaugtem Boden thut, u. das Unkraut mit dem Kraut verwelkt – ebenso gegen die Sünde, die Abstraktion v. der Versuchung – Das ist, nach meinem Glauben, Weisheit u. Tugend u. Genuß zusammen, wenigstens negativ.

Nicht auch nach Deinem, Emanuel?

Th.

|5 PS.

Das letzte sollte keine Antwort auf Deine Fragen seyn, wenigstens nicht auf die erste – u. doch ist es eine geworden.

Nämlich was fehlt meistens dem Gelehrten um sich in Welt u Menschen zu schiken (ich nehme die Fälle aus wo Ungeschiktheit Tugend ist) als jene Abstraktion, positiv ausgedrükt, d.i. Gegenwart des Geistes? Eine Gabe, die den gemeinen Weltköpfen nur in der großen Welt / monde nie fehlt, aber wohl im Auditorium Museum des Profeßors. Meinst Du aber die Kunst des wahren Lebens in der Welt – so ist diese wohl ebenso schwer für den "gemeinen Kopf" wie für den ungemein-gelehrten. Denn sie besteht eben in der ununterbrochenen Gegenwart des vollständigen Geistes, u. vereinigt also die Talente beider.

Mit einer größeren Porzion davon hätt ich mich vielleicht mit mehr Deutlichkeit u Vollständigk. selber expliziren können. Ich überlaße Dir das Ergänzen, im Wort u. Werk, Du innerlich philosophischer u. Du unverlegener in fremder Gesellschaft. – Scheint so etwas für sich ein kleines Lob, so ist es doch hier ein Zug.

Adio.

Thieriot

|6 P.P.S.
Dieselbe u. die meiste Gelenkigkeit der Aufmerksamkeit, u. unzerstreubare Andacht bei dem gegenwärtigen Gegenstand braucht der Künstler, Dichter u Komponist: u. ich halte daher diesen für den moralischsten Zustand . , weil er die meiste Wachsamkeit von dem Hund von Menschen fodert.
Verflucht sey übrigens Papier Dinte Feder und Federmeßer im Hotel de Bourgogne

|7 Gukst Du nicht immer noch ins Couvert, ob etwas darin steht? Diesmal war Dein Guken nicht umsonst.

Emanuel!

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 24., 26. und 30. Dezember 1802, Freitag, Sonntag und Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1460


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. u. 1 Bl. 8°, 5½ S. Dazu gehörig wahrscheinlich ein auf der Innenseite (siehe S. 7) beschriebenes Kuvert. Adr.: Monsieur Emanuel | à | Baireuth | en Franconie | Allemagne Poststempel: R.No.3. Postvermerke


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 9. bis 15. Dezember 1802
A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 20. Januar bis 20. Februar 1803

Über dem Brief Beantwortungsvermerk von Emanuels Hand: 20ter Febr. beantw.